Major Sturmgeist & Sankt Barbara
Wut im Bau(ch): Buchvorstellung Raseri
02. – 04. Dezember 2011
Norwegen, Oslo
Vorsicht, explosiv! Kriegstrommeln rühren im Hintergrund, aggressiver Vortrag, viele Fuck-offs an die Ideale der 68er, und dann erzeugen der Synthesizer und das Controlpanel einen Wall of Sound.
Von oben schaut St. Barbara zu. Eine nordische Walküre mit Neigung zum Sprengstoff. Im Heiligenkalender gilt sie als Schutzpatronin der Berg- und Feuerwehrleute, der Pyrotechniker und Artillerie. Zudem wird im Rheinland das Fest der Heiligen Barbara zusammen mit dem Nikolaus gefeiert, also Walnüsse und Schokolade in den Stiefel gestellt. Armeestiefel? Vielleicht. Einige der Teilnehmer der Buchpräsentation in Oslo am 2. Dezember tragen solches Schuhwerk. Bei dem Ereignis im Verlagshaus von Cappelen Damm in der Akersgate 48-49 sind das 1. und 3. Regiment der Art Militia zugegen. Der Verfasser dieses Artikels gehört zur deutschen Delegation, gekleidet in die Bluse der Bundesmarine. Die Kunstmiliz bewegt sich in einer militärischen Struktur und öffnet sich im Kreativitätsprozess einer ergebnisoffenen Struktur. 2007 wurde sie in Südnorwegen von Jens Stegger Ledaal gegründet und beschäftigte sich zunächst vor allem mit Performances und bildender Kunst. Ein besonderes Interesse machte die künstlerische Umdeutung totalitärer Systeme aus. In Bezug auf die slowenische Musikgruppe Laibach entwickelte sich ein Kunstkollektiv, das sich in militärische Hierarchie zwängt, um gerade dadurch in einer besonderen sozialen Skulptur Freiheit zu erlangen.
2010 entschied sich dann Cornelius Jakhelln, Musiker und Schriftsteller, in seiner Wahlheimat Berlin ein weiteres Regiment zu gründen, das Third Regiment for Literature and Hard Music.
Am 2. Dezember findet in Oslo die offizielle Buchpräsentation des neuen Jakhelln-Buchs Raseri statt. Jakhelln lässt sein Buch von Major Sturmgeist vortragen. Ihm zur Seite steht die Himeriksskvadronen, ein Musikprojekt, das aus dem Geiste der Art Milita (so der internationale Name der Kunstmiliz) entstanden ist. Mit der Himeriksskavdronen treten vier Kunstmiliz-Mitglieder musikalisch in Erscheinung. Sankt Barbara hält schützend ihre Hände über die ganze Szenerie.
Jakhelln reflektiert in Raseri seinen eigenen Werdegang in Poesie, Prosa und Musik. Als Grund seiner eigenen Entwicklung und der Affinität zu extremen Bewegungen und Geisteszuständen macht er die Wut aus, die Wut auf Ordnung, Unterordnung und Tradition. Auf den Seiten des Buchs tauchen neben Bezugnahmen auf Jakhellns Musikprojekte und Reisen innerhalb Europas auch weitgehende Reflektionen zum heidnischen Erbe der nordischen Länder. Später wird noch ausführlicher auf die provokative Problematik solcher Interessen eingegangen. An den Rändern der Kultur, scheinbar nur als Entertainment toleriert, bedienen sich Musiker einer Bildsprache, die in der Tagespolitik und in der Mitte der Gesellschaft ausgesondert wurde.
Die Art Militia hält sich offen für neuen Input. Nach außen wirken die Uniformen wie der Ausdruck einer reglementierten Einheit, doch nicht bedingungsloser Gehorsam, sondern der ésprit de corps steht als Maxime über den Mitgliedern, die entweder die Kunstakademie besuchen, selbst schon Ausstellungen abhalten, als Musiker professionell die Bühnen der Welt betouren oder aber als Schriftsteller ihren Ideen folgen. Die Uniform und die Rangabzeichen dienen als Bindeglied zwischen höchst individuellen Künstlern. Gerade weil die Mitglieder so individualistisch in ihren Projekten agieren, kann möglicherweise nur eine militärische Struktur einen Teamgeist schaffen. Dabei stehen Uniformen dem Avantgarde-Gedanken der Kunst näher als zum Beispiel Fußballertrikots – oder genau das ist die Frage: Können Kunst und Miliz zusammengehen? Wo bleibt der Freiheitsgedanke der Kunst, der uns seit der Aufklärung begleitet? Muss sich das Militär nicht von jeder Kunst, die diese Bezeichnung verdient, fernhalten?
