23. November 2011

„Welcome to the machine“

 

Experiment und Medientechnik der Klangmaschinen

 

Unvorstellbar, wie heutige elektronische Musik ohne den Synthesizer funktionieren sollte. Der geneigte Melomane erinnert sich an die frühen 70er, als mit dem Mellotron experimentiert wurde und zeitgleich dieses Instrument zu einem unverzichtbaren Accessoire nicht weniger Progressive Rock-Bands wurde. Es funktionierte nach dem Soundarchivarprinzip, dass auf die einzelnen Tasten des Mellotrons aufgenommene Samples gelegt wurden, die dann nach Bedarf sowohl im Studio wie auch live „abgefragt“ werden konnten. Damit kommt man dem Mechanismus, der hinter dem Synthesizer steht, ziemlich nahe. Mehr noch: seiner Virtualität, da er Geräusche und Melodien speichern kann, und sie jeweils abrufbar werden.

 

Der Sammelband „Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik“ von Daniel Gethmann im transcript-verlag geht in manchen Beiträgen noch zeitlich weiter zurück, und Thomas von Kempelens Marionnettenapparate, über die bereits Autoren wie Edgar Allan Poe und E.T.A. Hoffmann mit viel Vergnügen in ihren Storys geschrieben haben, werden als weitere Ausformungen dieses „Basteltriebs“ angeführt.

Das Buch ist eine unerschöpfliche Fundgrube für Medientheoretiker, die den Zusammenhang zwischen menschlicher Kreativität und maschineller Produktion erforschen wollen. 

„Das ,Max Brand Studio‘, aufgestellt in der Kulturfabrik Hainburg, sieht aus wie ein kleines Studio mit dem kommodenhaften Flair der 50er Jahre. Ein eigener kleiner Raum in einem größeren Raum eines Zauberers, eines Teufels, Raum einer Teufelin, der selbst nicht stabil sein wird. Wachsen und schrumpfen, abkühlen, aufheizen wird. Zu sehen sind Funktionskisten, Stecker, Kabel, Schalter, Tonbandmaschinen, zwei Tastaturen, Pedale. Dunkelbräunlich alles. Der Brand-Synthesizer kann auf verschiedenen Arten spannungsgesteuerte Töne transformieren: mithilfe einer Tastatur können diskrete Töne gebildet werden, mithilfe eines Bandmanuals können kontinuierlich Tonhöhen gezogen werden. Der Max Brand ist in Hainburg von zwei Seiten zugänglich, aber dennoch lässt sich das, was wir sehen, nur schwer mit dem kombinieren, was wir hören.“ (S. 187)

 

Dies entstammt einem Dialog zwischen Ute Holl (Professorin für Medienästhetik an der Uni Basel) und Elisabeth Schimana (Komponistin und Leiterin des IMA, Instituts für Medienarchäologie), der den Titel „Höllenmaschine“ trägt. Der Dialog liest sich wie das einführende Gespräch eines Cyberpunk-Romans, in dem neben der Klangtechnologie auch barockes Inventar nicht fehlen darf. Besser gesagt: vermeintlich barockes, vorgetäuscht barockes Material. Die Klangmaschinen könnten gut und gerne auch von einem Johann Sebastian Bach bedient werden, da manche die optische Oberfläche einer Orgel aufweisen. Wolfgang Hagen, der sich bereits ausgiebig mit dem Hörfunk auseinandergesetzt hat, schreibt in Bezug auf den Einfluss der Klangmaschinen auf populäre zeitgenössische Musik: „Das historisch erste Musikinstrument, das auf rein elektrischem Wege Musik erzeugte, hieß ‚Telharmonium‘. Medienhistorisch ist es der Vorläufer aller Synthesizer und elektronischen Musikerzeugungs-Technologien, die die heutige Musikwelt dominieren. Es ist der direkte Vorläufer der noch in der heutigen Popmusik gespielten ‚Hammond-Orgel‘, deren Entwickler Laurence Hammond in den frühen 1930er Jahren Bauprinzipien der Cahillschen Tonerzeugung übernahm.“ (S. 53)

Hagen führt weiter aus, welche Ausmaße das Cahillsche Telharmonium nahm, ähnlich wie die ersten Personal Computer. Der Weg zu den Midi-Schnittstellen ist noch weit, aber bereits eingeschlagen. Das kurz danach entworfene Theremin verdrängt das Telharmonium, das eine halbe Fabrikhalle einnahm. Bezeichnenderweise begleiten die Frühphasen der medientechnologischen Entwicklung stets auch spirituelle und paranormale Interessen. Zur selben Zeit verspricht Nikola Tesla, der aus Rumänien gebürtige Phantasma-Edison, freie Energie und sternenzerstörerische „Todesstrahlen“ zum Abschuss von Flugzeugen. 

