30. August 2011

Am Anfang war ich doof

Der Papierfilm, 1932. Das Filmteam bei der Arbeit am Papierfilm zu IM BANN DES EULENSPIEGELS (Frank Wisbar, D 1932). In der Mitte sitzend der Szenenbildner Fritz Maurischat. Leihgeber: Deutsche Kinemathek – Sammlung Fritz Maurischat
Raumansicht, Eingangssituation
Raumansicht, Vordergrund: Nikki de Saint Phalle, Phinx ,1990. Hintergrund: A.I. – ARTIFICIAL INTELLIGENCE (A. I. – Künstliche Intelligenz) Steven Spielberg (USA 2011). Storyboard: Chris Baker (Fangorn) The Toll Gate – Tor zu Rouge City, Graphit, Tusche und Gouache auf Papier. Leihgeber: Stanley Kubrick Archive, The University of Arts London
A.I. – ARTIFICIAL INTELLIGENCE (A. I. – Künstliche Intelligenz) Steven Spielberg (USA 2011). Storyboard: Chris Baker (Fangorn) The Toll Gate – Tor zu Rouge City, Graphit, Tusche und Gouache auf Papier. Leihgeber: Stanley Kubrick Archive, The University of Arts London
SPELLBOUND (Ich kämpfe um Dich) Alfred Hitchcock (USA 1945) Storyboard: William Cameron Menzies / James Basevi (Nach Entwürfen von Salvador Dalí) Traumsequenz, Tusche und Gouache auf Papier Leihgeber: David O. Selznick Collection, Harry Ransom Center / The University of Texas at Austin
Hintergrund: Lucio Fontana, Concetto Spaziale, (Raumkonzept)1968
Storyboard: Arthur Max, Film: David Fincher, Panic Room 2002 USA
Ausschnitt, Storyboard: Harold Michelson, Film: Alfred Hitchcock, Die Vögel, 1963 USA.
HAMMETT, Wim Wenders (USA 1982). Ausschnitt, Storyboard: Alex Tavoularis zugeschrieben. Verfolgungsjagd, Graphit auf Papier. Leihgeber: Courtesy of Alex Tavoularis, Los Angeles
WHO’S AFRAID OF VIGIRNIA WOOLF? (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?) Mike Nichols (USA 1966) Ausschnitt, Eröffnungsszene, Martha und George kommen nach Hause, Tusche und Graphit auf Papier. Storyboard Maurice Zuberano zugeschrieben. Leihgeber: Ernest Lehmann Collection, Harry Ransom Center / The University of Texas at Austin
MAN HUNT, Menschenjagd (Fritz Lang, USA 1941) Ausschnitt, Storyboard: Wiard Ihnen

 

Zwischen Film und Kunst.

Storyboards von Hitchcock bis Spielberg

11. August bis 27. November

Deutsche Kinemathek

Museum für Film und Fernsehen, Berlin

 

Die Idee, Storyboards in einer Ausstellung zu präsentieren, ist großartig, innovativ und neu. Weltweit hat das noch keiner gemacht. Die Kunsthalle Emden war die erste Station. Jetzt zeigt das Deutsche Filmmuseum in Berlin und anschließend das Filmmuseum Toronto zu seiner Einweihung diese Ausstellung. Die Versuchsanordnung, parallel zu Storyboards und Filmausschnitten freie Kunst zu zeigen, ist im literarischen Sinne gelungen. So literarisch, wie es eine Gebrauchsanweisung eben sein kann. Die, weiß man das beschriebene Gerät zu gebrauchen, nutzlos geworden, abgelegt werden kann. Die Werke aus der freien Kunst sind, um nur einige zu nennen, von Paul McCarthy, Lucio Fontana, Katsushika Hokusai, Alexander Calder, Konrad Klapheck, Ludwig Meidner, Niki de Saint Phalle.