Auf den Doppelcharakter der Aufklärung weisen Adorno und Horkheimer in ihrer Dialektik hin: Wenn kein Fleck der Landkarte unaufgeklärt bleiben soll, kann dies zur Totalität führen und jede Freiheit wird im Scheinwerferlicht der Aufklärung bloßgestellt. Mit Flugzeugen (neuerdings mit Drohnen) kontrolliert man das Feindesland und klärt die aktuelle Lage auf.
Eine Uniform, und sei es die frei zusammengestellte der Kunstmiliz, kann als Camouflage dienen. Kunst wird dann auch auf der sichtbaren Oberfläche zumindest zwei-, wenn nicht mehrdeutig. Wie bereits erläutert, geht es um den Teamgeist, der verschiedene Positionen in einem Think-Tank des 3. Regiments zur Diskussion zusammenbringt. Ein Beispiel: Es entfaltete sich zwischen dem Deutschen Gunnar Sauermann, Promoter beim Metal-Label Season Of Mist aus Frankreich, und dem Israeli Avi Pitchon, Journalist u. a. für den Terrorizer in UK, eine hitzige Debatte über Sinn und Unsinn monumentalistischer Ästhetik. Wie kann nach dem Holocaust und dem Missbrauch sinngewaltiger Bauten noch ein Faible für eine Ästhetik gepflegt werden, die sich in starker Geschlossenheit und militärischer Strenge gefällt? Und ist es nicht langsam an der Zeit, die Provokation im Metal und Punk hinter sich zu lassen?
Die Diskussion auf der Mailingliste findet Eingang in Jakhellns neues Buch, das politischer als die Vorgänger ausfällt. Diesmal nimmt der Autor Stellung und verwendet nicht bloß nordische Mythologie als Ferment seiner Romane. Für den Roman Gudenes fall erhielt Jakhelln einen hochdotierten Buchpreis und fand in Cappelen Damm einen neuen Verleger. Es mag ein Klischee sein, sich in Norwegen mit den altwestnordischen Sagas zu beschäftigen und das frühe Mittelalter als Plotline in Romanen einzubauen. Im Black Metal aus Norwegen finden sich an vielen Stellen deutliche Bezüge zu dieser Epoche, häufig durch eine romantische Brille verklärt. Jakhelln ist davon überzeugt, dass es sich trotzdem noch lohnt, an diese Tradition anzuknüpfen. Raseri jedoch versucht, die eigene Wut auch gegen die allzu typischen Genre-Bands zu richten und Unruhe zu stiften. Die Wut gegen Ordnung und Vorhersehung kanalisiert sich in einem praktischen Studium militärischer und paramilitärischer Strukturen, die einem Kunstwerk scheinbar so konträr gegenüber stehen. Die Kunstmiliz besteht aus unabhängigen Künstlern, die sich für Performances formieren und ein einheitliches Bild nach außen geben. Es sollen nicht nur Manifeste und gemeinsame Auftritte, sondern in naher Zukunft auch Bücher entstehen. Bewusst wird mit der militärischen Kleiderordnung gespielt, denn bekanntlich machen Kleider Leute. Wer hinter die Jacken und Hosen schaut, findet alles andere als eine bewaffnete Einheit von Soldaten und Offizieren, die für welchen Krieg auch immer rüsten.
Statt der Lesung entscheidet sich Jakhelln am Tag des Auftritts kurzerhand für ein Konzert der Himeriksskvadronen. Die Musiker begleiten zunächst den Autor in der Maske des Majors Sturmgeist in dem Verlagshaus. Vor allem Drummer Lieutenant Simmswatts sorgt für Lärm in der Kantine des Verlagshauses. Man geht zunächst durch das Verkaufslokal und kommt dann in diese geräumige Halle, in der links Tische stehen. Doch da bleibt alles dunkel. In der rechten Raumhälfte spielt die Musik: rituelle Drumpatterns, der Synthesizer wummert und dazu Jakhellns kraftvoller Vortrag. Manchmal geht er in kehligen Sprechgesang über, ganz so, wie es im Black Metal geschieht. Einerseits, um gegen die Drums anzukommen. Andererseits spricht daraus Jakhellns eigene Vergangenheit und Gegenwart bei Solefald und Sturmgeist. Letztere Band besinnt sich auf germanische Elemente, wobei derzeit in Norwegen durch Cornelius Jakhelln eine interessante Neuinterpretation wilhelminischer deutscher Kultur geschieht. Richard Wagner, Oswald Spengler, Friedrich Nietzsche und Thomas Mann treten hervor und versinnbildlichen ein Deutschland, das noch vor dem Faschismus steht, jedoch auch in ihn hineinreicht. Zudem tauchen auch die Helden aus dem Nibelungenlied in den Büchern des Autors auf, in neuer Kraft und in modernisiertem Gewand.
