9. März 2012

Multiple Persönlichkeiten

Kleon Austin, Skizzenbuch online
Chris Ware, the Acme Novelty Date Book, 1986-95, Drawn & Quaterly.
Obere Reihe: Cnristoph Blain, links: Carnet de Polair, castermann 1997, rechts: Carnet de lettonie,Casterman 2005. Untere Reihe Shaun Tan »Der Vogelkönig und andere Skizzen«, Carlsen 2011
Christophe Blain, Carnet de Lettonie, Casterman 2005
Christophe Blain, Carnet de Lettonie, Casterman 2005
Shaun Tan « Der Vogelkönig und andere Skizzen », Carlsen 2011
Robert Crumb, Katalogcover Museum Ludwig 2004
Robert Crumb, Endzeitcomics 1977-85, Zweitausendeins,1990
Robert Crumb, Endzeitcomics 1977-85, Zweitausendeins,1990
Chris Ware, The Acme Novelty Date Book, 1995-02, vol.2, Drawn & Quaterly
Chris Ware, wie Bild 2 u.10, Robert Crumb wie Bild 9, sowie R.Crumb Sketchbook November 1974 to January 1978, Zweitausendeins 1990
Art Spiegelman, „Be a Nose“, Mc Sweeny´s 2009. Kunstverweis auf John Currin u. Max Beckmann
Stiche-Erinnerungen, David Small, Carlsen, 2012
Stiche-Erinnerungen, David Small, Carlsen, 2012

 

Skizzenbücher sind ein ideales, privates Übungsfeld von Comickünstlern, jenseits einer allgemeingültigen Lesbarkeit, für die sie normalerweise stehen. In ihnen können sie die Verkettung der Bilder und Worte lösen. Damit begeben sie sich auf das Gebiet der freien Kunst. Auch ein Grund, nach Kunstverweisen in den Skizzenbüchern zu suchen. Die Skizzenbücher können aber auch - Im Hinblick auf das Versprechen der Kunst, dass mit ihr mehrere (Lebens-)Wirklichkeiten stilsicher verbunden werden können - als eine andere Form von Lebenswirklichkeit jenseits des Comicgenres gelesen werden.

Obwohl die meisten Comickünstler mit Skizzenbüchern arbeiten, gibt es im Verhältnis zu deren offizieller Produktion wenig veröffentlichte oder gar faksimilierte Skizzenbücher. Gefunden habe ich Bücher von Christophe Blain, Robert Crumb, Art Spiegelman, Chris Ware und Shaun Tan. Joann Sfra, Austin Kleon und Tom Gauld nur in digitalisierter Form. Verzichtet habe ich auf die von den Hernandez- Brüdern, Seth und Adrian Tomine, die mir nicht als wirkliche Skizzenbücher, sondern als nachträglich zu Büchern zusammengestellte Zeichnungen erschienen. 

Im anfangs genannten Sinne zeigen die Skizzenbücher von Christophe Blain, Art Spiegelman, Chris Ware und Shaun Tan eine andere Lebenswirklichkeit der Zeichner, als man sie von ihren Comics kennt. 

Den Initialkick gab Shaun Tans „Vogelkönig“, ein Kompendium aus seinen Skizzenbüchern  auf La Palma. Ganze Tage lebte ich in einer dichten Blase der Bewunderung. Da ich ihn auf Spanisch, das ich weder sprechen noch lesen kann, kaufte, versuchte ich die ganze Zeit, Tans Herkunftskontinent zu erraten. Die Erregung des selbst auferlegten Rätsels sensibilisierte mich zusätzlich. Das Buch bezaubert durch lichte, Peter-Doig-artige Landschaften sowie eine geheimnisvoll, physisch spürbare  Nähe zu Tieren. Zeichnungen, die sich mit storyboardartigen Ideenfragmenten abwechseln. Angetrieben durch ein idiosynkratisches Interesse an einer androiden Morphologie von Ding, Mensch und Tier – meist niedlich, wie von einem Kinderbuchillustrator, der er auch ist.

Die Skizzenbücher der Comickünstler zeigen, wer und was noch in ihnen steckt. Als folgten sie der Devise, möglichst viele sein zu wollen. Gemäß dem Spruch, dass man viel gewesen sein muss, um nichts mehr – oder heißt es nicht mehr?– sein zu wollen. In diesem Sinne sind die veröffentlichten Skizzenbücher ein Plädoyer, möglichst viele Seiten von sich offenzulegen.

