2. März 2013

Eine aktuelle Bestandsaufnahme

METAL RESEARCH 

Auf welchem Stand befinden sich die Metal Studies, die interdisziplinäre Forschung zum Heavy Metal und seinen Sub-Genres? Oder allgemeiner ausgedrückt: Ist die Metal Research, die in meinem Verständnis auch journalistische Arbeit integriert, auf dem Weg zu einer eigenständigen Disziplin oder bedient sie sich weiterhin der verschiedensten Fächer und Methoden?

Auf dem Hard Wired II-Treffen in Zürich an der Theologischen Fakultät unter der Regie von Dr. Anna-Katharina Höpflinger, ihres Zeichens Religionswissenschaftlerin, wurde ausnahmslos über methodologische Fragen diskutiert. Prof. Dr. Rolf F. Nohr von der HBK Braunschweig zog im letzten Vortrag des Treffens das Fazit, dass es wohl angeraten sei, sich die methodische Vielfalt zu wahren und nicht auf eine Institutionalisierung der Metal Studies zu zielen. Es gab auch andere Stimmen. Aktuelle Buchveröffentlichungen, die sich mit Metal beschäftigen, weisen jedoch eher in eine Zukunft der Methodenvielfalt. Was die Metal Studies sicher auszeichnet, ist der Untersuchungsgegenstand Heavy Metal mit all dem Licht und Schatten, das das Genre in seiner Geschichte beschwört. Metal Studies beschäftigen sich mit Metal. So viel steht fest.

Im Folgenden sollen mehrere Bücher besprochen werden, dabei immer auch auf die Querverbindungen zwischen den Wissenschaftlern und Herausgebern achtend, denn die Metal Research zeichnet sich durch eine zunehmende Vernetzung aus. Ein Buch, das bereits im Jahr 2011 im Lit Verlag erschien: Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt, hg. von Rolf F. Nohr und Herbert Schwaab. Das Buch bezieht sich auf die gleichnamige Tagung an der HBK Braunschweig im Juni 2010. 2014 soll eine Neuauflage der Tagung an der Uni Regensburg unter der Regie von Herbert Schwaab und Manuel Trummer stattfinden. Letzterer veröffentlichte ebenfalls in einem Münsteraner Verlag (Waxmann) 2011 seine Dissertation Sympathy for the Devil?. Transformationen und Erscheinungsformen der Traditionsfigur Teufel in der Rockmusik, mit einem großen Anteil an Metal-Genres. Trummer stellte sein Buch auch auf der Metal-Matters-Tagung in Braunschweig im Juni 2010 vor. Ebendort war auch Jan G. Grünwald anzutreffen, der mit Birgit Richard von der Uni Frankfurt/Main einen Doppel-Vortrag zum archaischen Bild der Männlichkeit im Black Metal hielt. Im Campus Verlag erschien im Frühjahr 2012 seine Monografie Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal. Den bislang genannten Büchern ging das Buch Verteufelter Heavy Metal. Skandale und Zensur in der neueren Musikgeschichte einige Jahre voraus: Die Erstauflage erschien im August 2001 und mittlerweile erschien ein korrigiertes und ergänztes Update im Mai 2012, das de facto die 3. Auflage dieses Buchs im Telos Verlag, ebenfalls aus Münster, ist. Auch der Band Metal Matters ging nun in die 2. Auflage.