Soll man mit der Tür ins Haus fallen? In Norwegen vielleicht schon, weil dort alles stark auf Idyll gebaut ist, auf Naturbezug und auf Tradition, bäuerliche Tradition, die jedoch in Oslo auf kosmopolitische Konfrontation trifft. Das liest man in schönen soziologischen Essays und in politischen Ressorts. Wie fühlt es sich an, wenn man über alles miteinander reden kann?
Um ehrlich zu sein: Scheiße! Es geht in kleinen Ländern viel über Beziehungen. Nur das Erbe setzt den kleinen Unterschied: sowjetische oder sozialdemokratische respektiv kulturkonservative Strukturen, die sich die Türklinke in die Hand geben. Is there a difference between Georgia and Norway?
Und so fällt man am besten mit der Tür ins Haus, denn dann schreckt der liebe Norweger vom lauten Knall auf ... und siehe da: ein Buch namens Raseri erscheint. Bei einem großen Verlagshaus, in dessen Verkaufslokal so ganz andere Bücher und Cover zu sehen sind: Steve Jobs, bevor er starb, seine Autobiografie auf Norwegisch. Klar wandern viele Smartphones über den Ladentisch.
Auf Cornelius Jakhellns Buchtitel, das auf Deutsch übersetzt „Wut“ heißt, sieht man den Autor, der sich zombiegleich das linke Auge rausreißt und mit dem Geigenbogen über Nervenstränge streicht. Norwegische Nervenstränge? Im Buch spricht er von Kosmopolitentum, und von der Faszination an totalitären Systemen, vor allem an deren Corporate Design: den Uniformen, den Paraden, Symbolen, Ritualen und Flaggen.
Devianz ist ein Fremdwort im norwegischen Idyll. Ja, Jagen kann man sich als deutscher Gast noch vorstellen ... aber Opposition, gefährdende Abweichung, Wut? So aggressiv und nicht an Verständigung interessiert. Kann das sein? Ja, Jakhelln kann’s.
Jakhelln beklagt die „Sattheit“ norwegischer Gegenwart und veröffentlicht Ende November 2011 ein Buch, das den Versuch unternimmt, sich selbst und den Radikalisierungsprozess unter die Lupe zu nehmen. Er trägt einen Ausschnitt vor, in dem das Wort „fuck“ verdächtig häufig vorkommt. Im Publikum löst sich vereinzelt Gelächter. Der Autor trägt in einem leicht süffisanten Ton vor. Es dringt eine Wut aus dem Mund des Black-Metal-Sängers (für seine Band Solefald, dessen anderes Mitglied Lazare auch noch als Gast bei der Himerriksskvadronen auftritt), die manchmal auch rauer wird. Doch wie sieht man das nach dem 22. Juli 2011 in Norwegen, ein Fanal für das nördliche Land, fast genauso gewichtig für den Sozialumgang wie der 11. September für das Verhältnis zwischen Okzident und Orient?
Ein blondhaariger Norweger sammelt im Netz Ideen, Ideologien und Idiotien, um daraus sein persönliches Manifest, mehr noch: Weltmanifestation zu betreiben. Erst durch das über tausendseitige Manifest wird die Verschwörung greifbar, immer wieder zitier- und damit aufrufbar.
Auch Jakhellns Musikprojekt Sturmgeist wird zitiert, von einem finnischen Amokläufer mit Internet-Nickname „sturmgeist87“, der in Jokela ein Blutbad anrichtete. Er nannte Cornelius Jakhellns Musikprojekt Sturmgeist, unter diesem nom de guerre firmiert er auch als Voice des Musikprojekts Himerriksskvadronen. Konsequent nennt sich Jakhelln „sturmgeist77“ im Buch, zehn Jahre älter, zehn Jahre länger schon mit extremen Klängen, Ideen, Bildern und Konzepten konfrontiert. Ist der Ausdruck der harten Musik nicht Provokation, höchstens jugendliche Revolte und sobald man die 30er-Marke überschreitet, besinnt man sich eines besseren und mottet die Bandshirts ein oder schenkt sie dem jüngeren Bruder? Dabei wäre es nur konsequent, die eigene Entwicklung anhand der durchschrittenen Stationen des eigenen Lebens fortzuführen.
