19. Februar 2012

Im Dunkel schauen

BLACK (pedestal #1) 2009–2011, Ed.3, Pigmentprint, 112 x 142 cm
BLACK (left, light) 2009–2011, Ed.3, Pigmentprint, 112 x 142 cm
BLACK (double screen, second) 2009–2011, Ed.3, Pigmentprint, 112 x 142 cm
BLACK (wall II, chair) 2009–2011, Ed.3, Pigmentprint, 78 x 100 cm
BLACK (table, board, light) 2009 –2011, Ed.3, Pigmentprint, 112 x 142 cm
BLACK (center, earring #1) 2009–2011, Ed.3, Pigmentprint, 89 x 113 cm
DELAYS ON A SCREEN #6, 2011, Ed.4, Diasec, Maße variabel

 

Fotoarbeiten von Pernille Koldbech Fich (1) 

 

„Die Dunkelheit hatte Form ohne Weite, die Zimmerdecke hätte auch die Wolkendecke sein können.“

David Foster Wallace, Unendlicher Spaß (2)

 

Ein Schwarz von unbestimmter Tiefe, lichtlos und dicht. Ein anderes, ganz glänzende Oberfläche und dabei seltsam ungreifbar. Stumpfes und gedämpftes Schwarz. Ein anderes, das Licht in weichen Abschattungen erst vergrauen lässt und schließlich vollends schluckt. Schwarzes Schimmern, das in diffuser Spiegelung ein Abbild ahnen lässt und weite Fläche visuell in Raum verwandelt. Schwarz als opaker, leerer, gebauter, diffuser Raum.

In den Bildern ihrer 13-teiligen Fotoserie Black (2009–2011) stellt Pernille Koldbech Fich oft nahezu abstrakte Inszenierungen von Schwarz vor Augen, jener Nichtfarbe, die den Inbegriff einer Abwesenheit von Licht und Sichtbarkeit bedeutet. Zu dieser ebenso malerisch wie nüchtern wirkenden Bildgruppe gehören aber auch fünf Porträts. Vier verschiedene Frauen hat die Künstlerin in den klassischen Darstellungsformen Halbfigur oder Bruststück porträtiert, schwarz gekleidet und vor schwarzen Hintergründen von flach räumlicher Wirkung fotografiert. Die sehr hellhäutigen Gesichter und das blonde oder graue Haar der Frauen heben sich deutlich, beinah leuchtend von den Dunkelzonen ab. So wirken sie fast wie ausgeschnitten aus dem atmosphärischen Schwarz, markieren ein klares Verhältnis von Vorder- und Hintergrund, von Figur und Raum. Die übrigen Motive in Black erscheinen überwiegend flächig und abstrakt: Bei einigen davon handelt sich auch um Darstellungen seltsam abgedunkelter, mehrdeutiger, nur ansatzweise einsehbarer Räume – zum Beispiel in Black (double screen)Black (double screen, second) oder Black (backdrop) – offenkundig Arrangements aus den Elementen des Sets, in dem auch die Porträts fotografiert wurden. Tatsächlich sind auch jene zunächst flach erscheinenden Schwarzbilder wie Black (table, board, light) und Black (pedestal #1) eigentlich Raumdarstellungen, eine Art von invertierten Interieurs. Oft erkennt man die Elemente erst auf den zweiten Blick, durch die sich so ein Bild faktisch auf Raum hin dekodieren lässt – etwa eine am Bildrand knapp angeschnittene Tischplatte oder Objekte wie ein Podest oder ein Sessel, die das Umgebungsdunkel camouflagehaft variieren und darin manchmal beinah deckungsgleich zu verschwinden scheinen. Objekt und Hintergrund lässt Koldbech Fich hier in der Flächigkeit der Bildebene verschmelzen: In Black (wall II, chair) ragt ein Hocker mit schwarze Sitzschale vom unteren Bildrand aus ins Foto, knapp angeschnitten. Der Hintergrund, eine schwarz lackierte Stellwand, ist parallel zur Bildfläche ausgerichtet, was den Raum zwischen Objekt und Wand optisch kaum mehr definierbar macht. So ist es erst die verzerrende Spiegelung des hochglänzend und blasig aufgetrockneten Lacks, ein Bild im Bild also, das eine fiktionalisierte Distanz und räumliche Orientierung vermittelt – und dabei das Atelier der Künstlerin als präzise verunklärtes Interieur ins Bild rückt. Zudem lässt sich dieses Bild im Kontext der Porträts als bewusst gesetzte Leerstelle deuten: Sie findet ein Pendant im Porträt Black (left, light), ein Foto, das eine sitzende Frau als Brustbild vor ebenfalls spiegelnder Fläche zeigt – dabei allerdings einen anderen Raumausschnitt fokussiert. Und ihre Position lässt vermuten, dass sie hier auf eben jenem Hocker aus Black (wall II, chair) Platz genommen hat.

