Going Home
Wenn man an Rainer Werner Fassbinders Amok-Film von 1969 zurückdenkt, bleibt nur ein depressiver Schleier übrig, der die Figuren überdeckt. Und die Erinnerung an einen unbestechlichen Fall von Psycho-Logik. Dieser Film hätte nicht anders ausgehen können als mit Selbstjustiz. Wenn schon im Leben nichts stimmte, so war doch der Film perfekt. Ein Exempel, ein Lehrbuchfilm, seht her, so kann es gehen, diese typische Fassbinder’sche ausgestreckte Hand mit dem Warnsignal. Ganz anders „Falling Down“. Hier erhält man Blicke wie von einem anderen Stern.
Der Film ist nicht kompakt, er entfernt sich gleichsam von sich selbst, um in ruhiger Taktzahl immer wieder zu sich zurückzukehren. Das liegt an den verschiedenen Schauplätzen, die im Laufe des Films immer enger zusammengebunden werden, und das liegt vor allem an einem sensationell guten Michael Douglas, der einen Verlierer spielt, mit dem einen größte Sympathien verbinden, die aber nur zum Teil auf sein Konto gehen und zum anderen Teil auf die Art, wie er gezeigt wird. Michael Douglas ist deshalb auch so groß, weil er in jeder Leidensstation einen entscheidenden Schritt weiter geht als es im normalen Leben erlaubt wäre. Jeder kennt die Situation, jeder kennt die Grenze, die nicht überschritten werden darf, auch wenn man noch so gute Argumente, wie eben auch Michael, auf seiner Seite hat. Aber natürlich würde man bei einem Stau im Auto sitzen bleiben und nicht aussteigen und zu Fuß weitergehen. Und doch muss man hier noch einen zweiten Unterschied machen. Michael geht nicht einfach nur zu Fuß weiter, er „geht nach Hause“, und das ist in diesem Fall etwas mehr als nur ein Gebiet zu Fuß zu durchqueren. Michael, seit einem Monat arbeitslos und doch sein bisheriges Leben scheinbar weiterlebend, indem er etwa gegenüber seiner Mutter, bei der er nach seiner Scheidung wieder wohnt, weiterhin den Berufstätigen simuliert, Michael steckt also im Stau, schwitzt – das ist sehr schön gemacht, indem man am Anfang des Films nichts hört, nur sieht, dieses große braungebrannte Gesicht mit den Stoppelhaaren und der strengen Brille, dem entschieden und verzweifelt blickenden Gesicht, und erst allmählich die Geräusche von draußen, die Hupen, das Schreien dazukommen, sich schließlich noch Gesichter aus anderen Autos auf Michael legen, Kindergesichter, die ihn stumm zu fragen scheinen, warum das alles so sein muss – und er tut dann genau das, was auch alle anderen gern machen würden, lässt sein Auto zurück und verlässt die Bahn. Den Zwang. Plötzlich sieht er klar, auch wenn das vielleicht ein bisschen verrückt ist, was er da vorhat, zum Geburtstag seiner Tochter zu gehen, obwohl er das eigentlich gar nicht darf.
Im Laufe seines Heimwegs entwickelt er eine Sicherheit wie Jesus im Tempel. Er hat wirklich etwas zu sagen und noch mehr zu tun. Weil die Leute, denen er begegnet, nicht hören wollen. Sie können mit seiner Logik nichts anfangen. Er stellt die Dinge auf den Kopf. Vielleicht weil er sie gerade rückt? Der Koreaner ist selber ein Dieb, weil er zu teuer verkauft. Die beiden jungen Gringos benutzen unlesbare Zeichen, die sie für ihre kriminellen Zwecke, hier vergeblich, einsetzen. Der Kunde ist nicht König und muss den Kampf mit den falschen Bildern aufnehmen. Fascho-Verkäufer machen sich gemein und sterben daran. Wenn seine Frau jetzt ihren Ritter sehen würde? Aber so sieht der Zuschauer die Frau, die endgültig geheilt ist. Und die Polizeitruppe, die mittlerweile auf Michaels Spuren ist. Und dann immer wieder diese Bilder einer kaputten Stadt, durch die der Held mit seinem Aktenkoffer, später mit der Waffentasche und in Kampfanzug, zieht, wie ein Racheengel, der seinen Auftrag gewissenhaft ausführt. Weil das intuitive Recht auf seiner Seite ist.
Und so ist nicht Michael gespalten, sondern der Zuschauer wird es immer mehr. Plausibilität und Irrsinn zugleich. Vergeltung und Gesetzesbruch. Wir bewundern das Schicksal, wie es so aussichtslos durch die Straßen zieht und doch einmal in Stellvertretung das ausführt, was man selber nie zu tun sich getraut. Nur die Familie, das Anlaufziel, die Heimat, die Michael längst verlassen musste wie einst ein Paar das Paradies, ist die Grauzone, die grauenhafte Zone, über die sich nichts sagen lässt. Auch Robert Duvall, der pensionsreife Polizist, sagt nicht alles, was er darüber weiß. Hier, in der Familie, passiert Amok. Auch wenn er erst viel später zum Ausbruch kommt. Alles Gute und alles Schlimme führt hierhin zurück. Am Ende fällt Michael, aber er fällt wie ein Engel.
Dieter Wenk
<typohead type=2>Joel Schumacher, Falling Down – Ein ganz normaler Tag, USA/F 1993</typohead>