21. Januar 2013

Seid umarmt, Millionen!

 

Auch heute noch, trotz der auch schon in die Jahre gekommenen ikonischen Wende und des etwas jüngeren Beginns des digitalen Zeitalters gibt es kaum etwas vergleichbar Erhabenes wie den Eintritt in eine ganz und gar wirkliche und richtig große Bibliothek. Mehr noch als der einmal unterstellte durchgängige qualitative Zug des hier Gebotenen irritiert maßlos die scheinbar ausufernde Quantifizierung der in Reihen und Regalen ausgestellten Objekte, die in schönem Gleichmut von einer Indifferenz künden, die der potenzielle Leser/Benutzer/Kunde rein gar nicht erträgt. Dieser erste Eindruck ist nicht beliebig oft wiederholbar. Aus Selbsterhaltungsgründen stellt der Benutzer das Bücherrauschen ab und macht sich an die Arbeit. Wobei ihm ja die Bibliothek helfen soll, deren Kernaufgabe nach wie vor in drei Kapitel unterteilt werden kann: Sammeln, Erschließen, Vermitteln.

 

Diese drei Funktionen wurden erst in der Neuzeit räumlich ausdifferenziert, aber noch der Entwurf für die „Bibliothek des Königs“ des Architekten Étienne Louis Boullée aus dem Jahr 1785 hebt die Trennung wieder (oder noch) auf und versetzt den Benutzer und seinesgleichen auf eine Art Markplatz unter einem riesigen Tonnengewölbe als Speicherort der Bücher. Nur 30 Jahre später präsentiert Leopoldo Della Santa seinen Entwurf für eine dreigeteilte Bibliothek: das Magazin, dann die Arbeitsräume der Bibliothekare samt Katalograum und als Drittes der Lesesaal – eine zukunftsweisende Bibliotheksinfrastruktur.

 

Das Schöne an diesem Handbuch ist u.a., dass es nicht nur von Bibliotheken spricht, sondern sie auch zeigt, in Form von Grundrissen, Entwürfen oder Fotos. Und was man vielleicht nicht von einem solchen Handbuch erwarten würde – es ist durchweg in einem Ton geschrieben, der das allzu Trockene hinter sich lässt und Lust auf mehr macht. Eine sehr gute Idee war es, das Handbuch mit Literatur (schöner) beginnen zu lassen, und zwar mit einschlägigen Textstellen berühmter Autoren, die ihr Romanpersonal die eine oder andere Erfahrung mit Bibliotheken haben machen lassen. Eine ausgezeichnete Idee, die Bibliothek auch als Metapher fassen zu können und sie im Folgenden mehr und mehr zu erden und zu orten.

 

Denn die Bibliothek ist ja nicht nur ein physischer Ort sondern auch ein Wissensraum, den es zu gestalten gilt. Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass trotz der wachsenden Digitalisierung des Bestandes der lokale Bibliotheksraum nicht im gleichen Maß verschwindet. Im Gegenteil entstehen teils spektakuläre Bibliotheksneubauten, die davon zeugen, dass diese Orte auch eine eminente soziale Funktion haben oder zugeschrieben bekommen. Das konkrete Buch behauptet sich im Umfeld der Digitalisierung, von e-Research, Open Access und elektronischem Publizieren. Ein Kapitel des Handbuchs stellt die Frage, ob es sinnvoll ist, die Bibliothek als Betrieb (im ökonomischen Sinn) zu fassen. Vermutlich lässt sich diese Frage nicht wirklich beantworten, ein Ausblick wird gleichwohl versucht: „Ein systematisches Innovationsmanagement muss sicherstellen, dass neue technologische gesellschaftliche, künstlerische oder bildungspolitische Entwicklungen identifiziert, bewertet und soweit passend in das Produkt- und Dienstleistungsportfolio aufgenommen werden.“

 

Letztlich heißt die Frage also nicht, ob Bibliotheken eine Zukunft haben, sondern wie wir (wer das auch immer sein mag) sie uns vorstellen, die Bibliothek der Zukunft.

 

Dieter Wenk (1-13)

 

Konrad Umlauf/Stefan Gradmann (Hrsg.), Handbuch Bibliothek. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart-Weimar 2012 (J.B.Metzler)

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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