Auch das zunächst seltsam flach und verschwommen wirkende Black (table, board, light), erneut stark von malerischen Verläufen durchzogen, erweist sich als komplexes räumliches Arrangement: Zeigt der überwiegende Teil des Fotos Raum als unscharf gespiegelte Fläche, wieder ein Bild im Bild und eine Fiktionalisierung also, ist am unteren Rand der Fotografie eine schräg ansteigende schwarze Fläche erkennbar, die unauffällig und mit knapper Geste hier ein Raumverhältnis erster Ordnung aufmacht. Die schwarze Tischkante – mit hellen Markierungstreifen zur Positionierung porträtierter Personen übrigens – ist gerade schmal genug angeschnitten, um die Koordinaten eines reellen Raums zwischen Betrachter und schwarz lackierter Wand zu liefern. Optisch verschmilzt sie aber derart bündig mit der Komposition der schwarzen Bildelemente in der Spiegelung, dass sich die fotografische Differenz von „abgebildetem Realraum“ und „abgebildetem Bildraum“ hier nahezu auflöst. Diese Formen von Annäherung, Vermischung und Brechung der Ebenen von Raumdarstellung sind es, mit denen Koldbech Fich hier experimentiert, komponiert – und mit denen sie fiktive, bühnenhaft-abstrakte Räume erschafft, die den porträtierten Frauen große Präsenz verleihen, sie aber auch entrückt erscheinen lassen, wie versetzt in eine Zeit außerhalb der Zeit.

Ansatz und Kerninteresse ihrer Fotografie hat Koldbech Fichs vom Porträt aus entwickelt, hin zum Experiment mit bühnenhaften Settings und einem offeneren Verhältnis von Real- und Bildraum – dabei durchaus in Perspektive auf eine erweiterte Auffassung von Porträt. Koldbech Fich hat diese stärker abstrahierende, malerische Konstruktion des Bildraums gezielt erstmals in der Werkgruppe Introducing Viola (2005–07) entfaltet, dies dann in Black und, noch weitergehend, auch in Delays on a Screen (2011) zugespitzt. Ihr Ausgangspunkt beim Genre des Porträts lässt sich gut an frühen Werkgruppen wie Søstre (2002–2003) ablesen, für die Koldbech Fich Bewohnerinnen eines Diakonissenheims porträtierte. Hier nahm sie die Frauen noch in ihrem kargen, gleichwohl persönlich geprägten Wohnbereich auf, machte also die von ihnen selbst gestaltete Umgebung zur Bühne. Erst später hat sie begonnen, Bildraum als atmosphärischen Träger des Porträts zu konstruieren und damit auch zu abstrahieren. Das Fotografieren in präparierten Studiosituationen ist bei Koldbech Fich auf Entleerung des Bildraums angelegt, auch auf Steigerung seiner Ambivalenz. Die Personen werden in der Darstellung gleichermaßen anonymisiert, aufs Zeitlose hin stilisiert, aber auch als Individuen interpretiert. „Ich wollte das expressive Moment minimalisieren“, so die Künstlerin über diesen Entwicklungsschritt, „mich hat interessiert, wie viel sich beim Porträtieren von Menschen ohne sichtbares Gefühl der Zugehörigkeit zum Ausdruck bringen lässt.“(3) Dabei folgt sie einem ungewöhnlichen Verfahren: Sie richtet zunächst ein Setting ein – „viel Malerarbeit und andere praktische Tätigkeiten, um einen Raum herzustellen, der kein Teil der Realität mehr ist“(4) – und lädt dann eine Gruppe von Menschen, die sie porträtieren möchte, persönlich aber nicht näher kennt, dorthin ein, um anhand spontaner Interaktion die Ideen für eine Bilddramaturgie zu entwickeln. Erst in der zweiten Sitzung findet dann das Einzelshooting in einem aufwendigen Prozess mit Großbildkamera statt. „Ich sah es als Herausforderung, mit Leuten zu arbeiten, die ich nicht kenne. Es bedeutet auch, dass ich vorgefasste Vorstellungen über die Personen vermeiden und sie mit ‚frischem Blick‘ anschauen kann“, sagt Koldbech Fich. „Das finde ich noch immer spannend. Es ist mir wichtig, dass sich niemand zu sehr an die Situation des Fotografiertwerdens gewöhnt.“(5) So sind es gleichermaßen künstliche wie auch authentische Begegnungen, in denen Fremdheit und Spontaneität sich mischen und für Momente oder Phasen eine außerordentliche Atmosphäre herstellen, in der der Künstlerin dann mit einem Gespür für den richtigen Augenblick Bilder wie diese gelingen: Etwa das eindringliche, beiläufig und still wirkende Porträt Black (right, ladder) oder der abwesend und zugleich sehr konzentriert erscheinende, nach innen gekehrte Ausdruck einer Frau im Halbprofil in Black (center, earring #1)

