24. November 2011

Kunstpreis Start 2011

 

Max Frisinger

 

Ausgewählte Objekterklärungen

von Nora Sdun

 

 

A – Armierungsstahl

Armieren (frz.), bewehren. Bei Stahlbeton, einem Verbundbaustoff aus Beton und Stahl nimmt der Beton die Druckspannungen und der Stahl als Bewehrung vor allem die Zug- und Schubspannungen auf. Armierungsstahl wird vereinzelt von Hobbygärtnern als Rankhilfe verwendet, ist aufgrund seiner rauhen und schnell rostenden Oberfläche aber unangenehm zu handhaben. Außerdem ist Rost nicht gut für den Mutterboden. Dieser Index verzichtet vorsorglich auf die Verschlagwortung von M wie Mutter, da Kunst der letzten Jahrzehnte einen befremdlichen Schwall von biografistischen Rezensionen zur Folge hatte, welche hinter dem sensationslüsternen Durchflöhen irgendwelcher Künstlerverwandten (z. B. Müttern) und die angeblich beziehungsreiche Aufdeckung von implementierten Kindheitserlebnissen ins Werk entweder die eigene Denkfaulheit oder aber die entsetzliche Langeweile der Kunst zu verbergen wussten.

 

A – Abdeckplatten Beton / Stahl

Möglicherweise handelt es sich um Betonteile, die im Sielbau Verwendung finden.

 

B – Baggerhubgelenk mit Öldrucktopf

Hydraulik ((griech.) hydor / Wasser; aulos / Rohr) umfasst die Lehre und technische Anwendung inkompressibler Flüssigkeiten in Rohren, Gerinnen und porösen Stoffen. Heute versteht man unter Hydraulik besonders die technischen Verfahren zur Kraftübertragung mittels Flüssigkeiten in geschlossenen Leitungssystemen. Wegen der korrosiven Eigenschaften von Wasser verwendet man vor allem Öl als Übertragungsmedium. 

Hydraulische Kraftübertragung kennt man aus eigener Anwendung vielleicht vom Wagenheber. Die Sonderbarkeit besteht darin, dass man mit leichter manueller Bewegung einen PKW oder sonst etwas Sperriges, vor allem Tonnenschweres, angehoben bekommt. Das Bild eines geschlossenen Leitungssystems kann allerdings auch klaustrophobische Attacken auslösen. ((lat.) claustrum / Käfig). Als Klause bezeichnet man einen abgeschlossenen Bau (inklusorium). In eine solche Zelle ließen sich Klausner oder Klausnerinnen einmauern, um abgeschieden zu leben ((lat.) inklusi / eingeschlossene). Das Studio eines Künstlers, in dem vorgeblich oder tatsächlich eifrig gearbeitet wird, kann ebensolche klausnerischen Züge haben. Geschlossene Systeme lassen sich überhaupt auf alle möglichen Berufssparten übertragen, handelt es sich nun um Ornithologen mit ihren Vögeln, Künstler mit ihren Kunstwerken oder eben Heilige mit ihrer Erleuchtung. Wobei die Kraftübertragung angeblich besonders effektiv ist, je isolierter die Personen arbeiten. Ein berühmtes Bild eines solchen geschlossenen Systems ist „Der heilige Hieronymus im Gehäus“ von Dürer. 

 

E – Erdanker (Erdanker in Schienenbeinschützer)

Anker sind stab- oder litzenförmige Bauelemente aus Stahl, Stahlbeton oder Kunststoff, die auf Zug beansprucht werden und geeignet sind, ein Bauwerk zusammenzuhalten. Schienenbeinschützer sind eher vergleichbar mit Schaumstoffmatratzen (s. Schaumstoff) oder Wärmedämmungen, sie haben eine protektive Funktion, keine stabilisierende. Wobei zu ergänzen ist, dass neben der sinnhaft orthopädischen Passform solcher Schienenbeinschützer äußerlich eine martialische Überbetonung der Muskulatur behauptet wird, was vielleicht den Gegner abschreckt. Dieser Trick ist sehr alt. Schon in der römischen Antike trug man durchmodellierte Sixpacks als Brustpanzer. Dieser allgemeine Schwindel, der sich in der Mode getreulich fortsetzt, führte im Laufe der Jahrtausende zu Kuriositäten wie dem „cul de Paris“ – einer heftigen Überbetonung des weiblichen Hinterteils – oder für den Herren künstliche Waden – im Grunde falschherum getragene Schienenbeinschützer.