Reto Wehrli bezieht sich ausführlich auf Trummers Buch im Waxmann Verlag, da der Teufel als Traditionsfigur stets eine Folie für Provokation als auch Zensur abgibt. Manuel Trummer geht in seinem umfangreichen Buch an manchen Stellen stark motivgeschichtlich vor, was sich bei einer literarischen Figur wie dem Teufel anbietet. Wenn er jedoch über mehrere Seiten hinweg Interviewauszüge anführt, kann dies zwar als eine überzeugende Diskursanalyse bezeichnet werden, jedoch wünscht sich der bereits informierte Metal-Hörer, der Metal Studies betreibt, etwas mehr Erkenntnisfortschritt. Trummers deskriptive Sprache ist leicht lesbar, kommt dabei der Sprache des Untersuchungsgegenstands (zumindest Teilen der Szene) jedoch verdächtig nahe. Ähnliche Analysen findet man auch in musikjournalistischen Publikationen. Stellenweise wäre eine größere theoretische Problematisierung wünschenswert gewesen. So beschreibt Trummer den Sound der vorgestellten Bands und untersucht daraufhin, inwiefern die Bands Teufelsfiguren in ihrem Artwork und Texten aufführen. Trummers disziplinärer Zugang zur Rockmusik und zum Metal verschiedener Couleur informiert sich aus den Vergleichenden Religionswissenschaften, die sich textueller Aussagen und der Hermeneutik religiöser Texte wie auch der Arbeit am Mythos (nach Hans Blumenberg) annehmen. Bei der Aussage des Dark Funeral-Musikers Emperor Magus Caligula („Wenn wir Musik machen und unsere Botschaft verkünden, nimmt Satan Besitz von uns und gebraucht uns als seine Instrumente, um seine Musik zu spielen.“, zitiert auf S. 221) wird lediglich Satanismus als Ingredienz der Show einer Metal-Band konstatiert, jedoch keine medientheoretischen Überlegungen angestellt, inwiefern sich die Black Metal-Bands auf einen Diskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts beziehen: der Spiritismus und Kontakt zu Toten über Séancen. Wenn Emperor Magus Caligula von der Besitzergreifung durch Satan spricht, muss der Teufel nicht als Gottheit verstanden werden, wie es Trummer in diesem Kapitel (4.3) in seinem Buch darstellt, sondern kann als eine psychische Energie im Anschluss an magische Positionen eines Aleister Crowleys oder Austin Osman Spare untersucht werden. Dark Funerals Musiker werden laut der Aussage ihres damaligen Sängers und Bassisten zu Medien der satanischen Übertragung, kommen auf funktionaler Ebene in die Nähe der spiritistischen Medien (verstanden als übersinnlich-sensible Menschen). Wäre es an dieser Stelle im Buch nicht spannend gewesen, diesen medialen Implikationen des Black Metal-Selbstverständnisses nachzugehen? Was bedeutet es, wenn Musiker von sich als Medium sprechen, das der Musik bloß Sprachrohr bietet? Es erinnert an kreative Techniken der Surrealisten. Bestehen möglicherweise zwischen dem Black Metal skandinavischer Provenienz und der klassischen Avantgarde gewisse Parallelen? Es ist zu vermuten, dass nicht alle Black-Metal-Musiker über den IQ eines Höhlenmenschen verfügen und bereits vom Surrealismus nicht nur gehört, sondern ihn auch in Büchern und Museen wahrgenommen und bearbeitet haben. Der Widerstand der Metal-Fans und dadurch auch der Musiker gegen einen Anschluss an Wissenskultur nimmt zuweilen kuriose Ausmaße an: Amon Amarth aus Schweden zum Beispiel ziehen ihre Inspirationen für die Wikingertexte aus den Comics und muskelgestählten Leinwandhelden im Stile eines Conans; die Edda im altwestnordischen Original zu lesen oder entsprechende byzantinische Berichte zu lesen, wie die Wikinger dort aufgenommen wurden, übersteigt die Zeit wie auch die Geduld der Death Metaller. Im Sinne der Cultural Studies ist es möglich, Praxen und Vorstellungen zu befragen, darzustellen und schließlich zu hinterfragen: das Pilgern nach Wacken, lautstarke Präsentation der eigenen Musik mit Ghettoblastern auf dem Weg dorthin und dann am 1. August-Wochenende sinnloses Besäufnis, bis der Notarzt kommt ... fürs deutsche Fernsehen eignen sich diese medialen Bilder hervorragend, um das bereits in den 1980ern gern bemühte Stereotyp der Rockerjungs und Halbstarken zu bemühen. Es scheint, Metaller bleiben einfach in ihrer Pubertät stecken. Die Masse macht’s, denn knapp 70000 Fans können den Rest der BRD nicht täuschen. Man ist neben der Spur, aber liebenswert-trottelig. Wie Jugendliche auf dem dörflichen Schützenfest. Die Filmdoku Full Metal Village oder der Quatsch Wenn Metaller auf Brüste starren zeigen die Dimensionen des größten europäischen Metal-Festivals auf. Inzwischen finden selbst im Kaukasus, der bislang in Sachen Heavy Metal eher vernachlässigt wurde, Bandwettbewerbe statt, an denen sich Bands aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien messen können und die zwei Gewinner einen Slot auf Wacken in Schleswig-Holstein erhalten. Apropos Cultural Studies: Wo bleiben die ökonomiekritischen Arbeiten zu solchen Mega-Festivals, ihr Meinungsdiktat im Szenediskurs, die Dispositive, die sie im Labyrinth des Mainstreams und Undergrounds verhandeln, wie zum Beispiel längst begrabene Musikprojekte durch entsprechende Gagenzahlungen wieder ans Tageslicht zu fördern, die eigene Sache intermedial zu vermarkten, wobei sich der Kern der einstigen Subkultur Heavy Metal längst in Hektolitern Bier, Stangenmetern T-Shirts und Meßlatten Kopulationen erfassen und ökonomisch darstellen lässt.

