6. Mai 2012

Für eine neue Secession!

 

 

 

Gibt es eine Kunst nach der Kunstmarktkunst? Kann es sie geben? Wer hätte ein Interesse an ihr, die man wieder „modern“ nennen können dürfte? Nach der, die Eduard Beaucamp, langjähriger Kunstkritiker der FAZ, als „kapitalistische Moderne“ qualifiziert!?  Es müsste eine Kunst sein ohne Epitheta wie „post“ oder „nach“. Irgendetwas Substanzielles müsste her, das aus sich heraus entstünde, keine Kontextkunst, keine Allusionskunst. Kandidaten dafür sieht Beaucamp allerdings noch nicht.

Aber es ist ja auch nicht wenig, den ganzen Zirkus der Kunst als Event an den Pranger zu stellen, also an der Kunstleitstelle zu kratzen. Das macht Spaß und gefällt auch anderen. Also die Editionen des Immergleichen zu diffamieren. Aber auch schon das Immergleiche als Immergleiches. „Seinesgleichen geschieht“ bei zu vielen Künstlern. Wie sollen wir da die „ominösen Sehgewohnheiten“ endlich abstreifen können. Wo bitte geht es raus aus der Bestätigungs- und Verfestigungskunst? Und seit wann stecken wir in dieser fatalen Schlaufe? Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre?

Der „Äquilibrist“ Gerhard Richter scheint mehr als ein Symptom zu sein. Als Vignette handwerklicher Perfektion lässt sich mit ihm bequem alles Dilettantische verabschieden. Als Konzept-Dualist spielt er elegant auf der spinozistischen Klaviatur von natura naturata und natura naturans. Überbieten lässt sich das kaum. Nur könnte man fragen, ob Richters süffige Kunst mehr bietet als eine wenn auch faszinierende Geisterbahnfahrt. So viel zur Westkunst. Ob allerdings eine Kunstrenaissance mit Unterstützung aus dem Osten zu erwarten ist? Eduard Beaucamp hat ein Faible für Werner Tübke. Interessant ist für ihn überhaupt jede Kunst, die sich ihre Freiheit erst erkämpfen muss. Und der man diesen Kampf auch ansieht. Also nicht in erster Linie spielerischer Witz, und sei er auf noch so hohem Niveau; viel eher eine Blick- und Energieumleitungskunst, die aus Not entsteht und am Ende so souverän wie klammheimlich einen Stachel platziert haben wird, der sich übersetzen ließe ins Leitplankenhafte.

Eduard Beaucamp geht damit wieder zurück in die Anfangszeit moderner Kunst, als der Wille groß war zu verändern und man alles wollte, nur nicht die Vergangenheit verlängern.  Hundert Jahre später stehen wir vor einer ähnlichen Situation, nur reißt niemand mehr das Maul auf. Vielleicht müsste Kunst wieder mehr als Gruppenphänomen stattfinden, als gereihte Position, und das müsste etwas anderes sein als eine Gruppenausstellung. Es müsste eine verzweifelte Kraft dahinterstehen, mehr Kraft als Verzweiflung, durch Verzweiflung gegangene Kraft. Bacon und Nauman zusammen, aber nicht als Genickbrecher und Fußangel, sondern als eigenartige Katalysatoren, die das Atelier verlassen. Aus Nischen und marginalen Plätzen Märkte machen mit der Überzeugung, dass es noch etwas zu sagen gibt. Wer ist Anfänger genug?

Nicht alle der in diesem Band versammelten gut achtzig Kolumnen für die FAZ (2005-2011) gehen aufs Ganze. Beaucamp stellt immer wieder auch die Frage nach der Rolle zeitgenössisc her Kunstmuseen, wirft Blicke in den Osten Deutschlands (Rauch u.a.), stellt die Kirche als neu-alte Auftraggeberin für Künstler vor und beschäftigt sich mit der Macht der Sammler, die sich nicht mehr damit begnügen, in schon bestehende Museen zur Untermiete einzuziehen.

Wiederholungen lassen sich in diesen gut dreiseitigen Texten wohl nicht ganz vermeiden (vieles kennt man auch schon aus früheren Publikationen (Zeitung und/oder Buch)), aber in ihrem jeweiligen Zuschnitt sind diese Texte allemal lesenswert und immer unterhaltsam.

Dieter Wenk (4-12)

 

Eduard Beaucamp, Kunststücke. Ein Tanz mit dem Zeitgeist, Hamburg 2012 (Philo Fine Arts)

 

Cohen + Dobbernig

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