Über das Einfangen jenes Moments einer inwendigen Aufmerksamkeit hinaus führt etwa Black (right, ladder) auch den subtilen Umgang mit Oberfläche und Material vor Augen, der typisch ist für Koldbech Fichs Fotografie: Das samtige, wie von weißlich-feinstofflichem Funkeln überzogene Schwarz des Mantelstoffs ist darin minutiös erfasst; dem Ton nach korrespondiert es eng mit dem Grau einer Leiter, die sich rechts im Hintergrund spiegelt, diesen dort steil diagonal durchzieht und die Figur rechtsseitig einrahmt. Doch das opake, weich verschwommene Grau der Spiegelung strahlt bei ähnlicher Nuancierung eine andere Materialqualität als die der scharfen Präsenz des Mantelstoffs aus. Das eine Element geradezu greifbar im Vordergrund, ist das andere schattenhaft entrückt wie ein Nachbild. So erzeugt die Künstlerin hier im Medium der Fotografie mit geradezu malerisch anmutenden Mitteln eine subtile Schichtung und Ausdifferenzierung von Bildraum.

Koldbech Fich arbeitet mit solchen minimalistisch inszenierten, farblich definierten Räumen als eigenständigen Interpretations- und Gestaltungselementen. Dabei bleiben auch jene abstrakteren Raumansichten in nuce auf ein psychologisches Moment bezogen. In Black etwa entwickelt Koldbech Fich die Frauenporträts in einer gerichteten Ambivalenz zwischen zeitlosem Archetyp und konkretem Individuum. Diese Ambivalenz erzielt sie mithilfe der bühnenhaften Settings, die sie auch als menschenleere Arrangements, als abstrakte Interieurs fotografiert, um sie mit den Personendarstellungen zu kombinieren und zu konfrontieren. In Black hat sie damit einen hohen Abstraktionsgrad erreicht – den sie allerdings in ihrer neuesten Werkgruppe, den Delays on a Screen (2011), noch einmal verdichtet: Hier kommt sie ganz ohne Figuren aus und steigert die abstrakten Aspekte von Black noch einmal durch hart kontrastierend ausgeleuchtete Schwarzflächen, die fast flächendeckend weißglänzend aufleuchten, an Rändern aber Dunkelzonen ausprägen. Und doch handelt es sich bei Black und auch bei Delays on a Screen noch um reduzierte Raumdarstellungen – die sich im Kontext der Arbeit Koldbech Fichs stets auch mit psychologischem Subtext und über eine Atmosphäre lesen lassen: In der künstlerischen Haltung sind diese Bilder womöglich mit den leeren Räumen des Malers Vilhelm Hammershøi verwandt und ihrer irritierenden Abfolge raffiniert gestaffelter Räume – und einem daran gesteigerten Empfinden der Leere.