Wehrlis Buch lässt diese Dimensionen klarer hervortreten, da er in einem Rundumschlag die Metal-Szene porträtiert, auch inwiefern die bewusste Übertretung gesellschaftlicher Tabus in den Insiderzirkeln Anerkennung verschafft und auf längere Sicht auch ökonomische Erfolge. Eine extrem klingende Death-Metal-Band wie Cannibal Corpse aus den USA hat einige ihrer indizierten Platten auch an Non-Metal-Fans verkauft, da das Verbot auf jugendliche Käufer einen sonderbaren Reiz ausübt. Die Dominanz soziologischer Forschung zur Metal-Szene wurde bereits erwähnt und es ist an der Zeit, angesichts dieser starken Front die methodische Vorherrschaft durch andere Schwerpunkte zu brechen. Musik wird von Menschen gehört und diese Menschen haben im Laufe ihrer Sozialisation die Bekanntschaft mit Metal gemacht ... diese Erkenntnis wurde ausreichend verteidigt, häufig jedoch auch von Pädagogen missbraucht, denn die Metaller sind ja leicht an Kleidung und Habitus zu erkennen. Die Metal Studies können durchaus zum besseren Verständnis der Metal-Szenen in der allgemeinen Öffentlichkeit beitragen. Sie sollten aber keinesfalls Sicherheitsberichte liefern, die von entsprechenden Stellen zur „Gefahrenbekämpfung“ und Resilienz benutzt werden können.

Diese These wirkt auf einen ehemaligen Szeneaktivisten lahm und bereits alt, wenn sie auf Papier in gebundener Form erscheint. Warum? Wer mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte am Szenediskurs aktiv teilnimmt, kennt die Regeln und Mechanismen der Musikszenen durch die tägliche Praxis.

Es bietet sich an, den Sammelband von Nohr und Schwaab als ersten in den Fokus zu rücken, da die methodische Vielfalt durch die einzelnen Artikel deutlich wird. Hervorzuheben sind die Brückentexte, die die beiden Herausgeber zur Überleitung zwischen den verschiedenen Bereichen eingefügt haben: „Fokussierung“ sind sie übertitelt und versuchen, einen Blick zurück und zugleich einen vorwärts zu richten. So ergibt sich ein leitender Faden durch die zuweilen doch recht unterschiedlichen Zugänge zum Phänomen Metal.

Die historisch-soziologische Perspektive bietet sich aufgrund der starken Gesellungsneigung der Metal-Fans an. Wo ein Metal-Fan ist, gruppieren sich meist auch noch zwei, drei andere um ihn herum. Zudem entstand der heutige wahrnehmbare Metal in seinen Schattierungen nicht von heute auf morgen – 40 Jahre seit dem Black Sabbath-Debüt ziehen die Metaller ihrer Wege. Und selbst dieser Punkt ist innerhalb der Szene Gegenstand von stellenweise ziemlich heftigen Diskussionen. Led Zeppelin oder Steppenwolf werden auch gerne herangezogen. In dem Sammelband zeichnen mehrere Artikel die Entwicklung des Metals etwa im Ruhrgebiet (Christian Krumm) oder in Ungarn (Franz Horváth) nach. Caroline Fricke legt mit einer Dokumentation der Heavy-Metal-Szene in der DDR nach. Der Zugang sichtet das Material, untersucht die Reaktionen der beiden sozialistischen Regimes oder aber präsentiert wie im Falle Krumms eine ethnografische Aufarbeitung der Lokalgeschichte. Die Bands, die Aktivisten, die Labels und später Szenezeitschriften werden in einen chronologischen Kontext gesetzt und vor allem auch die Macher von einst interviewt. Metal Studies in dieser Form arbeiten textimmanent und wenden auch meist keine Theorie an, um die Szeneaktivität in einen umfassenderen kulturellen Kontext zu setzen. Der Band rechnet nicht nur mit diesen verschiedenen Ansätzen, sondern macht diese Verschiedenheit in der Methodik stark, indem die Herausgeber die Beiträge in Blocks zusammengefasst haben.

