Pressestimmen
Als wären alle weggerannt
Ein Picknickplatz im Wald, eine geschlossene Bar im Erdgeschoss eines verlotteretes Hauses, ein leeres Schwimmbad aus Beton oder ein Christbaum überm grau-blauen Meer: Der deutsche Fotograf Volker Renner zeigt im kürzlich erschienenen Band "Eben war noch" verlassene Orte. Seine Bilder leben von der Aussparung: Wo, fragt sich der Betrachter, sind die Menschen? Wer hat zuletzt im Wald gerastet? Im Pool gebadet In der Bar über den Durst getrunken? Wer stand eben noch neben den im Wind schaukelnden Lichtergirlanden des Tannenbaums? - Es ist, als wären alle weggerannt.
lgd, St. Galler Tagblatt, 5. Dezember 2011
Volker Renner: Eben war noch, Textem Verlag 2011
Enzyklopädie der Stimmungen
Ob A wie Angst, V wie Verkrampfung oder B wie Bildzweifel. Zu allen menschlichen Gefühlslagen gibt es eine Erklärung. Deshalb hat der Hamburger Verlag Textem in diesem Jahr einen Stimmungsatlas in Einzelbänden herausgegeben. Die Autoren Nora Sdun und Jan-Frederik Bandel erzählen, was es damit auf sich hat.
Der Stimmungsatlas: Nora Sdun und Jan-Frederik Bandel im Gespräch, [10:27]
Buchtipp: Sdun, Nora/ Bandel, Jan-Frederik (Hrsg.) u.a.: Kleiner Stimmungsatlas in Einzelbänden, Textem Verlag, ca. 100 Seiten, je 12 Euro
http://www.textem.de/index.php?id=1721
Angenehm sperriger Krimi mit Wasserleiche
Stadt unter
Psychedelischer Realismus von Carsten Klook
Personen und Handlungen seien frei erfunden. Lauenburg/Elbe diene nur als Kulisse für diese fiktive Geschichte. Das versichert der Einlauftext auf Seite vier. Vorweg: Es macht mehr Spaß, das nicht zu glauben. Faktisch passiert in den folgenden 34 Kapiteln nicht viel. Das meiste spielt sich im Kopf des Protagonisten Marc ab, der während mehrerer Aufenthalte im besagten Städtchen als Drehbuchautor für eine TV-Krimiserie recherchiert. Sprachlich und erzählerisch sich alle Freiheiten nehmend, beschreibt Carsten Klook höchst amüsant und angenehm sperrig das ständige Hadern und Scheitern Marcs auf der Suche nach dem Clou für seine Geschichte: Woher kommt die Wasserleiche? Wer hat sie warum zu einer solchen werden lassen? Wer löst wie den Fall? Marc taucht so tief in seinen Stoff ein, bis die unausgearbeiteten Charaktere im Traum zu ihrem Schöpfer sprechen und die Realitätsebenen verschwinden. Die Rahmenhandlung – sozusagen zum Durchatmen in der echten Wirklichkeit – wird bestimmt von Redakteurin Hilde Brammert, die Marc zur Abgabe des Drehbuchs drängt, und von einer Normopathin namens Jill, mit der Marc anbändelt und die ihm während einer plötzlichen Augenerkrankung beisteht. Klar, dass der Job nicht fertig wird und es schließlich kommt, wie es kommen muss: Genervt vom stockenden Script nimmt der eigentlich fiktive Kommissar Hock die Dinge selbst in die Hand und macht dem Ganzen ein unappetitliches Ende. Der hat Nerven. Aber wer denn jetzt? Der Hock? Der Marc? Der Klook? Ein rundum psychedelisches Vergnügen.
