13. Januar 2013

Echos aus der geschlossenen Gesellschaft

Mann mit Frosch, 1987 © Florian Merkel

 

Die Berlinische Galerie zeigt in einer international erstmalig umfassenden Schau mehr als 240 Werke der DDR-Fotografie

 

Die Ausstellung umfasst eine Zeitspanne von 40 Jahren (1949–1989) und zeigt in drei Kapiteln „Sozial engagierte Fotografie“, „Bildsprache der Moderne“ und „Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten“ unterschiedlichste künstlerische Positionen von 34 DDR-Fotografen, u. a. von Ulrich Wüst, Tina Bara, Thomas Florschuetz, Lutz Dammbeck, der im Mai 2012 verstorbenen Ursula Arnold und Sven Marquardt. Längst sind einige Bilder der Ausstellung in das kollektive Bildgedächtnis eingegangen und bereits 1992 gab es in der Berlinischen Galerie eine wesentlich kleinere Ausstellung. Zum 20-jährigen Mauerfall-Jubiläum 2009 wurden bereits zwei bemerkenswerte DDR-Fotografieausstellungen gezeigt: Ostzeit-Geschichten aus einem vergangenen Land im Haus der Kulturen der Welt und Übergangsgesellschaft in der Akademie der Künste. Drei Jahre später kann nun endlich eine umfassendere Ausstellung präsentiert werden, die auch internationales Publikum anzieht.

 

Der Kunstwissenschaftler Ulrich Domröse, Hauptkurator der Ausstellung und Leiter der Fotosammlung der Berlinischen Galerie, legte zu Beginn der 80er Jahre den Grundstein für die DDR-Sammlung, die heute 2.000 Arbeiten umfasst. DDR-Fotografie war im Nachwende-Chaos kein Sammelobjekt und Domröse konnte mit nur 200.000 D-Mark, die ihm die damalige „Abteilung zur Minderung der Folgen der Teilung Deutschlands“ des Bonner Innenministeriums zur Verfügung stellte, seine Sammlung aufstocken. Fotografien von Arno Fischer, der mit Sybille Bergemann verheiratet war, konnte er damals für 50 Ost-Mark erstehen. Eine aus heutiger Sicht lächerliche Summe. Allerdings war dies für die Künstler schon ein Vermögen, bedenkt man, dass die Fotografen ungefähr 20 Ost-Mark für ein Bild bekamen. Fotografie galt bis Ende der 70er Jahre als Gebrauchsgrafik, was selbstredend den künstlerischen Wert der Arbeiten schmälerte. Diese wurde erst 1977 mit der Ausstellung „Medium Fotografie“ in Halle als künstlerische Ausdrucksform gewürdigt. Domröse erkannte wohl schon damals den potenziellen Wert dieser Arbeiten, was den Sammlerwert für DDR-Fotografie in der heutigen Zeit nur steigern könnte.

 

Der Untertitel der Ausstellung „Künstlerische Fotografie in der DDR 1949–1989“ verweist gleichzeitig auf den inhaltlichen Ausstellungsfokus. Laut Domröse geht es in der Ausstellung „nicht darum, die DDR in Bildern zu zeigen“, sondern die künstlerischen Aspekte zu betonen, die ein ebenso kritisches Potenzial intendieren können. Innerhalb der kunsthistorischen Aufarbeitung zur DDR-Kunst führt die Fotografie, im Gegensatz zur Malerei, immer noch ein Nischendasein. Dies liegt hauptsächlich darin begründet, dass sich die DDR-Fotografie bis in die 80er Jahre als sozial dokumentarische Fotografie verstand. Auf die angewandte Fotografie wurde in der Ausstellung komplett verzichtet, da sich diese in der DDR immer den Erwartungen der Auftraggeber beugen musste. Die sozial engagierte Fotografie hatte eine Vertreterfunktion für kritische Medien. Hier konnte eine Realität gezeigt werden, die es so in den DDR Medien nicht gab und auch politisch nicht gewollt war.