Der Gedanke, Töne synthetisch herstellen zu können, durchzieht auch die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts. Andrei Smirnov diskutiert die Forschungen der Futuristen, wie nach der Oktoberrevolution bei den Kommunisten alle Mitglieder der Avantgarde übergreifend genannt wurden. „Die neue Technologie verlangte von den Kunstschaffenden Kenntnisse in Musik, Akustik, Mathematik, der Tonfilm-Technologie und den Ingenieurswissenschaften.“ (S. 99) Das hört sich ein wenig nach Stanislaw Lems Futurologie an, einer Wissenschaft, die vor Disziplingrenzen nicht Halt macht und an der Erforschung der zukünftigen Musik orientiert ist. Nicht von ungefähr verfasst der italienische Pianist Ferrucio Busoni, ganz im Geiste seiner futuristischen Landsmänner, ein Manifest mit dem Titel „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“. Es erscheint erstmalig 1907 in einem winzigen Verlag in Triest. Busoni träumt von der Fabrikation transzendentaler Musik und liest in McClure’s Magazine erstmals einen Bericht zu Cahills Telharmonium. Er schreibt auf, wie seine Musik klingen soll, müde vom vielen Touren als Pianist von Welt. Er träumt von Klangmaschinen, die etwas erzeugen können, was bislang in dieser Schärfe noch nicht vorhanden gewesen ist. 

 

Wagen wir einen Sprung in die Gegenwart. Effektgeräte für Bühne und Studio sind in mehreren Dutzenden zu haben, viele Scheiben sind überproduziert, 6 Gitarrenspuren werden übereinandergelegt und der Gesang im Studio nachbearbeitet. Musik entsteht am Reißbrett. In den Klangmaschinen war dieser Drang zur Überperfektion bereits enthalten, wenn sie auch als Experiment gestartet wurden. Im Artikel „Auditiver Raum aus der Dose“ werden die zeitgenössischen Auswüchse der Medientechnik, die in die Klangmaschinen gesteckt wird, kritisch hinterfragt. Axel Volmar hat nicht zufällig einen Forschungsband zum Thema „Zeitkritische Medien“ herausgegeben. Besonders abstrus wird es, wenn man sich Werbetexte betrachtet. „Der auditive Raum als epistemisches, ästhetisches und medientechnisches Problem lässt sich noch heute anhand seiner spezifischen Klangcharakteristika hörend erschließen. Es sind Sounds, die tief in das kulturelle Gedächtnis eingeschrieben sind und erkennbar die historischen Epochen des mediatisierten auditiven Raums repräsentieren, denn durch die verschiedenen Hallerzeugungsverfahren bilden sich unterscheidbare Hallcharakteristiken aus, die sich historisch zuordnen lassen. In den Hallmaschinen der Gegenwart stehen diese historisch aufeinander folgenden Verfahren allerdings üblicherweise simultan für eine praktische Verwendung bereit.“ (S. 155)

Die Synthesizerforschung wurde gewissermaßen zur Vermarktung erneut synthetisiert und handhabbar gemacht, in dem Sinne, dass die einzelnen Sounds durch Tastendruck oder Knöpfchendrehen abgerufen werden können. Das ist jetzt angesichts der zunehmenden Unabhängigkeit von großen Plattenfirmen und Vertriebswegen eine positive Entwicklung, da auch Musiker ohne Mittel eigene Stücke aufnehmen können und an ihre Anhängerschaft ohne Umwege vertreiben. Dazu verhilft auch die Reverbmachine, die im Handel erhältlich ist. Denn manche Musik soll klingen, als käme sie aus der Höhle. „Dieses Effektgerät modelliert präzise Ducking-, Space-, Cave-, Tile-, Echo-, Vintage ’63-Spring, Spring-, Plate-, Room-, Chamber- und Halleffekte – in einer mit High End-Studioeffekten vergleichbaren Qualität.“ (aus einem Werbetext zum Fußpedal Reverb Machine RV600 der Marke Behringer, zitiert auf S. 155) 

 

Der Band stellt eine sehr schöne Eröffnung in ein spannendes Forschungsfeld der Kultur- und Medientheorie dar, vor allem, weil sich ingenieurtechnisches und kulturelles wie auch epistemologisches Wissen ergänzen, denn die Klangmaschinen entstehen nicht allein aus technischer Bastelfreude diverser Ingenieure, sondern häufig auch aus spirituellen oder vielleicht besser: transzendentalen Erwägungen. Zumindest lesen einige Autoren die Entwicklung der Klangmaschinen in dieser Art. Bedenkt man nun eine klanglich auch ansprechende Ausarbeitung dieses Gedankens – Pink Floyds Lied „Welcome To The Machine“ – leuchtet die Strahlkraft des Buchs „Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik“ deutlich bis in die Wohnzimmer der Experimentatoren: Wie viel Maschine sind wir Menschen schon? Ständig abrufbereit. Können dann nicht Klangmaschinen unsere Abhängigkeit von der mechanisierten Welt ein wenig erträglicher gestalten? Sicher sind Pink Floyds Synthesizerdudeleien in besagtem Stück nicht jedermanns Geschmack. Doch die voluminöse Ausgestaltung der Soundtracks zu Filmen, vom Independent-Movie bis hin zum Blockbuster, wäre ohne die historische (Weiter-)Entwicklung der Klangmaschinen heute kaum möglich. Die Komponisten spielen längst auf der Klaviatur der menschlichen Emotionen, und das dank der Klangmaschine, die Töne aufrufbar macht ... mitunter auch „galvanisierte Musik“ (aus dem Vorwort), direkt aus der uns umgebenden Elektrizität gewonnen. Maschine macht Natur hörbar, weil beide menschengemacht sind.

 

Dominik Irtenkauf

 

 

Daniel Gethmann (Hg.): Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik, Bielefeld 2010: transcript [= Vergessene Zukunft; Bd. 1], ISBN 978-3-8376-1419-0

 

Cohen+Dobernigg

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