 

Das besondere an Storyboards ist, dass sie weder dem Regelwerk des Films, des Comic, des Drehbuchs oder von Illustrationen folgen und doch von allem etwas beinhalten. Dabei müssen sie noch genug Platz für Worte und Aufzeichnungen lassen. Ursprünglich war das Storyboard  eine Korktafel, an die Bilder und Bildsequenzen geheftet wurden, zu denen die Filmgeschichte von einem Erzähler wiedergegeben wurde. Storyboards sind  Gebrauchsgrafik, was durchaus wörtlich zu nehmen ist. In Storyboards wird von Filmschaffenden oft hineingeschrieben, die Bilder umgestellt, nummeriert oder überzeichnet. Oder es dient im Vorfeld eines Films als Ideenfang. Am Filmset kürzt es Weg über die Worte ab, jedes Mal eine Szene von neuem erklären zu müssen, gerade dann, wenn ein Drehplan in Zeiten und Orten springt.

 

Die Ausstellung zeigt Storyboards zu Filmausschnitten von Victor Fleming, Gone with the Wind, Fritz Lang, Man Hunt, Francis Ford Coppola, Apokalypse Now, Francoise Truffaut, L´homme qui aimait les femmes. Zusätzlich gibt es in Berlin einen Raum mit Storyboards deutscher Regisseure aus dem Archiv der Kinemathek, u. a. mit Wim Wenders, Hammett und Tom Tykwer, Drei, Chris Kaus. Dies nur, um einige bekannte Namen zu nennen.

 

Je länger ich über die Ausstellung nachdenke, desto ärmer erscheint sie mir. Es fehlt an analytischem Denken. Es fehlt an ökonomischem Denken. Die Frage, wer in wessen Auftrag mit welcher Bezahlung ein Storyboard zeichnete, wird nicht behandelt. Der Unterschied, auch in der Bezahlung, ob ein Produzent, ein Produkt- oder Setdesigner, ein Kamera- oder Lichtmann angewiesen, überzeugt, erregt oder verführt werden soll oder ein Autor eine Filmidee entwickelt, wird nicht gemacht. Dem Verhältnis von Auftrag, Budget und Ästhetik wird nicht nachgegangen. Somit bleibt die Ausstellung eine oberflächliche Geste. Während in der freien Kunst ein Mehrwert darin besteht, den heimlichen, dem Künstler selbst oft unbekannten Auftrag herauszufinden, liegen die Auftragsverhältnisse beim Storyboard eigentlich offen. Man hätte nur nachfragen müssen. In diesem Sinne sind die Autoren-Kritzelzeichnungen von Martin Scorsese und Tom Tykwer ein wertvolles Beispiel für eine kommunikative, visualisierte Ideenfindung, gerade weil sie im artistischen Sinne wertlos sind, was besser gezeichnete Storyboards oft sind. In diesem Sinne ist die Gegenüberstellung von freier Kunst und Storyboard eine Gebrauchsanweisung zum Nichtdenken. Niki de Saint Phalle, Modell mit begehbaren Körperöffnungen, wird von Spielberg-Bakers I.A. Artificials Intelligence erledigt. Erledigt meint hier, dass sich beide Felder neutralisieren. Lucio Fontana von Fincher-Max Schlüsselloch-Schnitt/Fahrt in Panic Room. Disneys Snow White von Paul McCarthy. Oder  Katsushika Hokusais Schwertkampf  von Lucas-Beddoes Star Wars. Aber ein Anfang ist gemacht, heißt es doch: Am Anfang war ich doof.  

 

Empfehlungen, Vorschlag für eine andere Herangehensweise. In Verbindung von Wort und Bild, freier Kunst und Film:

 

The Pervert's Guide to Cinema, Slavoj Zizeks. 2006 documentary directed and produced by Sophie Fiennes. Untertitel: Das Kino ist die ultimative perverse Kunst. Es gibt dir nicht, was du begehrst.

 

Jean-Luc Godard - Geschichte(n) des Kinos, Filmedition Suhrkamp. Hier geht es auch um freie Kunst-Bilder und die nähe des Films zu Bildfindungen des 18 Jhd.

 

Lektüre: Jacques Rancière, Der emanzipierte Zuschauer, Passagen Verlag, Kapitel: Das Paradoxa der politischen Kunst.

 

Christoph Bannat