Reportage über die Geschichte von Gaza
Gaza ist ein kleiner Landstreifen neben Israel. Das konfliktträchtige Gebiet sorgt regelmäßig für Schlagzeilen in den Nachrichten. Die Welt hat sich längst an die Bilder von israelischen Angriffen gewöhnt. Was kann da eine Graphic Novel über Gaza bewirken? Mit Joe Sacco hat sich jedenfalls der richtige Comicautor gefunden. Denn der Amerikaner hat mit Palästina und Bosnien (beide Edition Moderne) bereits reichlich Erfahrung im Bereich der Comicreportage gesammelt. Nun liegt seine investigative, fundierte Spurensuche Gaza auf Deutsch vor.
Sacco begibt sich als Reporter in den Gaza-Streifen, um zwei wenig beleuchtete Ereignisse der Geschichte des Gaza-Streifens aufzuhellen: Es geht um zwei Massaker von 1956, die sich in Chan Yunis und in Rafah ereigneten. Israel besetzte zu diesem Zeitpunkt diese Grenzgebiete und tötete bei den beiden Massakern insgesamt Hunderte Palästinenser. Trotz der hohen Opferzahl werden diese Vorfälle kaum in Geschichtsbüchern thematisiert und wenn, dann meist knapp aus der Perspektive des Siegers.
Der Leser begleitet den Reporter auf seiner schwierigen Suche nach der Wahrheit. Er sucht Überlebende oder Zeugen auf. Durch die subjektiven Erinnerungen von Zeitzeugen schließt Sacco diese Lücke. Mit kritischen Kommentaren, die er in Erzählkästen anbringt, stellt er jedoch viele der sich widersprechenden Aussagen infrage. Dennoch erschließt sich nicht zuletzt durch die übereinstimmenden Punkten sukzessive ein ganzheitliches Bild der blutigen Massaker.
Die Reportage liest sich spannend, ohne zu trivialisieren. Im Vergleich zu Palästina verzichtet Sacco weitestgehend auf witzige Einschübe. Wie in Bosnien hält er sich selbst eher heraus. Es kommen unzählige Augenzeugen zu Wort, die in Porträteinstellungen und Sprechblasen Zeugnis ablegen. Bei längeren Passagen wechselt Sacco dann oft in Rückblenden, die sich auf seine gewissenhafte Recherchearbeit stützen.
Die internationale Politik und die Zeitgeschichte bringt er so viel wie nötig und so wenig wie möglich in seinen Bericht ein. Für Fakten gibt es einen ausführlichen Anhang. Er enthält die Dokumente und Quellen über die Massaker von 1956 sowie Aussagen über die Zerstörung von Wohnhäusern in Rafah aus der israelischen und der palästinensischen Perspektive. In einer Bibliografie legt Sacco schließlich sämtliches Quellenmaterial für seine Reportage offen.
Die Illustrationen weisen einen starken Kontrast auf, die jedoch durch filigrane Kreuzschraffuren, Schraffuren und akribische Ornamente nuanciert werden. Die detaillierten Hintergrunddarstellungen und die Personen wirken realistisch.
Gaza ist nicht nur eine ergreifende Graphic Novel, sondern auch eine fundierte Reportage über ein ausgeklammertes Thema. Obwohl der Schwerpunkt auf den Ereignissen von 1956 liegt, thematisiert Sacco auch andere historische und neuere Ereignisse, sodass sich letztlich ein vieldimensionales – wenn auch nicht vollständiges – Bild vom Gaza-Streifen ergibt.
Marco Behringer (09/11)
Joe Sacco: Gaza. Edition Moderne, 432 Seiten. Preis: 34 Euro. ISBN 978-3-03731-080-9