 

Diejenigen Fotografen, die sich nicht der Parteidoktrin unterwerfen wollten, mussten eine eigene Bildsprache finden, die sich weniger affirmativ dem Kollektiven widmete, sondern vielmehr subjektive, individuelle, nicht plakative, aber dafür umso vielschichtigere Zugänge zum DDR-Alltag schaffte. Unproblematisch war natürlich auch dies nicht: Jens Rötzsch, der in grellbunten Farben Militärs, Parteitagsparaden, skurril spießige „Freizeitindianer“, aber auch ganz gewöhnliche Menschen porträtierte, beschreibt im Nachhinein, dass sich das Arbeiten oft wie „ein Kriegseinsatz“ anfühlte, „einfach Kopf runter und durch“. Gundula Schulze Eldowy, die mittlerweile einem größeren, generationenübergreifenden Publikum u. a. durch das wunderbare Filmporträt „Ostfotografinnen (2006)“ bekannt sein dürfte und zuletzt 2011 im c/o Berlin eine fulminante Einzelausstellung hatte, berichtet in ihren Erzählungen über Verhörsituationen mit der Staatssicherheit. Ihre sensiblen, bisweilen ins Groteske, Absurde gleitenden Körperporträts konterkarieren den vom DDR-Sportsystem geförderten und durchtrainierten „Volkskörper“, der bereits vom Zerfall und Zerbrechlichkeit gezeichnet war.

 

Die Berliner Edisonstraße, 1965 aufgenommen, ist bei Evelyn Richter noch ein Traum für alle Autohasser; sie glich, wie so viele Berliner Straßen, einer Allee. Dies änderte sich bis zur Wende kaum. Wer die Edisonstraße heute kennt, weiß, dass dies auch in Berlin-Köpenick der Vergangenheit angehört. Matthias Hoch suchte in den 80er Jahren urbane, alltäglich frequentierte Orte auf, um den drohenden Zerfall der DDR zu dokumentieren. Seine Sicht eines U-Bahn-Eingangs am Alexanderplatz war ein déjà-vu-Erlebnis für mich; wie oft bin ich dort wohl umgestiegen, habe die türkisblauen Fliesen betrachtet und gehofft, dass irgendjemand diese Architektur fotografisch festhalten wird. Die pastöse Kolorierung seiner Fotografien, die bisweilen an Arthaus Filmklassiker der 70er Jahre erinnert, passt nicht so recht in seine Zeit. Der Grund dafür ist einfach: Die Qualität von DDR-Farbfilmen war einfach so schlecht. Man kann dies auch als kritischen Wink auf den beginnenden Untergang der DDR lesen oder es einfach nur wunderschön finden. Ulrich Wüst arbeitet in seiner Schwarz-weiß-Serie „Berlin 1982“ ein architektonisches Porträt Berlins heraus: Architektur kann hier, aber auch in den Bildern Peter Oehlmanns, als disziplinierende Unterweisung gelesen werden, geometrisch schön, aber menschenleer. Der bereits verstorbene Christian Borchert suchte Anfang der 80er Jahre bekannte und unbekannte Menschen in ihren Wohnungen auf und schaffte damit soziologische Milieustudien: Zeig mir, wie du wohnst, und ich weiß, wer du bist! Die Habitustheorie griff eben auch in der DDR: Bert Papenfuß, der aktuell die Kneipe Rumbalotte betreibt, fläzt sich lässig nebst Familienanhang auf einer überdimensionalen Polsterlandschaft, hingegen die Familie eines Schutzpolizisten und einer Montiererin wie Gardesoldaten vor einer MDW-Schrankwand posiert.

 

Grellbunt sind auch die Fotografien Florian Merkels. Man denkt an Warhols Pop-Art-Bilder. Doch hier werden punkig sensible, androgyne Helden und „Froschkönige“ gezeigt, die so gar nicht dem role model des gestählten Mannes im Arbeiter- und Bauernstaat entsprechen. Sven Marquardts Rebellen und Großstadtgestalten, ebenfalls kurz vor dem Mauerfall aufgenommen, sind, wie man es von ihm kennt, provokanter und martialischer.

 

Wieso die Arbeiten Ute und Werner Mahlers oder Harald Hauswalds fehlen, bleibt hingegen unklar.

 

Elke Stefanie Inders

 

Berlinische Galerie: Geschlossene Gesellschaft

Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989
5. Oktober 2012 bis 28. Januar 2013