In Raseri geschieht ein solcher Rekapitulationsprozess: Was war in der Jugend passiert? Wie konnte Jakhelln, der schriftstellerisch tätig ist, anhand der ersten Burzum-Platten sein Gitarrenspiel entwickelt haben, wenn deren Mastermind Varg Vikernes bekennender Antisemit, Rechtsradikaler, Brandstifter und Mörder (geworden) ist? Vikernes stammt aus gehobenen Verhältnissen, musste in Bergen keine sozialen Benachteiligungen in Kauf nehmen, wuchs nicht in kriminellem Milieu auf. Genau wie jetzt bei Anders B. Breivik wurde Anfang der 90er versucht, die Psyche der Black-Metal-Aktivisten aus dem Inner Circle zu verstehen. Raseri geht in seinem Selbstversuch dieser Frage nach: Woher kommt die Wut? Die Großstädte, in denen sich der Autor aufhält: Oslo, Paris, London, Berlin, Rom, Jerusalem und Tel Aviv, in ihnen gehen Banden umher, Bündnisse, die auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und die nicht zufrieden sind mit dem, was geboten wird. In Demokratien kämpfen Interessen um die Vormacht. So weit, so gut.
In den Subkulturen muss nicht auf den guten Ton geachtet werden. Der subkulturelle Aktivist nimmt sich diesen Ton heraus. So liest Jakhelln an diesem Freitag in Oslo mehrere Fuck-Salven an Dinge und Einstellungen, mit denen er nichts zu tun haben möchte. Oder mit denen er einst nichts zu tun haben wollte. Oder aber, die in die Musik geflossen sind. Wütende Musik, laut, roh, kalt und für ungeübte Ohren unhörbar.
Verbirgt sich hinter der akustischen Raserei ein moralischer Wille? „Lieber im Eise leben, als unter modernen Tugenden und andern Südwinden!“, so schreibt Nietzsche im Antichrist. Lieber für die eigene Meinung einstehen, als der Einfachheit halber zuzustimmen und in den Hintergrund zu versinken. „Germanische“ Kultur hört sich deftig an, wie viel Leberwurst auf Vollkornbrot, dazu Essiggurken und ein Weizenbier. Ein norwegischer Maler erzählt mir einen Tag nach der Buchpräsentation von der norwegischen Ausgabe des Oktoberfests, das er in kleinem Kreis organisiert. In diesen Dezembertagen erfahre ich auch von Vidkun Quislings (http://de.wikipedia.org/wiki/Quisling) Kollaboration mit den Nazis als auch von Familien, die mit der Besatzungsmacht zusammengearbeitet haben. Im Dagbladet spricht die Journalistin von einer Nazi-Uniform, in der Jakhelln auf dem Titelbild seines neuen Buchs zu sehen sei. Das entbehrt jeder Grundlage (Es handelt sich um alte Uniformen der DDR-Armee) und wird dem Wunschdenken entsprechen.
Wer sich in Uniform zeigt, die nicht das Nato-Grün besitzt, macht sich verdächtig. Mehr noch, wenn ein Amokläufer von sich selbst Fotos in Fantasieuniformen macht und diese in den sozialen Netzwerken ausstellt.
Ist Cornelius Jakhelln ein Teufel in Schafskleidern? Weht ein strammer Sturmgeist über seine Werke, gespeist aus der aggressiven Musik?
Der politische Konsens fällt nicht vom Himmel. Er definiert und grenzt aus, was tolerabel, unmöglich und zu bekämpfen ist. So kann es geschehen, dass der Konsens aus protestantischer Staatskirche und Sozialdemokratie besteht. Dieser Konsens besitzt immer auch Außenseiter, die von außen reinschauen. In Kristiansand verbringt Jakhelln seine Jugend und schreibt in Raseri, wie trist die Zukunft dort ausschaut. Die Ruhe vor dem Sturm, die Ruhe vor der Weltbereisung. Am 2. Dezember 2011 präsentiert der Norweger ein Buch, das „Wut“ auf Deutsch heißt. Eine Wut, die sich nicht besänftigen lässt, die ausbricht und sich gegen vermeintliche Selbstverständlichkeiten richtet. Wie schreibt man eine solche Wut?
Im Black Metal ist es einfacher, diese Wut auszudrücken. Aber in einem 416-Seiten-Werk?
Im Rückblick lässt sich rekapitulieren, was geschehen ist. Wie kam es zur Faszination am Extremen? Er versucht eine Biosophie, eine Durchleuchtung des eigenen Lebens. Biosophie hört sich problematisch, zumindest merkwürdig an. Haben nicht auch die Esoteriker ständig an ihren Sophien herumgearbeitet? Darf sich ein denkender Autor heute noch mit diesem Tabak abgeben, und damit die ganze Bude vollstänkern?
