7. Dezember 2003

Fürchterlich schönes Mittelalter

 

Ein kleines Ritterepos aus dem späten 20. Jahrhundert. Die Liebe ist hier nicht der Todhass der Geschlechter, an dem sich Nietzsche delektierte, als er „Carmen“ von Bizet wieder und wieder hörte und sich dabei gleich auch noch von Richard Wagner kurierte. Nein, die Liebe ist hier ganz klassisch gefasst als Minne, Tristan und Isolde, die Ritter von der Tafelrunde, die Ruhmesfahrt, die triumphale Heimkehr, die Anbetung. Casanova ist also sehr weit entfernt, ebenfalls de Sade, auch wenn es in „True Romance“ sehr hart zu geht, aber noblesse oblige, und für die Herzensdame muss man wirklich alles geben, und sei es das Leben.

Schon in „Begierde“ von 1983 hatte Tony Scott sein Faible für die diesmal fiktiven Heroen der Vergangenheit gezeigt, als er das gar nicht so beneidenswerte Los des Vampirs in Starbesetzung vorführte. Auch in „True Romance“ geht es durchweg aristokratisch zu. Christian Slater ist der etwas tumbe Draufgänger Clarence, der als Parzifal aber sofort das Herz seiner Dame Alabama (Patricia Arquette) gewinnt. Eine Zufallsbekanntschaft ist der Anfang einer amour fou. Eigentlich sollte das Call-girl Alabama dem Geburtstagskind nur ein bisschen seinen einsam verbrachten Feierabend versüßen. Ein paar Tage später sind die beiden schon verheiratet. Aber bevor die beiden in die Flitterwochen fahren, hat Clarence noch einen Job zu tun. Alabamas Pimp war nicht nett zu ihr. Das schreit nach Rache. Clarence weiß eben sehr gut, wie es im Kino und Feenroman zugeht. Leider ist dieser Typ (Val Kilmer) wirklich ein ziemliches Arschloch, sehr klasse gespielt, Synchronstimme fast noch besser. Die Übergabe von Frauen geht in diesem Milieu nicht mit Handschlag ab, auch nicht mit einem leeren Briefumschlag. Da muss ja Blut fließen. Aber Clarence ist ein echter Ritter, der erst dann zur Knarre greift, als alle anderen Mittel ausgereizt sind.

Das eigentliche Abenteuer geht jetzt allerdings erst richtig los. Parzifal hat nämlich nicht Alabamas Klamotten mitgebracht, sondern einen Koffer mit erstklassigem Kokain. Dass die beiden dann erst noch bei seinem Vater, einem ehemaligen Polizisten  (Dennis Hopper), vorbeifahren, ist drehbuchmäßig zwar nicht ganz zwingend, ergibt jedoch in der Folge eine erstklassige Auseinandersetzung zwischen Hopper und Christopher Lambert, der einen Mafioten spielt. Das sieht man immer wieder gerne, wie der chancenlose und dem Tod ausgelieferte Vater dem Sizilianer auf den Kopf zusagt, dass in seinem edlen Blut das Blut des „Niggers“ fließe. Ein Abgang wie ein selbstmörderischer Wein. Sehr große Szene. Inzwischen ist das Ehepaar in Kalifornien angekommen, wo es gedenkt, den Stoff quasi zu einem Spottpreis zu verkaufen. Hier darf Brad Pitt in zwei kleinen, aber feinen Szenen die Rolle des vom Inhalieren schon ganz obercool gewordenen Verräters spielen, der den Nachfahren der sizilianischen Immigranten den Weg zum geraubten Gut weist. Am Ende des Films der sogar mehr als klassische Showdown, denn es treffen gleich drei Parteien aufeinander, die Polizei (u.a. mit Chris Penn) ist nämlich auch noch dabei. Auch hier benimmt sich Clarence vorbildlich und stellt sich der mörderischen Situation. Er hat Glück, er verliert nur ein Auge. Und die Polizei verliert seine Spur. Die beiden enden als bürgerliches Paar, mit Kind, am Strand erzählt uns Alabama ihre Geschichte, und sie war schrecklich schön.

 

Dieter Wenk

 

Tony Scott, True Romance, USA 1993