23. November 2012

Playground

 

Was erwartet einen in einem Buch, in dem jede Menge 50 Cent in der Hauptfigur stecken soll? Immerhin ist besagter Gangsta-Rapper nicht unbedingt strafunauffällig geblieben und sein Leben war alles andere als unbewegt. Curtis Jackson III, alias 50 Cent, wurde 1975 in Queens geboren. Seinen Vater kennt er nicht, seine Mutter, eine Crackdealerin, wurde ermordet, als er gerade acht war. Fortan lebte er bei seinen Großeltern. Mit zwölf handelte er selbst mit Drogen und verbüßte bis zu seinem 18. Geburtstag bereits mehrere Haftstrafen. Von Jam Master Jay entdeckt, von seinem Label und bald darauf von Columbia Records unter Vertrag genommen, endete im Mai 2000 50 Cents Karriere wieder, bevor dort sein Debütalbum herausgegeben wurde. Jackson war kurz zuvor zunächst niedergestochen und später angeschossen worden und Columbia fürchtete Negativschlagzeilen. Er kehrte in die Welt der Drogen zurück und bekam eine zweite Chance, als Eminem ihn 2002 unter Vertrag nahm. Neben seinen Drogendelikten wurde 50 Cent auch wegen Körperverletzung angeklagt und erhielt 2005 bei seiner Verurteilung zwei Jahre auf Bewährung und die Auflage, sich regelmäßig Antiaggressionstraining und Drogentests zu unterziehen. Das ist die eine Seite. Darüber hinaus ist 50 Cent jedoch für seine Alben und Singles mehrmals ausgezeichnet worden. Mit dem American Music Award, Platin und Gold, dem Bravo Otto, dem Echo, Brit Awards oder auch dem Grammy. Auch die Filme, in/an denen er mitwirkte, etwa der über sein Leben (Get rich oder die tryin‘), wurden kontrovers diskutiert. Vor allem der gerade genannte, in dem genau wie in vielen seiner Lieder Waffengebrauch und damit Gewalt verherrlicht wird. playground ist übrigens nicht das erste Buch, an dem er beteiligt ist. 2005 erschien bei Hannibal Dealer, Rapper, Millionär von 50 Cent und Kris Ex. Und auch ansonsten vermarktet der 37-Jährige sich selbst geschickt. Sei es mit Klingeltönen oder Bekleidung, Computerspielen, Heftromanen oder Getränken. 2006 soll er laut Forbes Magazine 32 Millionen Dollar verdient haben.

 

Alleine nach dem Blick auf seine Biografie war ich geneigt, meiner Nichte zu sagen: Finger weg. Anderseits soll laut Verlagsseite beispielsweise Bette Midler gesagt haben: „Ich verneige mich vor 50 Cent, weil er dieses Buch geschrieben hat.“ Die ist ja nun nicht gerade für Gangsta-Rap und Hardcore-Filme bekannt. Und außerdem verlegt rowohlt POLARIS das Buch. Der 2010 gegründete Verlag will mit jedem seiner Titel Besonderes bieten. Jährlich sollen beispielsweise 12 Titel im Bereich Belletristik herauskommen. playground ist dieses Jahr einer dieser Titel. Es sollen Spannung, Fantasy und Humor dominieren, wie man auf der Homepage sehen kann. Das alles in niveauvoller Form für alle zwischen 16 und 66.

 

Ich ging anhand der Inhaltsangabe davon aus, dass Fantasy und Humor in playground sicher nicht dominieren würden, womit nur die Spannung blieb. Und die beschränkte sich bei mir anfangs ganz profan auf Dinge wie etwa die Sprache. Gettoslang? Auf so jugendlich getrimmt, dass ältere LeserInnen vielleicht Verständnisprobleme damit haben? Ergeht sich der Roman in einer ausführlichen Beschreibung des Drogenmilieus? Verherrlicht er Waffen? Strotzt er vor Gewaltexzessen? Die Titel der 50 Cent Alben/Singles (etwa The Massacre oder Before I self destruct) stimmten mich diesbezüglich nicht sehr hoffnungsfroh.