Manifeste zeigen besonders, wie eine wütende Literatur arbeitet: Sie sammelt, wie besessen, frisst sich in die Eingeweide der Überlieferung und wiederkäut die Geschichte, um schließlich die Agenda auszurufen: Nieder mit der Romantik, nieder mit dem Geplänkel, nieder mit Vollmondnächten – hier hört die Kanonen, das Blitzlichtgewitter und schließlich das Schnellboot mit Torpedos. Marinetti blies dann später in die faschistische Trompete des Duce. Zuvor jedoch sollten die Romantiker im nächsten Tümpel ersäuft werden. Gerne auch bei Mondlicht.
Was sah man auf den Burzum- und Darkthrone-Platten? Monde in allen Variationen, als Zeichnung oder als Foto oder als Collage. Immer war der Mond ein stiller Begleiter: „Under A Funeral Moon“ und dergleichen. Cornelius Jakhelln spielt lange schon in Solefald, die immer als avantgardistischer verstanden wurden, von Hörern und der Presse. Das heißt: nieder mit dem Black-Metal-Mond. Major Sturmgeist der Kunstmiliz tritt mit der Band vor der Lesung auf. Er verbreitete im Internet eine Kampfansage an den Schriftsteller Jakhelln, der sicher Ruhe bei einer Tasse Tee oder einem Glas Wein braucht, um ein neues oder altes oder sonstiges Buch lesen zu können, zu Hause, eventuell auch auf Reisen. Aber er kann nicht ständig im Feld marschieren, auf der Hut vor feindlichen Angriffen und vor allem immer kampfbereit sein. Das übernimmt ein Alter Ego. Zwei Seiten einer Person: vita contemplativa und vita activa.
Die militärische Struktur wird genutzt, um wachzuhalten, um das Monumentale zu stützen, nicht zu stürzen. Monumental als Protest gegen die nivellierende Tendenz der Gleichmacherei, der kulturellen Gleichschaltung. Monumentalästhetisch argumentierten auch die Propagandisten des Faschismus: Nur durch Größe konnte die Macht des faschistischen Apparats adäquat umgesetzt werden. Die Art Militia (Kunstmiliz) erprobt gedanklich die Erscheinung archaischer und tabuisierter Theoreme und Ideen in catchy pictures und im Popkontext. Stichwort: Laibach oder auch Death In June, die am 03. Dezember, einen Tag nach Jakhellns Buchpräsentation, im Klub Blå in Oslo spielen. Hat das Sankt Barbara veranlasst? Von einem Tabu ins nächste?
Die Art Militia erprobt derzeit das Kokettieren mit herrschaftlichem Verständnis, worunter eine wilde Häresie steckt, ein Ausbrechen aus den Vorerwartungen und ein Sich-gegen-den-guten-Ton-Stellen. Also das, was eben als proper und angemessen gilt. Die unterschwellige Faszination am Pathos und großen Effekten wird in der Popkultur nur süffisant angesprochen, lieber noch totgeschwiegen. Die Kunstmiliz verdeutlicht bereits durch ihren Namen, dass es hier nicht um eine Assimilation an den guten Geschmack geht, sondern um das zuweilen tabuisierte Auskosten der verdrängten ästhetischen Positionen vergangener Zeiten. Jakhelln greift diese Tabus in seinem neuen Buch auf und dekliniert sie vor allem auch an seinen eigenen Erfahrungen im Black Metal und der Schriftstellerei durch. Mit der Vorliebe für Maskerade. Was wiederum in der sich ernstnehmenden Kulturkritik (egal ob von links oder rechts) nicht toleriert wird. Wer sich positioniert, braucht keine Maske!
In der Denkfabrik Third Rebel, die an die Miliz angeschlossen ist, wird Monumentalästhetik diskutiert. Es regen sich Stimmen, die diese Faszination kritisieren und für eine Beschränkung in der Sache plädieren. Kunst ohne straffe Struktur, ohne militärischen Drill, ohne Kommandohierarchie. Doch die Drums in Cappelens Kantinesaal rütteln auf, und kein Leser (auch nicht die alten) nickt während des Vortrags ein. Hier wird stürmisch gelärmt.
„You guess right, that in the essential arena of politics, I don’t have any friends; that means, I have no one to vote for. That is why I will most probably abstain during the upcoming elections. Why? Because I despise the educational policy of the Christian Democrats; because I laugh at the Socialists, for their illusions of equality and innocence; because I distrust the Christian Right, as I don’t think that grand family of millionaire sons could really cater for the poor and the unemployed; because I scorn the radical Left, for their terrorist, revolutionary intent, because I don’t believe in Labour, who has a First Man just as silky as a pair of lady’s knickers; because I can’t accept the cultural policy of the Far Right ... wait a sec, there is one option, though: the ecological one.“ (S. 336-337)
Was passiert mit der Wut im Bauch? Gegen Ende des manifestartigen Ausschnitts, den der Autor vorliest, zückt Major Sturmgeist den Degen und droht dem Publikum. Die Heilige Barbara wacht über die Szene, die Situation am 02. Dezember 2011. Sie sitzt im Boot auf hoher See an der Seite der Männer und kennt keine Furcht. Wer an ihrem Busen ruhen darf, fühlt sich stark genug, mit gefährlichem Stoff umzugehen.