Michele Avantario / Szene Hamburg 12 2011
Carsten Klook: Stadt unter, Textem Verlag 2011, 178 Seiten, 14 Euro
Lässig und intellektuell in Hamburg
Reise durch die Landschaft der Kunst- und Kunstbuchverlage
Textem Verlag und Philo Fine Arts: Lässig und intellektuell in Hamburg
Textem und Philo Fine Arts sind zwei Hamburger Verlage, die eng zusammenarbeiten und deren Mitarbeiter auch mal vom einen zum anderen Haus wechseln. Zu den Projekten von Textem gehören unter anderem der "Stimmungsatlas" in Einzelbänden, die sich bisher den Gemütszuständen "Albernheit" und "Angst" widmen, sowie die liebevoll gestaltete Zeitschrift "Kultur und Gespenster".
www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/literaturforum/kunstverlage100.html
Radio Bremen 8. 10. 2011
Das Geheimnis des rotrückigen Würgers
Thomas Ganns "Angst", ein literarisches Fundstück
"Das Thema Angst ist aufschlussreich, aber es ist auch unschön, abschreckend." In seinem Essay holt Thomas Gann weit aus, beginnt bei der griechischen Philosophie, konzentriert sich dann aber auf psychoanalytische Deutungen und auf zwei Autoren, die ihre Angstvorstellungen auf sehr unterschiedliche Weise beschrieben haben: Franz Kafka und Ernst Jünger.
Alphabetisch und ohne große Fanfaren hat der Hamburger Textem Verlag seinen "Kleinen Stimmungs-Atlas in Einzelbänden" eröffnet, mit A wie Albernheit oder eben wie Angst. Die Bände sollen sich zu einer Art Minipedia auf Papier summieren. Der essayistische Zugang ist Programm. Kafkas Erzählung Der Bau nimmt Gann zum Anlass, über unlösbare Verstrickungen nachzudenken, über Dunkelheit und Einsamkeit. Die Reaktion des Prager Autors auf Besucher in einem Kirtag-Schützengraben leitet fast zwangläufig zu Jünger über. Ihm gewinnt Gann ungewöhnliche Seiten ab, ohne seinen Kriegshymnen zu verfallen. Nebenbei erfährt man dabei auch, was es mit dem Frontispiz auf sich hat, einem Vogel namens "Rotrückiger Würger" (klingt wie eine Namensschöpfung der seligen Erika Fuchs).
Das Bändchen eignet sich zum Lesen zwischendurch und unterwegs, ist es doch fast so kompakt wie ein Smartphone und vielleicht gescheiter. Jedenfalls gescheiter als manche sonstige Lektüre in der U-Bahn.
(Michael Freund / DER STANDARD, Printausgabe, 3./4. 9. 2011)
Thomas Gann, "Angst". € 12,50 / 72 Seiten. Textem Verlag, Hamburg 2011
Pantheon Projekt
Christoph Grau bebildert die unendlichkeit auf erden
der titel sagt es bereits: projekt ist etwas unabgeschlossenes, unabschliessbares. eigentlich hätte etwas kugelförmiges dabei herauskommen müssen, das pantheon-phänomen zu be- und alle naheliegenden sowie im besten Sebaldschen sinn ab-schweifenden assoziationen aufzuschreiben. stattdessen ist es ein kleiner ziegel geworden, der sich im schaufenster des hamburger textem verlags, der ja auch die hübsch verschwurbelte zeitschrift kultur & gespenster herausgibt, ausgezeichnet ausmacht. Von CRAUSS
nicht, dass ich scheiben einwerfen wollte. im gegenteil. man guckt und staunt, was sich Christoph Grau bei seiner »gebäude-minne« so alles denkt. 47 alphabetisch geordnete kurztexte (auf seite 321 das nachwort, aber erst auf seite 495 das vorwort), die mit viel zusammengetragenem wissen und halbwissen durchwirkt sind, mit noch mehr merkwürdigen bildern – hauptsächlich von runden dingen (abgesehen vielleicht von der kaaba, aber auch daran wird sicher etwas rundes sein) – und die unglaublich unterhaltsam alles vereinen, was Grau auch nur im entferntesten unter dem titel pantheon projekt von seinem dachboden und aus alten photoalben zusammenzutragen vermochte.