Die Kombination der beiden Objekte Erdanker und Schienenbeinschützer ist blanke Willkür.

 

G – Gummikette

Bei Gleiskettenfahrzeugen, Ketten- oder Raupenfahrzeugen laufen die Räder zur Verringerung des Bodendrucks auf Gleisketten. In diesem Fall ist die Kette aus Gummi, was den Straßenbelag schont.

 

L – Leuchtstoffröhrenringe 

Leuchtstofflampen sind rohrförmige Entladungslampen mit einer Quecksilberfüllung, bei der die Ultraviolettstrahlung des Quecksilbers in einer innen auf das Rohr aufgebrachten Schicht von Leuchtstoff in sichtbares Licht umgewandelt wird. Außer dem Quecksilberdampf sehr geringen Drucks enthält das Rohr noch ein Edelgas, normalerweise Argon (Also nicht etwa Neon, Argon ist häufiger und damit billiger). Neonröhren gibt es aber auch, diese leuchten abhängig vom Füllgas unterschiedlich farbig. Dan Flavin ist der Künstler, den man mit diesen Leuchtstoffröhren assoziieren muss. Seine „Monuments for V. Tatlin“ nehmen Bezug auf Tatlins Entwurf von 1920: einen 400 Meter hohen spiralförmigen Turm zur Erinnerung an die russische Revolution mit Namen „Monument der dritten Internationale“. Dieser technisch hochkompliziert geplante Turm wurde von Kritikern mit dem Turmbau zu Babel assoziiert. Parallelen zwischen dem babylonischen Turmbau, Tatlin und dem Bonner Gerüst sind nicht von der Hand zu weisen, aber vielleicht ein bisschen platt.

 

N – Netz (Kunststoff)

Aus Zwirnen oder in diesem Fall synthetischem Endlosgarn geknüpftes Maschenwerk für Fischfang, Gardinen oder Zierdecken. Das Wort Netz gehört zu den inflationär gebrauchten Sammelbegriffen. Das Netzwerken wird uns noch alle um den Verstand bringen, und das Verkehrsnetz hilft dabei, obschon das Internet und das Telefonnetz tatsächliche Reisetätigkeiten obsolet machen, allerdings nur solange das Stromnetz nicht zusammenbricht. Natürlich gibt es auch noch Spinnennetze und oben genannte Fischernetze, die diese, nun aber völlig abgestumpfte, erodierte Netz-Metaphorik anregten. Die christologische Figur des Menschenfischers Simon Petrus ist vollends verwirrend. Zusammen mit seinem Bruder arbeitete er als Fischer, als er von Jesus aufgefordert wurde, ihm zu folgen. Das selbiger später angeblich sagte, auf ihn, nämlich Petrus wolle er seine Kirche bauen, Petrus also als petrus/Fels/Stein verstanden, hat eine irritierende Komponente. Den Bei- oder Spitznamen Stein/Fels bekommt Simon nämlich von Jesus verpasst, und eben dieser ist es, der wegen seiner Kleingläubigkeit nicht in der Lage, ist auf dem Wasser zu wandeln wie Jesus, sondern untergeht wie ein Stein, eben Petrus, auf dem Christus dann wiederum seine Kirche zu bauen vorhat. Nun ja, Konrad Witz hat beide Geschichten in ein Bild gemalt, das Bild heißt „Der wunderbare Fischzug“. Der abgeworbene Fischer Simon soll also Menschenfischer werden. Mittlerweile ist der Tatbestand der Menschenfischerei etwa durch Personensuchmaschinen wie z. B. Yasni allerdings Grund zur Empörung und eine Sache des Datenschutzes.

 

P – Pipelineversorgungsventil / Absperrschieber

Eine Pipeline ist eine Fernleitung für den Transport von Flüssigkeiten oder Gasen, seltener auch Schlämmen.