Als Basismaterial und Materialbeschaffung sind historische Arbeiten von großer Bedeutung, was jedoch zumeist auch in der Fankultur selbst schon geleistet wird, da bereits Bettina Roccor in ihrer Dissertation von 1998 darauf hingewiesen hat, es gehöre zum Selbstverständnis der Metal-Szene, Bescheid zu wissen – und zwar über die eigene Musik und deren Geschichte. Wenn also bereits im Szenediskurs intellektuelle Strukturen aufzufinden sind, so wäre an diese anzuknüpfen und nicht nur die Macher zu befragen, sondern auch die eigene Beobachterposition zu hinterfragen, auf welche narrativen Muster man sich bei der eigenen Analyse verlässt. „Heavy Metal und das Ruhrgebiet – diese Konstellation erscheint nicht nur auf den ersten Blick als eine nachvollziehbare: die harte Musik harmoniert mit der Atmosphäre zwischen Zechen und Hochöfen, zwischen hart unter Tage arbeitenden Menschen und der seit der Krise der Montanindustrie von Arbeitslosigkeit extrem betroffenen Region: Heavy Metal als Ausdruck einer tristen und perspektivarmen Lebenssituation?“ (S. 358, aus dem Beitrag von Christian Krumm zur Metal-Szene im Ruhrgebiet). Der Autor nimmt diese offensichtliche Parallele direkt im nächsten Satz zurück und stellt fest, dass diese Gründe nicht ausreichen, um die Explosion der deutschen Heavy-Metal-Szene im Ruhrgebiet zu erklären. Die Abhängigkeit des Metal-Motivreservoirs von einer Industrielandschaft wurde längst durch Bewegungen wie dem Folk und Black Metal abgelöst; in Schwaben besteht eine sehr lebendige Szene, und das nicht unbedingt in der Landeshauptstadt Stuttgart, sondern auf dem Lande (der entsprechende Dokumentarfilm Heavy Metal auf dem Lande zu einem der größten Label im Metal, Nuclear Blast aus Donzdorf, zeigt deutlich, dass hier außer Kühen und saftigen Wiesen nicht viel Industriekultur anzutreffen ist). Als Ausgangsmaterial einer wissenschaftlichen Arbeit eignen sich historische Chroniken durchaus, doch wäre damit nur eine positivistische Bestandsaufnahme der Szene geleistet. Man wüsste dann eben, was in dem Plattenladen des Szenediskurses zu finden sei. Welche Codes und welche Ideologien (durchaus im Marx’schen Sinne) der Metal in seinen Genres benutzt, wie er selbst die Authentizität immer wieder neu verbürgen muss, das heißt auch narrativ aufbereitet, um als „glaubhaft“ zu gelten. Diese Fragen werden in einer Konzentration auf die Sozialgruppe Metal-Fans oder Metal-Urheber nicht ausreichend zur Darstellung gebracht. In dem umfangreichen Band zur Tagung Metal Matters findet man auch Semiotisches, Medientheoretisches, Ästhetisches, das zunächst empirisches Material sammelt (meist neben der akademischen Forschung selbst als Fan der Szene am Phänomen des Metals partizipiert) und verschiedene Theorien hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit diskutiert. Man erinnere sich an das Wort der Herausgeber, dass es nicht die Methode der Metal Studies geben könne. Jede Arbeit verlangt nach der ihr entsprechenden Methodik, wobei die Ausbildung der Metal-Researcher selbstverständlich auch eine Rolle in der Wahl der Mittel spielt. Manche der aufgeführten Charakteristika sind langjährigen Hörern des Metals hinlänglich bekannt und wirken dann auf interessierte Fans bei der Lektüre der Bücher redundant.