»das pantheon ist eine verkörperung des denkens, ist stofflichkeit und energie,« die man an einem langweiligen sonntagnachmittag entwickelt. man probiert dies, ordnet jenes neu, stellt ein drittes dazu – und am ende ist das halbe haus ein kosmisches chaos. alles aber hat eine bedeutung, einen inneren zusammenhang, der von aussen (»um himmels willen, und wer räumt das ganze nachher wieder auf!?«) vielleicht nicht auf anhieb sichtbar ist. »irgendwann fand ich zu meiner eigenen überraschung einen speziellen speicherplatz in meiner vorstellungswelt, der selbstständig bereits alle materialien versammelt hatte, aus denen ich das vorliegende buch zusammengestellt habe.«
denn: »das griechische wort kosmos,« schreibt der autor, »hat gleich drei bedeutungen: ordnung. schönheit. welt.« und in der mitte: ein nichts, das alles zusammenhält. die kuppel des pantheon bleibt nämlich vor allem dadurch über ihren riesigen durchmesser (43m) stabil, weil die vorschluszsteine kreisförmig (und nicht etwa im rechteck) gegeneinanderstossen und in ihrer mitte ein loch (9m) lassen, durch das tauben hinaus und der heilige geist herein kann.
pantheon projekt ist in papier gekleidete poesie, weshalb der autor sich Robert Harbisons ausspruch zueigen macht, dass nämlich »auch die handfestesten tatsachen der architektur bis zu einem gewissen grad fiktional sind.« pantheon projekt ist nicht: auf papier geschriebene dichtung. das buch an sich, als gegenstand ist poetisch, so wie der tag in die nacht verliebt ist. »licht ist der tag, dunkel die nacht im pantheon, aber niemals ist es ganz hell oder ganz finster.« so ist das buch auch kein buch, es ist der ziegel, der übrig blieb, als man das pantheon baute.
Christoph Grau: pantheon projekt, Textem Verlag 2011. 600 Seiten, 28 Euro
CRAUSS, Titel Magazin, 22. 8. 2011
Schutzbauten für das Unsagbare
Die german Angst geht um
(...) Zur Angst wird diese Furcht erst dann, wenn ich schaudernd erkenne, dass es allein von mir abhängt, ob ich Vorsichtsmaßnahmen ergreife, um nicht auszugleiten, oder die entnervende Ambivalenz des Schwindels auflöse, indem ich in den Abgrund springe. Das Bewusstsein dass es kein Naturgesetz, keinen Gott und keinen psychologischen Determinismus gibt, die mich unwiderruflich daran hindern würden, die Option des Sich-Hinabstürzens zu wählen, ist das beunruhigende Bewusstsein meiner Freiheit, und es äußert sich als Angst. Angst ist damit in der Perspektive des Existetizialismus immer Angst vor sich selbst.
Dass es aber nicht nur den existenzialistischen Angstbegriff gibt und es mit der Trennung in Furcht und Angst nicht so einfach ist, zeigt die zweite Veröffentlichung: Der Literaturwissenschaftler Thomas Gann hat den zweiten Band des im Textem-Verlag erscheinenden Kleinen Stimmungs-Atlas in Einzelbänden verfasst. Nach der Albernheit wird im Zuge des sympathisch größenwahnsinnigen enzyklopädischen Projekts nun unter dein Buchstaben A die Stimmung der Angst Zum Gegenstand eines belesenen Essays, der sich zwei deutschsprachige literarische Kronzeugen für unterschiedliche Verarbeitungsweisen der Angst wählt. Am Beispiel des Frühwerks Ernst Jüngers gelingt es Gann zu zeigen, wie die Angst zur Lust-Ingredienz avancieren und durch Strategien der Ästhetisierung auf Distanz gehalten werden kann. Gann zitiert eine Passage aus Jüngers Tagebüchern aus dem Ersten Weltkrieg, in der die Trümmerlandschaft des Krieges mit dem Vokabular der Gothic Novel und aus dem Blickwinkel symbolistischer Décadence Malerei beschrieben wird. Die Wirklichkeit wird durch die Filter von Kunst und Literatur betrachtet - und dadurch, so Ganns These, bereits angstmindernd entschärft »Jüngers Aufbietung der Kunstgeschichte kann ein Kalkül attestiert werden, das darauf aus ist, aus einer Wirklichkeit zu fliehen, indem man sie beschreibt«.