Später bei der Aftershow-Party in Trine og Kims Studio, dem Atelier, in dem Coverartworks für norwegische Bands wie Ulver, Dødheimsgård, Solefald, Sturmgeist, Darkthrone, Gallhammer (aus Japan, aber durch Liebe eine zeitlang an Norwegen gebunden) und viele andere gestaltet wurden, spricht eine Besucherin über Jakhellns Literatur und meint, sie sei recht radikal für norwegische Verhältnisse. Radikal ist auch der erste Eindruck des Black-Metal-Sozialisierten, wenn er vom Flughafen Gardermoen in die Innenstadt Oslos vorstößt und blitzgeputzte Nobelgeschäfte erblickt. Nichts von Wald, nichts von Wildheit, nichts von Zuckerguss-Schnee. Sorry, wo bin ich hier? Düsseldorf? Mist, dann habe ich meinen Flug nach Oslo (Norwegen) verpasst! Städte werden austauschbar, vor allem H&M-Werbung grinst überall den Besucher an und Bluse versteht man auch als Deutscher in Norwegen.
Sagt nun Jakhelln dieser Gleichmacherei den Kampf an? Sagt er Ja zum Informationskrieg?
In Raseri denkt er darüber nach, eine Dissertation in Philosophie zur Memetik anzustrengen, wie Meme einem Virus gleich ins Bewusstsein der Gegenwart vordringen und Gedanken wie Lauffeuer verbreiten. Angesichts der informationellen Paranoia, die auch einen Anders Breivik verfolgte, bis zum heutigen Tag in Untersuchungshaft verfolgt, wäre eine umfassende Studie zur Memetik ein enormer Vorstoß in feindliches Territorium. Etwas, das allen gefällt und vor allem auch lesbar erscheint, verfügt häufig über weniger Widerstand. Manche Bücher sind harte Brocken, andere brechen auf wie norwegische Fjorde im Frühling. Doch beiden ist gemeinsam, dass sie dem „literarischen Projekt“ folgen. Im englischsprachigen Teil seines Buchs schreibt Jakhelln ausführlich zu seiner „Bestimmung“ als norwegischer Schriftsteller im eigenen Land. Vermehrt beschäftigt er sich mit deutscher Kultur, die Sprache spricht er bereits fließend. Er möchte nicht, dass seine Bücher mit seiner Person und vor allem mit seiner Musik in Verbindung gebracht werden. Das steht auf S. 355 und ab S. 357 werden zwölf Songtexte von zwölf Alben abgedruckt, in englischer Sprache, einer auch in Norwegisch. Die Literatur sollte für sich stehen, Anerkennung finden, Leser erfreuen.
Es stellt sich die Frage, wer in dieser Informationsflut den Überblick behält und ob frühere Polaritäten vielleicht unter der Signaloberfläche, also im Subtext so ziemlich dasselbe aussagen. Man findet keine einfachen Antworten, sondern eine unablässige Arbeit am Text und der Rede. Ehrlich ist, wer eingesteht, dass die frühere Rebellion manchmal auch spurlos verpufft und anderen Widerständen Platz macht.
Dass der Musik in Jakhellns Biosophie so viel Raum eingeräumt wird, kommt nicht von ungefähr: stilistische Abgrenzungen bewegen vor allem die Anhänger, in der Jugend ist die Identifikation mit wichtigen Bands prägend. Jakhelln lernte seine ersten schwarzmetallischen Gitarrenriffs anhand der Burzum-Platten. Der Alleinbetreiber Varg Vikernes ist Mörder, Brandstifter, Antisemit und Nationalist, wie bereits erwähnt. Wie kann die Liebe zum Black Metal mit der Liebe zum Wort zusammengehen? Man weiß, auch Diktatoren schreiben Bücher. Nur häufig sind sie ungenießbar oder aber dienen als Alleserklärungen für absurde Staatspolitik.
