9. Mai 2013

Dekonstruktion und Offenbarungslauben

 

Heinrich Meiers Dialog unter Abwesenden ist mittlerweile ein Vierteljahrhundert alt und erscheint nun in dritter Auflage. Der Text kann für sich in Anspruch nehmen, der Literatur über Carl Schmitt eine neue Richtung gegeben zu haben. Carl Schmitt ist seitdem nicht nur der preußische Staatsrat oder der „Kronjurist des Dritten Reiches“, er wird nunmehr auch als Anhänger eines Offenbarungsglaubens zur Kenntnis genommen. Die Anstrengungen, die Heinrich Meier unternimmt, eben darauf den Fokus zu legen, haben zum Ziel zu zeigen, dass Schmitts Offenbarungsglaube nicht als private Nebensächlichkeit eines Gelehrten abgetan werden darf, sondern dass ohne diese Charakteristik das Verständnis des Mannes aus Plettenberg nicht nur nicht vollständig, sondern schlechterdings unmöglich sei. Es ist allerdings erst die 1994 nachfolgende Schrift Meiers, Die Lehre Carl Schmitts, die den Fingerzeig von 1988 argumentationslogisch umzusetzen versucht.

 

Die jetzige Auflage des Dialogs versammelt eine ganze Reihe von Texten: Sie beginnt mit dem Haupttext, Carl Schmitt, Leo Strauss und der ,Begriff des Politischen‘. Zu einem Dialog unter Abwesenden, auf diesen folgt ein Text von Leo Strauss, in dem dieser als politischer Philosoph auf Carl Schmitts Publikation Der Begriff des Politischen (die ersten drei Auflagen stammen von 1927, 1932 und 1933) mit einer Veröffentlichung reagiert. Darauf folgen drei Briefe Straussens an Schmitt aus den frühen 30er Jahren. Im Anschluss findet sich ein Text Meiers zu Carl Schmitts Glossarium, eine Art Rechtfertigungsschrift Schmitts, postum veröffentlicht. Neu hinzugekommen ist schließlich ein Epilog genannter Text Meiers, der der Frage nachgeht: „Eine theologische oder eine philosophische Freundschaft?“

 

Man wird nicht sagen können, dass dieser Text eine Bereicherung der Publikation darstellt, denn vor allem der zweite Abschnitt des Epilogs, der Derridas Politiken der Freundschaft gewidmet ist, ist unverständlich. Das hat aber mehr mit Derrida als mit Heinrich Meier  zu tun. Man kann nicht einfach an Derridaschen Formulierungen entlangschreiben; sie sind so dunkel, dass man sie befragen muss, so das möglich ist, woran ich zweifle. Hier ein Beispiel. An einer Stelle heißt es im Epilog, Meier Derrida paraphrasierend (174): „Befindet sich die Dekonstruktion bereits im vollkommenen Einklang mit der Demokratie, die im Kommen ist, so erfahren wir, daß sie mit der Gerechtigkeit nicht weniger als gleichzusetzen sei: la déconstruction est la justice.“

 

Vollkommener Einklang, Gleichsetzung – und das aus der Feder des Meisterdenkers der Differenz/différance? Hier will man eigentlich nicht „erfahren“, was mit wem gleichzusetzen sei, sondern wir verlangen ein bisschen mehr Textanalyse. Denn wir brauchen heute keine Texte mehr, die kokett auf die „dunklen Untiefen dieses vielfachen Vielleicht“ aufmerksam machen, ohne einen aufklärerischen Ansatz zu liefern. Im Grunde passen Jacques Derrida und Carl Schmitt ja doch ganz gut zusammen: Wenn sich Unlesbarkeit und Offenbarungsglaube die Hand reichen, dann heißt es für Dritte nur noch, schleunigst Reißaus zu nehmen.

 

Dieter Wenk (4-13)

 

Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart/Weimar 2013, 3. Auflage (J. B. Metzler)

 

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