Auch wenn Gann den vielkritisierten Eintrag in Jüngers zweitem Pariser Tagebuch nicht erwähnt, muss man bei diesem Thema sofort an ihn denken: Jünger schildert dort, wie er 1944 mit einem Glas Burgunder in der Hand. in dein Erdbeeren schwimmen, im Licht der untergehenden Sonne von der obersten Etage des Hotels Raphael aus die Bombardierung Voll Paris durch britische Flugzeuge beobachtet, während alle in die Luftschutzkeller rennen: »Die Stadt mit ihren roten Kuppeln und Türmen lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Kelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. Alles war Schauspiel, war reine vorn Schmerz bejahte und überhöhte Macht.« Der Krieg, als schöne Kunst betrachtet gleichsam L`art pour l`art Bevor noch die Angst aufkommen kann ist ihr potenzieller Gegenstand schon Zum wagnernden kitschig-erhabenen Bild geworden.
Neben Jünger untersucht Gann Franz Kafkas klaustrophobische Erzählung Der Bau (1923/24), in der sich ein nicht näher spezifiziertes Tier einen unterirdischen labyrinthischen Schutzbau gräbt der es vor äußeren Bedrohungen und Eindringlingen schützen soll. Doch je mehr der Tier-Erzähler in seine Sicherheit investiert, je ausgeklügelter seine Abschirmungsarchitektur wird, desto stärker nehmen auch seine Ängste und Sorgen zu.
»Das, was vor dein Beängstigenden schützen soll, ist seinerseits beängstigend beschreibt Gann diese Dialektik die sich auch auf die Sicherheitsbedürfnisse der modernen zeitgenössischen Gesellschaften übertragen lässt Der Ägyptologe Jan Assmann schreibt in der oben genannten Angst-Anthologie:
»So wie ein Regenschirm den Regen braucht, um seine Daseinsberechtigung
unter Beweis zu stellen, so brauchen und schüren die Schutzschirme die Weltangst, vor der sie schützen sollen.«
Vor seinen Lektüren von Jünger und Kafka spielt wiederum Gann unter Verweis auf die bekannte Spinnenangst noch das beliebte dekonstruktivistische Spiel des Begriffeversenkens mit den Termini Furcht und Angst. Die Angst vor Spinnen hat ein Objekt und ist dennoch - sieht man einmal von den wenigen für den Menschen gefährlichen Gattungsexemplaren ab - eher Angst als begründete Furcht: »Wieso sollte ich mich vor einer Spinne fürchten? Sie ist ja viel zu klein um mir etwas anzutun Nein, Angst ist es, was ich vor ihr habe.«
Ganns Sprachkritik lässt sich auch auf das Thema der German Angst anwenden. Auch die hat ja einen Gegenstand, und man kann sich der Angst-Furcht-Trennung zufolge fragen, ob sie darin nicht vielmehr German Furcht oder wegen ihres eher kognitiven Charakters und ihres weniger stark ausgeprägten körperlichen Aspektes sogar German Bedenken heißen müsste. Zur Lösung des Dilemmas lässt sich ein interessanter Gedanke aus dein wiederum im Angst-Sammelband enthaltenen Beitrag des Psychoanalytikers Peter Widmer anführen Er vertritt die These, dass es sich bei der Spinnenangst weder um eine lupenreine Furcht noch um Angst handle sondern um einen klassischen Fall von Phobie. Diese sei »der Versuch, Angst in Furcht zu verwandeln. Die berühmte Spinnenangst sie gilt nicht dem Tier, sondern der Besetzung des Tieres, das als Objekt auserkoren wird, um dein Unsagbaren der Angst überhaupt eine Gestalt zu geben«. Die Phobie wirke, so auch Gann unter Berufung auf den Psychoanalytiker. Jaques Lacan, »wie ein Schutzbau vor der Angst.« Die Sicht- und Erfassbarkeit des Gegners ist demnach ein erstes, wenn
auch trügerisches Versprechen der Situationsbewältigung.