Die Paraphrase zur Stützung der Argumentation kann als eine Stütze kulturwissenschaftlichen Arbeitens gelten und an dieser Stelle dringt der Vortrag Rolf F. Nohrs beim Hard Wired II-Workshop in Zürich vor, der in Hinblick auf die Metal-Forschung vorschlug, in Anekdoten zu erzählen, da Stephen Greenblatt (Vertreter des New Historicism) davon ausginge, dass große (historisierende) Erklärungsmuster stets einen Akt der bewussten politischen Entscheidung darstellen, und durch Anekdoten wird dem fragmentarischen Charakter der Erlebnisstruktur einer Metal-Szene Rechnung getragen. Eine neue Scheibe einer favorisierten Band wird angekündigt, die neue Ausgabe einer Fachzeitschrift im Kiosk erstanden, dem Konzert einer Legende entgegengefiebert. Die Sequenz all dieser Höhepunkte ergibt eine bewusst gelebte Metaller-Existenz. Reto Wehrli geht in seinem Buch auf diese Geschichten ein und bewegt sich in der Zone zwischen Journalismus und Wissenschaft. Selbst besitzt er ein Lizenziat der Psychologie, doch beweist er in seinem Buch Verteufelter Heavy Metal. Skandale und Zensur in der neueren Musikgeschichte eine wohltuende Interdisziplinarität. Ohne zu großes theoretisches Fundament nähert sich der Schweizer Autor den Skandalen in der Musikgeschichte, und wie der verblichene Martin Büsser bereits bemerkte, drückt der Titel ein Understatement aus, da nicht nur der Heavy Metal im Buch behandelt wird, sondern so ziemlich jeder popmusikalische Stil. Zudem werden auch Beispiele aus dem Film herangezogen und Wehrli geht sehr enzyklopädisch vor (was auch zur Zitation meines Black-Metal-Theorie-Essays auf textem.de führte). Knapp 900 Seiten sprechen für sich, die mittlerweile dritte Auflage erscheint im edlen Hardcover.