Varg Vikernes veröffentlicht im Internet Bücher, in denen er seine Sicht der wurzelverbundenen norwegischen Nationalität dargelegt. Eine Werbeanzeige der Plattenfirma Earache Records aus England trug den Slogan „Extreme music demands extreme responses“ als eine Abänderung eines Brutal Truth-Albumtitels. Brutal Truth existieren noch und spielen Grindcore, eine sehr schnelle Version des extremen Metals, jedoch mit hohem Anteil von Hardcore- und radikalen Punk-Elementen. Deshalb führt der Grindcore kein Metal in seinem Namen, weil er an der Peripherie des metallischen Universums sprießt. Nun könnte man den Werbeslogan auch auf Vikernes münzen: Wer extreme Musik (in diesem Fall Lo-fi-Black Metal aus Norwegen) spielt, hat auch das Recht, extreme Ansichten zu vertreten. Dieser junge vielversprechende Musiker beging mehrere Straftaten, darunter ein Kapitalverbrechen, verübt an seinem Bandkollegen Euronymous. Black Metal wurde Thema der Boulevardpresse. Einige Norweger werden sich nun bei Erscheinen von Raseri. En hvitings forsøk på en selvbiosofi an diese Umtriebe erinnern.
Am 22. Juli 2011 wurde erneut Gewalt in Norwegen sicht- und für alle Gesellschaftskreise spürbar. Doch Anders Behring Breivik hört anscheinend Goa-Trance und Soundtracks zu Fantasyfilmen aus Hollywood. Kein Schwarzmetall. Sein Manifest jedoch besteht aus manchen Ideen, die auch in obskurantistischen Kreisen des Extreme Metals kursieren. Die Gralsidee, die Ritterschaft, die Männerrunde, die nordischen Tugenden von Ehre, Treue, Ehrlichkeit, Disziplin. Wir schreiben nicht von den 1920ern, als die völkische Bewegung erstarkte, und auch nicht von den radikalen politischen Bewegungen, die sich in Europa einen Straßenkampf um die Vormachtstellung lieferten, und schließlich in die Parlamente einzogen. Für was? Um Blutbäder anzurichten. Staatlich sanktionierter und messianischer Amoklauf, um unsere fahlen Körper endlich vom harten Leben zu erlösen, in die Götterdämmerung zu marschieren oder zu segeln. Denn dort erwarten uns Gottvater, seine Götter und die Walküren. Deren Brüste mindestens so üppig sind wie die von der Heiligen Barbara. An ihnen können müde Dichter ruhen und Krieger sowieso ihren Nährsaft auftanken, um auf die Erde für neue Schlachten zurückzukehren.
Die Buchpräsentation in Cappelen Damms Verlagshaus hat aber etwas Paramilitärisches (dadurch Verrückteres als heroische Heraldik), eben die Himerriksskvadronen in Uniformierung und einige Art-Militia-Mitglieder mit dem Kragenspiel an den Jacketts. Keine Walhalla-Verehrung und keine Monumentalästhetik. Im Videoclip „Eg er min eigen fiendsmann“ (zu Deutsch: Ich bin mein eigener Feind), der an diesem Abend in voller Länge seine Premiere hat, wird das Monument schon eher beschworen. Ein weiß gestrichener Panzer und eine Schwadron komplett in Weiß
(Teaser unter: www.youtube.com/watch. Das ist sicher nicht jedermanns Sache. Soll es auch nicht sein.
In den Richtlinien der Kunstmiliz ist folgende Definition der militärischen Struktur zu lesen:
„Das Projekt kann als eine soziale Skulptur in stark begrenztem Rahmen bezeichnet werden, ein Versuch, die Mechanismen eines sehr bestimmten sozialen Feldes in die Welt der Künste zu übertragen – Elemente zueinander zu bringen, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen.“ (Meine eigene Übersetzung!)
Raseri trägt auf dem Schmutztitel das Insignium der Art Militia und bringt die Gedanken des Think-Tanks in die norwegischen Buchläden. Die Buchpräsentation im Verlagshaus diente als jährliches Zusammentreffen der Regimenter, um sich auszutauschen und unter dem Schutz der Heiligen Barbara für zukünftige Operationen zu rüsten. Es geht hierbei nicht darum, diese Art von Ästhetik zu verdammen, sondern sie in den Fokus der Debatte zu bringen und auf diese Weise auch eigene blinde Flecken der Ideologie oder Idiotie aufzudecken, aufzuklären und aufzuarbeiten.
Und im Manifest, das in deutscher Sprache von der Webseite herunterladbar ist, steht noch: „Der kreative Prozess jeder Einheit soll Gegenstand der Diskussion innerhalb der gesamten Einheit sein.“
Diese Diskussion(en) hat Jakhelln in seinem neuen Buch aufgegriffen und auch dokumentiert. Die eigene Position im norwegischen Diskurs, die Faszination fürs heidnische Erbe, die Distanzierung von den Verbrechen der Black-Metal-Musiker Anfang der 90er, das neue Albumprojekt in Israel: Jerusalem und Tel Aviv, zwei Seiten eines hochpolitisierten Landes im Nahen Osten. Die „Operation Zion“, die zum neuen Sturmgeist-Album führen wird. Mitglieder der Kunstmiliz findet man auch in Israel, stellenweise in Europa lebend. Sie arbeiten als Journalisten für Musikzeitschriften oder agieren selbst künstlerisch. Da fällt stellenweise die harsche Reaktion der norwegischen Tagespresse, des Feuilletons auf: ein Intellektueller in Uniform? Hatten wir da nicht schlechte Erfahrungen machen müssen?