Pipelines sind trotz hoher Baukosten ökonomischer als Tankwagen. Einige Leitungen sind mehrere Tausend Kilometer lang, beispielsweise jene aus Sibirien bis Mitteleuropa oder von Alaska in die USA. Mit einem Absperrschieber können Teile des Rohrleitungsnetzes abgesperrt („abgeschiebert“) werden.

 

S – Stahlrohre, eingegossen in Beton mit Gipsspuren / Verankerung s. Erdanker

Man kann diese Konstruktion für einen Mooringstein halten. Die Mooring (engl.) ist in der Regel mit ihrem einen Ende an einem Betonklotz, einem Anker oder einer stärkeren Kette befestigt, die am Grund eines Hafenbeckens liegt. An einer solchen Konstruktion kann man z. B. ein Boot befestigen. Diese Mooring hat nie im Wasser gelegen, vermutlich ist sie das Werk eines verzweifelten Platzwarts einer Campinganlage, der hier für das wie immer verregnete Grillfest einen Fuß für gleich drei Regenschirme baute.

Die phonetische Nähe von Mooring und mourning (engl. Trauer) mag einen Eindruck vom untröstlichen Jammer geben, der einen auf Campingplätzen, zumal bei Regenwetter, befallen kann. Die jahrelange Leitung und Aufsicht eines solchen Trauerorts verschafft einem allerdings die Qualifikation, Hausmeister einer Kunsthochschule zu werden. So geschehen am Städel in Frankfurt. Die Gründe hierfür sind evident. Das andauernde Scheitern künstlerischer Radikalisierungen, seien sie intellektueller oder materialtechnischer Natur, das verzweifelte und völlig aussichtslose Erkenntnisbegehren der ersten Semester entspricht vollständig dem gierigen Durst nach Realität der entfremdet arbeitenden Menschheit, die in ihrer Freizeit auf Campingplätzen (aber eben genauso in Kunsthochschulen) mit Materie verwechselt oder möglicherweise auch substituiert wird. Weshalb es zu den unversöhnlichsten Materialkombinationen und sonderbarsten Bastelarbeiten kommt. Man bewegt sich dauernd in einer armseligen, aber manisch aufgebauschten Welt aus selbstangerührten Betonmischungen, Pressspan und Decefix.

 

S – Schaumstoffpolster

Schaumstoffe sind künstlich hergestellte Stoffe mit zelliger Struktur und niedriger Dichte. Fast alle Kunststoffe eignen sich zum Schäumen. Schaumstoffe kann man zusammendrücken, sie werden deshalb zur Abfederung von Stößen eingesetzt, man kann sie überall dazwischenstopfen. Im übertragenen Sinne erfüllt Schaumstoff für einen Bildhauer die gleichen Kriterien welche die Malbutter dem Maler bietet, man kann damit pastose Schichten herstellen, ohne Rissbildungen fürchten zu müssen. Schaumstoff als Künstlermaterial ist also praktisch, aber auch dem Vorwurf der Versimpelung ausgesetzt, denn natürlich ist Lasurmalerei ungleich langwieriger und delikater.

 

S – Styropor

Styropor ist eigentlich Polystyrol und wird entweder als wärmedämmender Werkstoff oder als Schaumstoff eingesetzt. Für geschäumtes Styropor, zusammengebackene Schaumkugeln wie hier, gilt dieselbe Kunst-Vorwurfs-Faustregel wie für Schaumstoff, mit dem Unterschied, dass Styropor nicht zusammendrückbar ist, weshalb der Vorwurf des Rückgradlosen, willenlos Flexiblen nicht gut zu machen ist, allerdings ist Styropor als Verpackung ebenso wie Schaumstoff stoß- und schockdämpfend. Hat also eine Stress und Überstrapazierung mildernde Wirkung. Was im Kunstzusammenhang oft als Makel verhandelt wird, weil dem jeweiligen Kunstwerk mit eingebauten Stoßdämpfern natürlich die stets beschworene Radikalisierung oder Zuspitzung mangelt.