Metal Matters wurde auch interessiert in der Metal-Szene wahrgenommen, ja, viele der Vortragenden auf dem Kongress sind selbst Fans dieser Musik. Hier stellt sich eine generelle Problematik der Metal Studies: ob die Forschung mit dem Untersuchungsgegenstand selbst innig bekannt sein muss, um vorzeigbare Ergebnisse zu fördern. Die historischen Artikel zur Entwicklung des Genres wurden von Beteiligten oder zumindest Nahestehenden verfasst; die Eingewöhnung in die zuweilen paradoxe Bild- und Symbolsprache wird durch das zumindest temporäre Fansein erleichtert, da im Austausch mit Gleichgesinnten der szeneeigene Diskurs erlernt und später in der Forschung abstrahiert werden kann. „Was wäre nun also als Quintessenz des (ausführlich und dennoch unzuverlässig verallgemeinernd) Vorgetragenen zu rekapitulieren? Metal ist eine große Erzählung und gleichzeitig das Produkt des Endes. Metal adressiert ein homogenes Subjekt und stiftet gleichzeitig plurale und nicht mehr länger intersubjektive Subjektentwürfe. Metal bedient sich einer klaren symbolischen Ordnung und ist gleichzeitig ein Spiel referenzfreier und hyperrealer Repräsentionen. Metal ist a-politisch und politisch. Metal ist modern und postmodern. Aus der Perspektive der Postmoderne überwindet Metal ‚die Moderne mit der Moderne‘ – und aus der Perspektive der Moderne überwindet Metal die Postmoderne mit der Postmoderne.“ (Nohr 2011, S. 318) So versucht Rolf Nohr, Herausgeber des Sammelbandes, den Metal in seinen vielfältigen Nuancen zusammenzufassen, als ein transmodernes Phänomen. Von der Hörerseite kann genau an dieser Schnittstelle angesetzt werden: Fans werden das nicht unbedingt teilen, werden es aber bei einer anderen theoretischen Argumentation nicht belassen, sondern im Sinne „ihrer“ Musik widersprechen. Metal sei Metal, würde sich auf eine bestimmte Instrumentation einlassen und sich vor allem geschichtsbewusst zeigen. Wer Metal anfängt zu spielen, kann meist Vorbilder nennen, die ihn erst zu dieser Musik gebracht hatten. Dies jedoch trifft auch auf andere musikalische Subkulturen zu. Der Metal lässt sich jedoch durch ein identifizierbares Repertoire an Motiven und Tropen definieren, im Sinne von eingrenzen. Dieses Reservoir an Inhalten wird in Metal Matters dem Untertitel Heavy Metal als Kultur und Welt gemäß in verschiedenen Perspektiven erarbeitet, was den Reiz der Metal Studies ausmacht. Dem Untersuchungsgegenstand kann sich in verschiedenen Stilen genähert werden: selbstverständlich journalistisch, kulturwissenschaftlich, medientheoretisch und historisch. Die starke soziologische Ausrichtung der Forschung hängt sicher mit dem Verständnis des Heavy Metals als jugendlicher Subkultur zusammen, doch greift sie letztlich zu kurz, denn wer sich mit der Entwicklung der Metal-Musik auseinandersetzt, merkt längst, dass Musiker, wenn sie älter werden, stellenweise auch jenseits der starken Musikkonzentration andere Ausdrucksformen suchen und finden. Als eine Konstante tritt immer wieder eine gewisse Feindlichkeit gegen die zu starke Intellektualisierung des Metal-Lebensstils auf. Mit diesen Vorbehalten muss in der Forschung umgegangen werden. In den Kulturwissenschaften entsteht stellenweise ein Vakuum, da mit der Selbstverständlichkeit des außenstehenden Forschers die Methodik auf den Untersuchungsgegenstand angewandt wird. So werden Teil-Accessoires der Heavy-Metal-Musik in den Fokus der einzelnen Artikel in Metal Matters gerückt: wie zum Beispiel die Kutten, das Coverartwork, die Typografie, die Horns-Geste und das Luftgitarrespielen. Es ist ein kein Geheimnis, dass alle Metal-Subarten von der Imagepflege leben. Manche Stile formierten sich, weil der Status quo der Extremität durch casual clothing unterlaufen wurde. Es existieren Gründungsmythen. Manche formen sich aus den Anfangstagen eines neuen Genres und die Beziehungen zwischen den Pionieren, wie sie sich durch wechselseitigen Austausch ein neues Gesicht im harten Musiksektor gaben. Nicht von ungefähr erschienen in den Nuller-Jahren ausführliche Geschichtsbücher zu verschiedenen Genres: Black Metal, Death Metal und Grindcore, Metal allgemein, zu Progressive Metal – was sich auch mit dem zunehmenden Alter der Musiker und der Fans zu erklären ist. Einer der Herausgeber des Metal Matters-Bands, Rolf Nohr von der HBK Braunschweig, schlägt auf dem Hardwired II-Workshop in Zürich entsprechend vor, in Anekdoten von der Großen Geschichte des Metals zu erzählen. Frank Schäfer, ehemaliger Musiker bei der Prog Metal-Band Salem’s Lot und Musikjournalist, der sich seit einigen Jahren auch als Buchautor beweist, schreibt direkt nach dem Vorwort der Herausgeber eine anekdotenhafte Einschätzung der Metal-Kultur. Es reicht nicht, nur an der Oberfläche der Metal-Gemeinde zu kratzen – Metal-Musiker benutzen für die Übermittlung ihres Sounds eine Vielzahl an Apparaten: das fängt im Proberaum an, setzt sich bei Konzerten fort (die Wahl der PA; interessanterweise bezeichnet sich eine Avantgarde-Combo am Rande der Metal-Welt nach einer Verstärkermarke: Sunn O) und mündet dann irgendwann im Studio. Metal-Bands benutzen Technologie und der Musikstil wäre ohne diese Verstärkung gar nicht möglich. Frank Schäfer geht den Gründungsmythen des Heavy Metals nach und kommt auch auf William S. Burroughs’ Romane zu sprechen, in denen das „heavy metal kid“ genannt wird. Schäfer unterstreicht die Parallelen zwischen Burroughs-Werken und Heavy Metal in seiner rebellischen Grundhaltung. Bislang machen die Literaturwissenschaften um Metal-Musik einen relativ weiten Bogen. Fühlen sich die Germanistik und die Anglistik unsicher auf dem Popkulturterrain? Oder denken sie sich viel eher: Schuster bleib bei deinen Leisten? Florian Heesch, seines Zeichens Organisator des 1. Hard Wired-Treffens in Köln an der Hochschule für Tanz und Musik, ist an einem DFG-Projekt zum Einfluss der nordischen Mythologie und Edda auf Popmusik im weitesten Sinne beteiligt: Im Metal finden sich ganze Sub-Genres, die sich ausschließlich mit heidnischer Mythologie und Religion auseinandersetzen: den Pagan und Viking Metal. Für umfassende interdisziplinäre Studien müssten auch die Germanistik und Nordistik ihren Teil zur Beleuchtung der wechselseitigen Einflüsse zutragen. Ein Autor wie Wolfgang Hohlbein lässt sich von Manowar-Platten für die eigene Literatur anregen und arbeitet mit der US-amerikanischen Power-Metal-Band zusammen. Hohlbein kann aufgrund der massenhaften Verbreitung seiner Bücher als Unterhaltungsliteratur klassifiziert werden, doch wirken Grenzziehungen zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur anachronistisch. Ähnlich wie die Science-Fiction-Literatur nur schleppend in den Fokus der Literaturwissenschaften geriet, wird Heavy Metal vor allem als musikalisches Phänomen wahrgenommen. Ohne narrativen Aufwand könnte die Metal-Szene gar nicht ihre Autarkie behalten – also: Es ist durchaus möglich, sich literaturwissenschaftlich der Metal-Musik zu nähern.