Chris Ware ist dafür das beste Beispiel. Seine Skizzenbücher sind eine Mischung aus Selbstzweifeln, sexueller Überspanntheit und Zivilisationshass. Hier zeigen sich mentale Parallelen zu Robert Crumb. Stilistisch aber zeigt Ware in seinen faksimilierten Büchern, zwei Kompendien sind bis jetzt erschienen, ganz andere Wege. In seinen Skizzen überlagern sich Zeichnungen unterschiedlichster Zeichenstile- , -mittel und -genres. Er lässt den Leser tatsächlich an etwas sehr Privatem teilhaben. An Unfertigkeiten, Randnotizen und Gedankensprüngen, Zitaten aus Literatur und freier Kunst. Ganz im Gegensatz zu seinen Comicpublikationen, in denen sich Farben und Figuren hart voneinander absetzen. Während seine Comics wie Konzeptkunst mit menschlichem Antlitz aussehen, wirken seine Skizzenbücher wie ein authentisches Ideenbündel.

Skizzenbücher und Comics laden sich bei ihm gegenseitig auf. Als Einheit gedacht, kommen sie dem Versprechen der Kunst, Wirklichkeiten miteinander  zu verbinden, Gegensätze zu denken und Widersprüche aushalten zu können. Und das heißt, dass man viele sein kann, ohne gesichtslos werden zu müssen. So wie sich eine Gesellschaft daran misst, wie viel und wie viele man in ihr sein kann. 

Nur Robert Crumb bleibt der Gleiche. Seit den 80er Jahren begleiten mich seine Skizzenbücher. In ihnen untermauert er seinen Ruf als begnadeter Sexist, bekennender Kulturpessimist und erfolgreichstes Beispiel eines manischen Zeichners. Doch sie sind auch, wenn auch nur im Subtext, eine Art Lehrbuch. Sie zeigen, dass in der Einfachheit der Mittel, reduziert auf Schwarz-Weiß und einen Stift (ein Rapidograf ?), eine große Freiheit liegt. Crumbs ausufernde Potenz der Ideenvielfalt in Verbindung mit dieser Einfachheit erst steigert den ätzenden Reiz seiner Arbeiten. Alle amorphen Übergänge und Weichheiten, Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen trennt er mit einem Industriestift in Schwarz und Weiß. Ein Stift, entstanden aus dem Gedanke der fototechnischen Reproduzierbarkeit, dessen Virtuosität eben nicht in der Geste oder der Herstellung von Halbtönen liegt. Halb- oder Zwischentöne, die man hier schnell geneigt ist, metaphorisch zu verstehen, gibt es, anders als bei Chris Ware, auch in seinen Skizzenbücher so gut wie gar nicht.  Dafür ist der hpm(hit per minute)- Takt seiner Treffer in den Skizzenbüchern so umwerfend hoch wie nirgends in seinen Comics. Und jeder Treffer geht direkt in die Magengrube. 

Während Art Spiegelman, der Dritte im Bunde der wichtigsten zeitgenössischen Comickünstler, in seinen Faksimile-Büchern vollkommen ausfranst. „Be A Nose!“ sind drei faksimilierte Skizzenbücher aus den Jahren ’79, ’83 und 2007, die inklusiv Leerseiten originalgetreu reproduziert wurden. Dabei findet sich in ihnen nichts Erhellendes über Spiegelman, was man in besserer Form nicht schon hätte wissen können. Außer eben jenen Subtext eines haltlosen Charakters, dem er mit einer solche Reproduktion vielleicht etwas Halt gibt. Doch wirkt dieser publizierte Offenbarungseid eher verstörend. Um Missverständnissen vorzubeugen: Art Spiegelman ist einer der wichtigsten Comiczeichner und Herausgeber, der mit „Maus“ zu Recht einen ergreifenden Welthit geschaffen hat. Aber was seitdem veröffentlicht wurde, blieb bruchstückhaft und wirkte bestenfalls kultiviert unfertig. Die Skizzenbücher zeigen, wie tief diese Verfranstheit in seiner Person verankert ist – als hätte er seinen Stil immer  noch nicht gefunden. 