 

Liegt es daran, dass zum Schreiben des Buchs Laura Moser herangezogen wurde, die vermutlich nach Gesprächen mit dem Rapper die Finger auf die Tastatur niederprasseln ließ. Sie steht zumindest unter 50 Cent auf dem Titelblatt innen und wird auch etwa bei Amazon als Autorin genannt. Oder daran, dass 50 Cent heute anders denkt als vor einigen Jahren. Jedenfalls wurde keine meiner negativen Befürchtungen bestätigt. Und gleich vorab: Die Altersgruppe stimmt. Mir bleiben zwar noch einige Jahre, bis ich 66 bin, doch bin ich schon wesentlich länger keine 16 mehr. Die Sprache ist verständlich und klar und für die gesamte anvisierte Altersgruppe geeignet. Ob dies an der Übersetzung liegt, weiß ich nicht, da ich das Original nicht gelesen habe. Auf alle Fälle tauchte ich gleich anfangs in die dicht gesponnene, authentische Atmosphäre der Geschichte ein. Ich litt mit den Figuren. Ich ärgerte mich mit ihnen und über sie. Ich entwickelte Verständnis für sie.

 

Sie könnten übrigens auch gleich nebenan wohnen. Die Geschichte spielt zwar in einem Vorort von New York City in der jüngeren Vergangenheit. Doch beides könnte ohne Probleme getauscht werden.

 

Obwohl verfickt, Scheiße und ähnliche Worte verwendet werden, gibt es keine Fäkalsprache im eigentlichen Sinn, die gerade angesprochenen Formulierungen tauchen nur relativ begrenzt auf. Obwohl Gewalt vorkommt, wird sie nicht verherrlicht. Schusswaffen beispielweise finden, genau wie Messer oder Schlagringe keinen Platz in der Geschichte. Von Jugendgangs ist nicht wirklich die Rede und auch Drogen werden nur in einem einzigen Satz erwähnt. Einbrüche? Nein. Diebstahl? Ja, man liest davon, aber auch Stehlen bestimmt nicht den Alltag der Hauptfigur.

 

Stattdessen nimmt man mehr oder weniger teil an einem Dasein in einer relativ harmlosen Vorortgemeinschaft. Ich habe jetzt bewusst das Wort Dasein gewählt, denn himmelblau und wunderschön ist das Leben dort jedoch bei Weitem nicht automatisch. Trostlos trifft es für einige viel eher. Und die Schule ist ein Ort, der Angst machen kann. Nicht weil dort pausenlos Gewaltexzesse beschrieben werden. Selbst Taschengeldabzocke bekommt man nur ganz am Rand mit. Angst macht eher die Denkweise mancher Schüler, die Unterdrückung und Ausgrenzung, das Wegsehen und Tolerieren. Falsch verstandener Respekt und absolute Respektlosigkeit angesichts nicht vorhandener oder extrem verschobener Wertvorstellungen. All das gibt es nicht erst seit wenigen Jahren und nicht nur in den Staaten. Doch über die Jahre hat sich dieses Verhalten stark verschärft und in dieser verschärften Form auch an vielen unserer Schulen Einzug gehalten. Ich kenne mehr als ein Kind, das Angst hat, in die Schule zu gehen. Nicht wegen schlechter Noten oder den Lehrern, sondern einzig wegen anderer Schüler. Das Kind einer Bekannten war so unter Druck, dass es sich erst nach einem Selbstmordversuch seinen Eltern anvertraute. Die Hauptfigur aus playground steht jedenfalls am Scheideweg. Geht es für sie einfach trostlos weiter oder verpfuscht sie sich ihr Leben?

 

Diese Hauptfigur heißt Burton. Den Namen erfährt man erst relativ spät, immerhin ist der 13-Jährige allen eher als Butterball, B-Ball, oder auch alte Speckschwarte und Fettschwabbel bekannt. Nach der Trennung seiner Eltern zog er mit seiner Mutter in einen Vorort, musste eine neue Schule besuchen. Sowohl die Trennung als auch der Neuanfang machen Butterball zu schaffen, ist er doch meist sich selbst überlassen. Er nimmt zu, ist übergewichtig, was nicht gerade zu seiner Beliebtheit beiträgt. Alte Freundschaften scheinen nicht zu existieren. Neue sind auch nach zwei Jahren spärlich gesät. Genauer gesagt gibt es da nur Maurice. Doch die beiden verbindet als Außenseiter eher eine Zweckgemeinschaft. Und dann ist da noch Nia, die freundlich zu Butterball ist. Obwohl sein Vater selten Zeit für ihn hat, bedeutet er dem Jungen viel. Und obwohl auch seine Mutter angesichts ihrer Ausbildung und Arbeit so gut wie nichts mit ihm unternehmen kann, fühlt er sich nach außen nur bedingt allein und ist froh, wenn man ihn in Ruhe lässt.