Bis auf Mathias Mertens’ Überlegungen zur Luftgitarre fehlen in Metal Matters ein wenig die medientheoretischen Bezüge. Diesen Zugang greift Jan G. Grünwald in seinem Buch Male Spaces. Archaische Männlichkeiten auf. Ihn interessiert die Situierung der männlichen Musiker des Sub-Genres Black Metal im Raum, der durch Kontextualisierung den männlichen Subjekten in Videoclips eine Archaik verleiht. Grünwald führt entsprechende Accessoires auf: mittelalterliche Waffen, Schminke, Masken, aber auch sogenannte "Andere Orte" wie Katakomben, Friedhof, Wald, Wildnis, Fjord, Berggipfel und Winter.  

Metal-Forschung heißt auch, bis zu einem gewissen Grad mit dem Untersuchungsmaterial zu experimentieren. Grünwald verbindet Raum und Männlichkeit. Seine These besagt, dass sich die Black-Metal-Musiker des Raums (zum Beispiel in Musikvideos) bedienen, um ihre archaische Vision der Männlichkeit zu transferieren. Eine konventionelle Studie alter Machart würde eine Paraphrase der Videoinhalte leisten, um daraus die Wichtigkeit von Naturräumen und Waffendarstellung im Black Metal zu schließen. Ein Fazit, das in einschlägigen Szenekreisen hinlänglich bekannt und bereits auf Foren diskutiert wird. Was wäre mit einer solchen Metal-Studie gewonnen? Es scheint selbstverständlich, welche Verstärker, Gitarreneffekte, Grafikprogramme, Videoschnitttechniken, welche Gesichtsschminke, welche Accessoires auf der Bühne und auf Fotos benutzt werden. Hinter jeder Entscheidung stehen jedoch bewusste Überlegungen zur medialen Gestalt von Ton, Bild und Text. Wie bereits angeschnitten, bestimmen zunehmend auch marktwirtschaftliche Aspekte das Oberflächendesign einer (Black Metal-)Band. Gerade Videoclips bieten für ein umfassenderes Verständnis des Black Metal-Phänomens eine ideale Angriffsfläche, denn sie partizipieren am Geschäft der Aufmerksamkeit, andererseits transportieren sie den Kern des Black Metal: Widerstand gegen Anerkennung und nihilistische Durchleuchtung der Gesellschaftsform Mensch. Jan Grünwald untersucht anhand einschlägiger Videos die Inszenierung von Männlichkeiten im Black Metal, vergleicht diese Strategie auch mit Hip Hop, öffnet die Metal Studies für eine insgesamt medienwissenschaftliche Analyse zeitgenössischer Kultur:

„1. Musikvideo: Beispiel Hip-Hop

2. Film: Beispiel Actionfilm

3. Berichterstattung: Beispiel Männer in der Politik“ (S. 199)

Doch das Hauptaugenmerk wird auf die Bildinszenierungen im Black Metal gerichtet; so wird zum Beispiel der Videoclip zum Burzum-Stück ‚Dunkelheit‘ in Bezug zur Raumdarstellung gesetzt – deutlich wird durch Grünwalds Analyse die Zeitlosigkeit der dargestellten Räumlichkeit – es tauchen Runen auf, die aber nicht eindeutig auf einen Zeitraum bezogen werden, sondern als Symbolismus Eingang in die Black-Metal-Ästhetik finden, dadurch entsteht Mystifikation, die im Black Metal von wesentlicher Bedeutung ist. Black-Metal-Fans werden diese Bedrohlichkeit, den Archaismus, die Unzeitgemäßheit höher als jede wissenschaftliche Erkenntnis schätzen – da das Lebensgefühl des Black Metal Vehemenz integriert. Vehemenz jetzt nicht unbedingt im Sinne einer Übertretung von gesetzlichen Grenzen, wie es Grünwald in seiner Monografie im 8. Kapitel anhand der verbrecherischen Machenschaften in Norwegen expliziert, sondern Vehemenz als intensivierte Emotionalität. Wie diese Emotionalität mit „archaischen Männlichkeiten“ zusammenhängt, lässt sich durch unorthodoxe Interviews in der Presse nachvollziehen. Also: Gespräche mit Musikern, die unter die Oberfläche des geregelten subkulturellen Alltags schauen. Hier ist der Einsatz von Musikjournalisten gefragt, die sich weniger für die Schlagzeile oder Skandalgeschichtchen interessieren als für die konzeptionelle und künstlerische Situation, die die Protagonisten der Black-Metal-Szene repräsentieren.

