13. Januar 2013

Spuren der Vergangenheit

 

Als die amerikanische Zeitschrift Ramparts im Jahre 1967, auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs, die Abhängigkeit vieler westlicher Intellektueller vom amerikanischen Geheimdienst CIA offenlegte, war die Empörung groß. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der von der CIA alimentierte „Kongress für kulturelle Freiheit“ (Congress for Cultural Freedom – CCF) intellektuelle Zeitschriften wie Der Monat, Preuves, Encounter, Cuadernos, Cadernos Brasileiros, Tempo Presente, Forum, Quadrant, Quest oder Transition in Europa, Afrika, Lateinamerika und Australien finanziert, die während des Kalten Kriegs die Interessen des Westens vertreten sollten. Die schmutzige Seite dieser Organisation offenbarte sich in der „Operation Phoenix“ in Südvietnam, in der die CIA mindestens zwanzigtausend Zivilisten liquidierte, die im Verdacht standen, den kommunistischen Untergrund zu unterstützen. Viele Intellektuelle gaben vor dem Publikum die Entrüsteten und Empörten und versicherten, sie hätten von dieser Alimentierung nichts gewusst. Der New Yorker Intellektuelle Dwight Macdonald sprach für viele, als er schrieb, er fühle sich betrogen und angeekelt, doch blieb zweifelhaft, ob die Intellektuellen tatsächlich von den amerikanischen Umtrieben auf dem Schlachtfeld der Kultur nichts mitbekommen hatten. Jahrzehnte später arbeitete die britische Historikerin Frances Stonor Saunders in ihrem Buch Who Paid the Piper? (1999 – dt. Wer die Zeche zahlt … [2001]) die Geschichte der intellektuellen Verfilzung mit Agenturen der Macht detailliert auf. Der Leser werde mit diesem Buch, hieß es in der Verlagswerbung, in eine Zeit zurückversetzt, „als Politik alles war und Spione mit Geld den Preis der Kultur kannten“.

Einen weitaus weniger aufgeregten Blick auf diese Geschichte wirft Andrew Rubin in seinem Buch Archives of Authority. Für ihn ist die Allianz von Geheimdiensten und Intellektuellen weniger ein Beispiel für die Korruption des Geistes durch die Macht denn der Versuch, in der bipolaren Auseinandersetzung zwischen den politischen Blöcken in Ost und West eine „Weltkultur“ zu begründen. Diese Vorstellung einer globalen oder universalen Kultur war im Grunde eine machtpolitische Umdeutung des Goethe’schen Konzepts einer „Weltliteratur“, die universalen (wenn auch damals eurozentristischen) Ansprüchen genügen sollte. Im Kalten Krieg wurde diese „Weltliteratur“ jedoch – wie beispielsweise Erich Auerbach mit vollem Recht befürchtete – zu einem standardisierten und homogenisierten Produkt der jeweils Herrschenden, einer Art singulären literarischen Kultur.

Für Rubin ist die Allianz von Intellektuellen und Agenturen der Macht weniger eine Frage der Korruption denn eine der „Professionalisierung“. Der Intellektuelle der Vorkriegszeit wurde zum Sozialfall; nur wer sich den Gegebenheiten restlos anpasste, konnte überleben. Mit dem Triumph des Faschismus und der Militarisierung der Gesellschaft endeten auch die „little magazines“ der Avantgarde und die Antriebskräfte der Moderne. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich mit der Globalisierung und Dekolonialisierung nicht allein neue Arten der kulturellen „Vermittlung“ und „Indoktrination“ durch, sondern es etablierte sich – durch Institutionen wie den British Council, den CCF, die United States Information Agency, das Information Research Department (IRD) oder die Rockefeller- und Ford-Stiftungen – eine „globale Öffentlichkeit“, in welcher der Intellektuelle als „eingebetteter Autor“, als Agent der Kommunikation, Übersetzung und Transmission agierte.

Am Beispiel George Orwells beschreibt Rubin die Mechanismen der Globalisierung der Literatur im Kalten Krieg. Orwells Romane Animal Farm (1945) und Nineteen Eighty-Four (1949) prägten nachhaltig den Diskurs über den „Totalitarismus“ und wurden von Regierungsagenturen – vor allem vom IRD in seinem Bestreben, antikoloniale Bewegungen im zerfallenden britischen Empire in antikommunistische Strömungen zu dirigieren – weltweit übersetzt und vertrieben. Dabei war Orwell nicht allein ein literarischer Produzent, dessen Werke politisch verwertet wurden, sondern offenbar auch ein aktiver Zuarbeiter des britischen Geheimdienstes. Im Jahre 1996 wurde ruchbar, dass der linke Antifaschist und Antistalinist Orwell eine Liste von fünfunddreißig „Kryptokommunisten und Fellow-Travellern“ (darunter befanden sich die Namen von Charlie Chaplin, J. B. Priestley, Michael Redgrave, E. H. Carr und Isaac Deutscher) an den britischen Geheimdienst lieferte. Für spätere Kommentatoren wie Christopher Hitchens (der Orwell 2002 in der New York Review of Books gegen Vorwürfe in Schutz nahm, er habe, ähnlich wie Winston Smith in Nineteen Eighty-Four, mit der realen Gedankenpolizei kollaboriert) ist diese Episode nicht mehr als eine historische Petitesse, die keineswegs an Orwells Reputation kratze. Nichtsdestotrotz ist Orwells Roman wie kein anderes zeitgenössisches Werk von Agenturen des Kalten des Kriegs übersetzt und in der Welt verteilt worden.

Ähnlich wie im Falle Orwell setzte sich mit der neuen „Weltkultur“ eine klar definierte Perspektive auf die sozialen und kulturellen Entwicklungen in der Nachkriegswelt durch. Dank der Alimentierung durch Agenturen des Kalten Kriegs konnten auch Schriftsteller und Künstler von der Globalisierung des Markts profitieren. Autoren wie Lionel Trilling, die New Yorker Intellektuellen, Dichter wie R. P. Blackmur, Neo-Expatriates wie Richard Wright oder James Baldwin waren Nutznießer des sich ausweitenden globalen Netzwerks.

Auf der anderen Seite hatte die ideologische Justierung an den strikten Dichotomien von Ost und West ihre negativen Auswirkungen, die Rubin am Beispiel des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung beschreibt. Anders als Willem van Reijen und Jan Bransen betont Rubin, dass sich der Wechsel von explizit marxistisch geprägten Begriffen zu allgemeineren Termini vor allem der permanenten Beobachtung des Instituts durch das FBI und andere antikommunistische Agenturen der USA geschuldet sei. Obgleich Rubin zuweilen die politische Dimension des Kalten Kriegs zugunsten einer „kulturalistischen“ Version dieser historischen Epoche ausblendet, zeigt er doch viele originelle Spuren auf, die eine neue Kartografierung dieses geschichtlichen Terrains ermöglichen. Die Indienstnahme von Intellektuellen endete nicht mit dem Kalten Krieg. Auch während des „Kriegs der Kulturen“ im Irak und Afghanistan agierten Geistes- und Kulturwissenschaftler im Auftrag der US-Armee als kulturelle Datensammler. Als „eingebettete Wissenschaftler“ sollten sie zur Rettung des „Weltkulturerbes“ beitragen. So wird die jüngst begründete „Tradition des Intellektuellen“ im Machtgefüge des politisch-militärischen Komplexes fortgeschrieben.

Jörg Auberg

 

Andrew N. Rubin: Archives of Authority. Empire, Culture, and the Cold War. Princeton: Princeton University Press, 2012. 192 Seiten. 39,50 US-Dollar.

 

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