Man könnte sich also zum einen fragen, inwieweit die frei flottierende German Angst darauf angewiesen ist, sich immer wieder neue Objekte zu suchen, um sich einzureden, dass sie keine bodenlose Weltangst sondern begründete rationale Furcht sei. Zum anderen ist gerade die Angst vor Strahlungen - ob elektromagnetischen der radioaktiven - eine Angst vor dem Unsichtbaren und Gestaltlosen. Diese unheimliche Ungreifbarkeit der Gefahr ist dafür verantwortlich,
dass die sehr viel höhere Zahl an menschlichen Todesopfern im Zusammenhang mit der Energiegewinnung aus Kohle- und Wasserkraftwerken Kernkraftskeptiker überhaupt nicht beeindruckt.
Noch ein anderer Punkt mag bei der German Angst eine Rolle spielen: Ängste stiften Sinn Als Oedipa Maas, die weibliche Hauptfigur in Thomas Pynchons psychedelischem Paranoia-Klassiker Die Versteigerung von No. 49 (1966), ihren inzwischen dem Wahnsinn anheimgefallenen Psychiater Dr. Hilarius aufsucht weil sie hofft dass dieser ihr die fixe Idee von einer Weltverschwörung ausreden könne, lautet dessen bedenkenswerte Entgegnung: »Hegen und pflegen Sie sie! Was habt ihr denn sonst noch? Halten Sie sie fest an ihren kleinen Tentakeln, lassen Sie sie sich nicht von diesen Freudianern abluchsen oder von den Apothekern mit Gift vertreiben. Die german Angst zehrt von solchen kostbaren fixen Ideen. Wie klare Feindbilder stiften sie im nachmetaphysischen Zeitalter Lebenssinn. Der Preis für solche Stabilität ist freilich bei Pynchon wie im wirklichen leben die Paranoia. Doch hält man sich vor Augen, dass sich der Paranoiker im Text des Rodgers-&-Hammerstein-Klassikers You'll Never Walk Alone gleich auf mehrfache Weise wiederfindet und der Glaube an eine wichtige Rolle im Weltprozess eine süße Medizin sein kann, ist ein solcher Preis leicht zu entrichten.
Thomas Hübener (Spex, #333)
Kunst glüht überall
Christoph Grau über seinen pantheistischen Blick
Man finde ein Motiv und schon öffnet sich die Welt - grenzenlos, unendlich und unerschöpflich. Für den Kunstenthusiasten und Kuratoren, ehemaligen Kunstlehrer und Galeristen Christoph Grau war es das besterhaltene Gebäude der römischen Antike, das Pantheon, das ihm Augen und Welt öffnete. Seit einem "Kunst beseelten Aufenthalt" im Rom der siebziger Jahre lernte er diesen antiken Zentralbau mit seiner weiten Kuppel als "einen belastbaren, emotionalen und konstruktiven Brennpunkt" lieben, "der nicht mehr verglimmen wollte".