 

Eines Tages passiert etwas, was alles durcheinanderwirbelt. Damit startet der Roman im Grunde genommen. Weil Butterball denkt, dass Maurice Lügen über ihn verbreitet, will er ihm das Maul stopfen und verprügelt ihn brutal. Die Wirkung dieser Aktion ist fatal und so realistisch dargestellt, dass sie erschüttert. Sein Vater hält ihm mehr oder weniger eine Standpauke. Nicht für das, was er getan hat, sondern dafür, dass er sich hat erwischen lassen. Nia hat Angst vor ihm und blickt gleichzeitig zu ihm auf. Seine Mutter steckt ihn in Zusammenarbeit mit der Schulleitung in eine Gesprächstherapie, damit er nicht von der Schule fliegt. Und ansonsten kennen ihn plötzlich Leute, die ihn vorher bestenfalls nicht beachtet oder verhöhnt haben. Klopfen ihm anerkennend auf die Schulter. Diese Anerkennung will er sich nicht gleich wieder verscherzen und tut deshalb Dinge, hinter denen er nicht wirklich steht.

 

Auf die Gesprächstherapie hat er absolut keine Lust, sieht aber ein, dass sie nötig ist, um nicht von der Schule verwiesen zu werden. Also geht er widerwillig hin. Und was anfangs unmöglich scheint, vollzieht sich in aller Stille. Er beginnt sich seiner Therapeutin, für die er zunächst allenfalls so etwas wie wohlwollende Verachtung übrig hat, zu öffnen.

 

50 Cent und Laura Moser lassen Butterball seine Geschichte selbst erzählen. Dies geschieht zum Teil so, dass er LeserInnen an den Sitzungen bei seiner Therapeutin Liz teilnehmen lässt, dann wieder rückblickend den Fokus darauf lenkt, was letztlich überhaupt zu diesen Sitzungen geführt hat. Und zwar in einem Stil, der berührt, nachdenklich macht und wie bereits erwähnt auch erschüttert.

 

In 34 Kapiteln lernen LeserInnen nach und nach keinen tollwütigen Schläger kennen. Vielmehr offenbart sich ein einsamer Junge, der neben seiner Wut auch seine Ängste unterdrückt, seine Hoffnungen eigentlich schon aufgibt, bevor er sie sich zu sehr ausmalt. Der nicht viel über Gefühle redet, weil er das von zuhause nicht gewohnt ist. Der sich verzweifelt nach Anerkennung sehnt. Erfährt von seinen Träumen und Wünschen. Lernt ihn schlagfertig und sarkastisch kennen. Teils verbittert, teils selbsteinsichtig. Und fatalistisch, denn im Grunde geht er davon aus, ja doch keine Chance zu haben. Butterball fühlt sich wertlos, denkt, bestimmte Dinge verdient zu haben. Angesichts des Umgangstons oder auch des Erziehungsstils seines Vaters scheint dies kaum verwunderlich. Die Werte, die ihm seine Mutter vermitteln will, sieht er größtenteils nicht. Obwohl er nicht gänzlich respektlos ist, fehlt es ihm an Respekt. Trotzdem kann der Junge durchaus zwischen Recht und Unrecht unterscheiden und beginnt nachzudenken. Wie 50 Cent hat auch Butterball eine kreative Ader, wenngleich er diese nicht durch Musik ausdrückt. Findet er damit einen Ausweg aus seiner Situation?

 

Wer in playground so etwas wie eine reine Milieustudie von 50 Cents Jugend und Drogenzeit oder Ähnliches, reißerisch von einem Ghostwriter aufgemotzt, erwartet, sollte die Finger von dem Buch lassen. Curtis Jackson III, alias 50 Cent, weiß durchaus, wie man zum Schläger wird, und hat Erinnerungen aus seiner Jugend (aller Wahrscheinlichkeit nach extrem abgemildert, jedoch nicht geschönt) in die Geschichte einfließen lassen. In der Einleitung meldet er sich selbst zu Wort und erinnert seine Leser an etwas, was er in seinem von Höhen und vielen Tiefen geprägten Leben gelernt hat. „Ein Schläger zu sein bringt dich nirgendwohin.“

 

Antje Jürgens

 

 

50 Cent: playground

Originaltitel playground
aus dem Amerikanischen übersetzt von Rainer Schmidt

rowohlt POLARIS
ISBN: 9783862520329
Taschenbuch, 192 Seiten

[D] 13,95 €

Verlagsseite www.rowohlt.de/verlag/rowohlt-polaris

Autorenseite www.50cent.com

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