Mit einer Uniform im orthodoxen Jerusalemer Viertel Mea Sharim aufzutauchen und ein Foto von dieser Operation im Buch abzudrucken, das ist zu viel für Norwegens guten Geschmack. Auf S. 288 spricht der Autor mit dem „Besserwisser“ und verteidigt das Recht auf „deres utseende, livsstil eller alternative oppfatninger“ (deren Aussehen, Lebensstil oder alternativen Meinungen), jedoch in der Fußnote. Im Haupttext einer Kultur sollte diese häretische Polyphonie ein Normalzustand sein. In der Fußnote muss man manchmal noch bornierte Zeitgenossen darauf hinweisen.
Das Buch ist keine narzisstische Nabelschau, aus dem schlichten Grund, weil Cornelius keinen Hehl aus seiner eigenen Überzeugung macht. Wie er als jugendlicher Black-Metal-Fan schließlich zum Musiker in diesem Stil wurde, immer auch mit einem Blick auf die Philosophie und Poesie. „I kunstens dystopiske avdeling er krisen normaltilstanden.“ (S. 295) Zu Deutsch: „In der dystopischen Sektion der Kunst ist die Krise der Normalzustand.“ Cornelius sieht sich selbst in diesen Meinungen gefangen oder gebannt, bricht deshalb mit blinder Wut aus.
Im Norden kann es ganz schön trüb werden, nicht nur metereologisch, weshalb der Angriff nach vorne die beste Verteidigung für eine wehrhafte Literatur ist. Damit einher geht ein kosmopolitisches Bewusstsein, nicht nur für die eigene Stadt oder das eigene Land zu schreiben. Das Feuilleton befriedigt sich großteils selbst, indem es Klappentexte als Kritiken missversteht (die Henne vor dem Ei oder das Ei vor dem Huhn?) und sich selbst zu einem Gläschen Sekt in Seligkeit schlummert. Thor Kunkel veröffentlichte am 30. November, am Tag vor meiner Abreise nach Oslo, zu Sankt Barbara (nicht intentional, aber temporal) „Occupy the Feuilletons!“. Dieser Artikel war ein Kassiber, der mir zum Jahrestreffen der Kunstmiliz in Oslo zugesteckt wurde, möglicherweise. Er rechnet ab mit der Vermarktung von Schablonenschriftstellerei.
Um dieser Scheinheiligkeit entgegenzutreten, benötigt es uneinnehmbare Literatur, die widerspenstig, borstig und kratzbürstig bleibt. Die ganz jugendlich frei manchmal den Stinkefinger zeigt. Im nächsten Moment jedoch das neueste schöne Buch hervorziehen kann, das man viele Monate auf seinem Schreib- und Nachttisch wie einen Jugendfreund behandelt. Vor allem eine Literatur, die angesichts einer Übermacht an Schmierfinken die Flagge hoch hält!
„Doch was geschieht mit Büchern, wenn ihr Warencharakter wichtiger wird als ihr Inhalt? Ganz einfach: Die Literatur verliert ihre Glaubwürdigkeit. Literatur war stets der kompromisslose Versuch des Menschen, einen Teil der Wahrheit jenseits aller Gebrauchswahrheiten zu konservieren. Darin liegen die Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Wert von Literatur. Denn wesentliche Eigenschaften dieser Welt entziehen sich ökonomischer oder logischer Erkenntnis, um sie zu erfassen, bedarf es Seelenarbeit, nicht Kalkül.“ (Thor Kunkel: Occupy the Feuilletons!, unter: www.titel-magazin.de/artikel/3/10192.html)
Raseri ist eine Rekapitulation, keine Kapitulation vor der Wut. Warum Wut, woher die Wut? Darauf sucht Jakhelln Antworten in der und durch die Wut. Mittendrin also! Deshalb nehmen sich manche Stellen auch stark selbstbezogen aus, weil nur durch das eigene Erleben eine Reise an den Rändern der Gesellschaft möglich wird.
Es bleibt zu hoffen, dass das Buch bald auch in deutscher Übersetzung erscheint.
Dominik Irtenkauf
Cornelius Jakhelln: Raseri. En hvitings forsøk på en selvbiosofi, Oslo 2011: Cappelen Damm.