So betreibt Koldbech Fich in zunehmender Umdeutung des fotografischen Bildes ins Abstrakte, Malerische, auch Zeitlose vielleicht die Verdichtung ihrer ursprünglichen Idee von Porträt – bis hinein in die pure Konstruktion von Bildraum selbst. In Black hat sie das angelegt als Spannungs- und Wechselverhältnis von Porträt und Raum: „Die Protagonisten lassen die räumlichen Abstraktionen der ‚leeren‘ Bilder konkreter, aber auch umgekehrt, die leeren Bilder den Ausdruck der Personen komplexer erscheinen“,(6) sagt sie. Die Reihenfolge der Einzelbilder ist dabei übrigens nicht festgelegt, so dass die Künstlerin in Ausstellungssituationen mit immer wieder neuen Konstellationen andere Deutungen vornehmen kann. Auch die Bildfolgen in einem Katalog oder auf dieser Website stellen dann eine solche Deutung dar, über die Koldbech Fich den Rhythmus und das Verhältnis von Porträt und Objekt-/Raumdarstellung subtil konstruiert.

Das Verhältnis von Objekt und Raum ist in Black oft nahezu in Fläche aufgehoben – im ausgedehnten Dunkel wirken die Motive fast plan und parallelisiert zu der Bildebene des Fotos selbst. In Black (pedestal #1) ist das Verhältnis zwischen Vorder-, Hintergrund und Objekt auf eine irritierende Weise verunklärt: Fast scheint es, als würden diese Ebenen hier fließend ineinander übergehen. Die schwarz lackierte Wand mit ausgeprägten Farbverläufen nimmt fast den gesamten Bildraum ein, flacht ihn ab, entzieht dem Foto Räumlichkeit. Ein in oberer Bildmitte gesetzter kreisrunder Lichtreflex, der auf der porigen Lackschicht diffus und nebelhaft ausstrahlt, dominiert das Setting derart, dass man das ins Dunkel gebettete Objekt am unteren Bildrand erst verzögert wahrnimmt: Ein reich mit Ornament verzierter, hölzerner Fußschemel, dem das Foto offenbar seinen Titel verdankt. In die Bildfläche sind abstrakte, schattenhafte Formen eingespiegelt, von den Lichtreflexen wird sie aber auch grell aufgebrochen, erscheint damit fast vollständig abstrakt. Lediglich das verborgene Objekt am unteren Rand des Fotos bewährt noch einen Eindruck von „realem“ Bildraum, während er vom „fiktiven“ Bildraum der Kulisse und ihrer Inszenierung hier buchstäblich überstrahlt wird. Anders als etwa in Black (left, light)Black (double screen) oder Black (table, board, light), in denen durch Licht und Spiegelung der hinter der Kamera liegende Raum ins Bild hinein geholt und so auch transponiert wird, fallen in Black (pedestal #1) Raum und Oberfläche nahezu in eins, fast so, als handele es sich hier um gestisch-abstrakte Malerei. Nur das präzise ins Dunkel gerückte Objekt markiert jene Bruchstelle, an der ein fließender Übergang in der fiktionalisierenden Ausbreitung von Oberfläche noch erkennbar ist. So ist es auch eine Art Vexierspiel zwischen Bildraum und -fläche, das Koldbech Fich gestattet, ein Foto präzise in der Ambivalenz zu platzieren und dadurch seinen Raum zu öffnen. 

 

Jens Asthoff

 

(1) Der deutsche Originaltext erschien in englischer und dänischer Übersetzung im Katalog zur Ausstellung Black von Pernille Koldbech Fich (Galleri Image, Århus, 18.2.–18.3.2012, www.galleriimage.dk).

(2) David Foster Wallace, Unendlicher Spaß, Rowohlt, Hamburg 2011, S.1104.

(3) Original auf Englisch: “I wanted to minimize my expression and was interested in how much narrative I could tell by portraying people without a visible sense of belonging”, in einer E-Mail an den Autor, 1. April 2010.

(4) Original auf Englisch: “A lot of painting and other practical work, creating a space that is not part of the reality”, ebd.

(5) Original auf Englisch: “It’s a challenge to work with people I don’t know. And it means I avoid too many preconceptions about their personalities, seeing them ‘fresh’, so to speak. I still have this excitement. For me it’s important that none of us gets used too much to the situation of being photographed”, ebd.

(6) Original auf Englisch: “The sitters make the abstractions of the space in the ‘empty’ images more concrete and the other way around, the empty ones make the story of the sitters more complex”, in einer E-Mail an den Autor, 12. Januar 2012.