Grünwald legt ein Instrumentarium vor, mit dem bewegte Bildsprache untersucht werden kann. Zudem kann das Buch Male Spaces als eine wissenschaftliche Stellungnahme gegen den soziologischen Drall in den Metal Studies verstanden werden. Vor allem wurde bis zuletzt der Heavy Metal als soziale Gruppe wahrgenommen. Die Erzählforschung, Medientheorie als auch Ethnografie kann tiefere Einblicke geben, als die soziale Herkunft der Metalhörer und -musiker herauszufinden. Welche Mythen werden im Metal weiterhin kolportiert, um die für diese Musikrichtung so wichtige Authentizität weiterhin zu verbürgen? Wie werden Medien genutzt, um Metal-Erlebnis zur Darstellung zu bringen? Welche Gemeinplätze werden von den Musikern aufgesucht und welche anderen werden gemieden oder sogar willentlich zerstört? Diese Fragen könnten in kommenden Metal Studies-Arbeiten Ausgangspunkt von Untersuchungen sein. Warum sollte sich diese Wissenschaft, die sich einer ständig in Bewegung befindlichen Musik annimmt, nicht spannend wie ein Thriller lesen lassen? Diese Gedanken greift Holger Schulze allgemein auf die Popularkulturforschung bezogen in einem Sammelband auf:

„Nicht die Analyse eines abgeschlossenen Artefaktes oder eines semiotischen Verweissystems in gesellschaftstheoretischer Referenzialität wäre zu leisten; sondern eine Syrrhese, die das Mischen und Bearbeiten, das Verquicken und Auseinanderlösen, das Imaginieren und Generieren von Artefakten eindrücklich und erkenntnisreich weiterführt – im Bereich der Argumente und des Diskursiven. Jeder Gegenstand Populärer Alltagskultur im eingangs bestimmten Sinne kann dann Auslöser, Anreger und Bestandteil einer solchen ‚Sonic Fiction‘, einer Syrrhese werden.“ (Holger Schulze: Adventures in Sonic Fiction, Berlin 2012, S. 205)

Die Sonic Fictions zum Heavy Metal, mehr noch zum Extreme Metal, befinden sich in Arbeit, an vielen Ecken und Enden der Welt tüfteln die Soundgeneratoren an den Manuskripten und Schallplatten, die aus den verschiedenen sinnlichen und intellektuellen Erfahrungen Fiction im Sinne einer medienanthropologischen Wissenschaft schaffen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Dokumente dann Primärmaterial für kulturwissenschaftliche Untersuchungen abgeben werden oder schlichtweg als Unterhaltung am Abend genossen werden können. Möglich, dass zweierlei Literatur entstehen wird.

 

Dominik Irtenkauf

 

Grünwald, Jan G.: Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeiten im Black Metal, Frankfurt am Main 2012: Campus. ISBN 978-3-593-39645-3.

 

Nohr, Rolf F. und Herbert Schwaab (Hg.): Metal Matters. Heavy Metal als Kultur und Welt, Münster 2011: Lit Verlag. ISBN 978-3-643-11086-2.

 

Trummer, Manuel: Sympathy for the Devil?. Transformationen und Erscheinungsformen der Traditionsfigur Teufel in der Rockmusik, Münster 2011: Waxmann. ISBN 978-3-8309-2575-0.

 

Wehrli, Reto: Verteufelter Heavy Metal. Skandale und Zensur in der neueren Musikgeschichte, Münster 2012 (korrigiertes und ergänztes Update): Telos Verlag. ISBN 978-3-933060-35-8.

 

Des Weiteren:

 

Roccor, Bettina: Heavy Metal. Kunst – Kommerz – Ketzerei, Berlin 1998.

 

Schulze, Holger: Adventures in Sonic Fiction. In: Marcus S. Kleiner und Michael Rappe (Hg.): Methoden der Populärkulturforschung, Berlin 2012 [= Populäre Kultur und Medien; Bd. 3], S. 195–210.

 

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