Jahrzehnte später liegt nun sein "Pantheon Projekt" vor. Eine mit inspirierten Texten angelegte Bildersammlung, die sich allesamt dort wieder finden, wo das Pantheon mittels einer lichten Öffnung in der Kuppel den Blick ins Universum freigibt: im Raum des Wahren
Imaginären aber auch Anekdotischen. Seite auf Seite folgen Erinnerungen auf Assoziationen, Erzählungen auf Mutmaßungen des Autoren über das Große im Kleinen und umgekehrt. Bilder aus Kunst und Wissenschaft, Zeichnungen, Schnappschüsse, selbst auch Zeitungsbilder wie jener lichte Bombentrichter, den der Irakkrieg in die Decke eines Palastes von Saddam Hussein einbrannte, sind angeregt von der nicht nur kosmischen Dimension des antiken Gebäudes.
Ob ein Loch in der Jalousie das Kinderzimmer in eine Camera Obscura und damit in eine Art Gott TV verwandelt, sich der Big Mac als Fast Food-Variante des Pantheon entpuppt oder ein historischer Taubenturm aus der Normandie den römischen Bau zitiert: Grau lässt seinen pantheistischen Gedanken freien Raum und zeigt nebenbei wie spielerisch, scheinbar mühelos und anregend assoziativ sich Bilder erschließen – hat man erst einmal sein Muster gefunden, das nicht mehr "verglimmen" will.
Wolf Jahn, Szene Hamburg / oT Juni 2011
Kultur & Gespenster 12
Interessante Literaturzeitschriften gibt es viele und in ihnen verstecken sich so manche Perlen. „Am Erker“-Redakteur Andreas Heckmann sorgt dafür, dass wir den Überblick behalten; er wird von nun an regelmäßig über interessante neue Hefte berichten. Diesmal: Kultur & Gespenster, die horen und poet.
Kultur & Gespenster 12
„Als Graf Geert noch jung war, ging er in die Schule, um Bischof zu werden; dachte aber nicht an ritterliche Werke. Er war so arm, daß er keine Burg im ganzen Lande hatte und unter den Bürgern in Rendsburg wohnte auf dem Hakenspieker über dem Wasser, und hatte nichts eigenes, als ein paar graue Wildhunde, die man zu der Zeit für ganz edel zur Jagd hielt, wie die Jäger sagen. Da kam aber Hartwig Reventlow zu ihm und gab ihm Pferde und Harnisch. Und alsobald wuchs ihm der Mut und der junge Fürst ward ein solcher Held, daß man ihn mit Recht den Großen genannt hat.“
Dieser Text stammt nicht von Ror Wolf, sondern aus Karl Müllenhoffs „Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg” (1845), die in der 12., den „Märchen“ gewidmeten Ausgabe von „Kultur & Gespenster” in Auszügen abgedruckt sind. Das dreihundert Seiten starke, im Format leider von einst 28 x 21 auf nun 23 x 16,5 cm geschrumpfte Heft bringt neben erquicklichen Sagen und Legenden aus Schleswig-Holsteins dänischer Vorzeit ein Gespräch des Literaturwissenschaftlers Hartmut Freytag mit dem Künstler Alexander Rischer, der 2010 auf einer Fahrradtour die Plätze fotografiert hat, an denen die Texte spielen.
Schöne S/W-Fotos zeigen Waldeinsamkeit, Findlinge, vom Westwind modellierte Baumkronen, Wegkreuze, Grabmäler, Backsteingotik, einen ausgebrannten Mähdrescher auf freiem Feld, Friedhöfe, Taufbecken, und es scheint, als rufe im Schlehdorn noch das Käuzchen, als streiche die Muhme noch um die Teiche. Bereits in der siebten Ausgabe von K&G ging es um Rischers Ausstellung „Die dunckle Finsterniß hatte hier allenthalben ihren Schweins-Braten ausgestreuet“, in der der Künstler seltsame historische Landmarken gesammelt und faszinierend kommentiert hat.
Kultur & Gespenster 12: Märchen
CulturMag, ANDREAS HECKMANN, 3. AUGUST 2011