Szenenwechsel. Neuerscheinung. Gerade ist mir die deutsche Ausgabe „Stiche“ von David Small zugeschickt worden – dafür einen Dank an die Presseabteilung von Carlsen. Ein autobiografischer Comic. Small wurde 1945 geboren und wuchs in Detroit auf. In den 50er Jahren wurde er von seinem Vater, einem Arzt einer Stirnhöhlenvereiterung wegen mit Röntgenstrahlen beschossen. Das war auch in Deutschland nicht unüblich. Bis in die 60er Jahre standen in den Salamander-Schuhgeschäften ( die mit den Lurchi-Comics) noch Röntgengeräte, mit denen man sich seine Füße in den Schuhen ansehen konnte. David Small wuchs ein Krebsgeschwür am Hals, das ihm mit 14 herausgeschnitten wurde. Infolge dessen  er über Jahre seine Stimme verlor. Parallel zur eigenen Geschichte erzählt er die der Sprachlosigkeit in der Beziehung der Eltern. 

Damit zeigt David Small  uns, wie viel er gewesen ist. Krankes Kind, Wissenschaftsopfer, verwilderter Jugendlicher, Komplize der mütterlichen Sexualität und freier Künstler. Und am Ende seiner Geschichte steht Güte. Güte seinem eigenem Schicksal, dem seiner verstockten Mutter und seines schuldbeladenen Vater gegenüber. Heißt das, am Ende unserer Geschichte zählt nur die Güte, jenseits von Vergebung ? Und anders übersetzt, die Bejahung des Lebens, ohne dabei seine Kunstfertigkeit zu verlieren. Gemäß dem Jahrhundertbiograf Marcel Proust und der Erinnerungsgigant Harold Brodkey? 

Zwischenfazit: Indem man sich erinnert, ist man viele: Kind, Sohn, Tochter, Bruder oder Schwester, Schüler, Lehrling usw. Die alle, wenn oft auch verkapselt, in uns leben – wenn wir uns richtig erinnern. Und um sich richtig zu erinnern, dazu gehört eine artistische Kunstfertigkeit. Heißt: Übung, Disziplin und Hingabe. Angetrieben vom Versprechen, dieser Maßlosigkeit (im Fall David Smalls der der Vergangenheit) eine Form geben zu können, wenn schon kein Maß. 

Zurück zu den Skizzenbüchern. 

Auffällig ist, dass in sämtlichen Büchern „gezeichnete Wirklichkeit“ anhand von Landschaften, Häusern, Interieurs, Menschen und Straßenszenen vorkommen. Damit nähren sie den Glauben, anders als die meisten Verabredungen in der zeitgenössischen Kunst, dass die Welt darstellbar ist – dass man sich in ihr bewegend ihr gegenübertreten kann. 

Sollte ich mir ein Skizzenbuch aussuchen dürfen, also ein Buch, mit dem ich der Welt gegenüber treten dürfte, vielleicht würde ich das von Joann Sfra nehmen. In seinen Comics und bis in die Skizzenbücher hinein pflegt er ein verführerisch luftig-locker gesponnenes Gewebe aus Strichwischern und Aquarelltupfern, in das er alles einzubetten versteht – je dichter die Seiten, desto besser. Oder doch lieber das von Shaun Tan und seinen Tieren.  Oder das von Christophe Blain, der in seinen Reisebüchern sein wunderbares Talent als szenischer Landschaftszeichner mit malerischen Qualitäten (vielleicht um seiner akademischer Ausbildung gerecht zu werden) zeigt.  Zeichnungen, die er in „Canet de Lettonie“  vom Buchrand her durch seine Strichmännchen kommentieren lässt. Ein interessanter Ansatz. 

In diesem Sinne wünsche ich mir mehr veröffentlichte Skizzenbücher. 

Und dann sind da noch die digitalen Skizzenbücher von Austin Kleon und Tom Gauld, aber die sind mir dann doch etwas zu schlau. Doch wer’s schlau mag, für den sind diese eine Bereicherung.

 

Christoph Bannat

 

Von: Austin Kleon

 

http://www.austinkleon.com/2009/02/08/sunday-sketchbook/

http://www.flickr.com/photos/deathtogutenberg/sets/72157624175785896/  

http://www.austinkleon.com/2007/01/26/comics-information-design-pt-3-but-is-it-art/

(Kunst-Spaß)

 

David Small:

http://davidsmallbooks.com/sketchbook12.php

 

Tom Gauld:

http://www.flickr.com/photos/tomgauld/6161552109/in/photostream

http://www.flickr.com/photos/tomgauld/6521227169/in/photostream/

(Hockney-Spaß)

 

Joann Sfra:

http://www.toujoursverslouest.org/carnetajojo/carnet01/

(ist, vermute ich, während des Schreibens aus dem Netzt genommen worden)

 

Gerade voller Begeisterung Leon Bloy-unliebsame Geschichten, Edition Weitbrecht, gelesen.