4. Dezember 2003

Die flinken Gebetsmühlen des Pfarrers

 

Es ist durchaus keine Metapher, McKinsey, die 1926 in Chicago gegründete Unternehmensberatungsagentur, als Fraktal kapitalistischer Gesellschaften zu begreifen, geht doch mit der Steigerung von Effizienz, für die der Namen McKinsey steht, eine schleichende, und daher kaum wahrgenommene und wahrnehmbare Entdifferenzierung der Ausdifferenzierung einher, sodass am Ende für alle gesellschaftlichen Bereiche die gleiche Auftragsformel gilt, nach der bei geringstem Aufwand ein Maximum an Ertrag zu erwirtschaften sei.

Anders gesagt: Die Geschichte von McKinsey, so wie sie Dirk Kurbjuweit erzählt, ist auch eine Geschichte vom Zauberlehrling, der die Geister zu einem ganz bestimmten Job rief, dieser Job sich aber gewissermaßen verselbstständigte und auf ganz andere Bereiche überschwappte. Schaut man sich also die heutige Gesellschaft an, so sieht man vor lauter georderter, aufoktroyierter oder auch unbewusster McKinsey-Vergatterung kaum noch Subjekte, die ihrem Eigensinn und kaum noch Institutionen, die ihrer herkömmlichen Logik zu folgen vermögen. Dieses Buch, das zunächst „Die McKinsey-Gesellschaft“ heißen sollte, führt in Portraits, Fallbeispielen und zuletzt auch in privaten Fantasien die omnipräsente „Diktatur der Effizienz“, die „totale Ökonomisierung der Gesellschaft“ vor. Dirk Kurbjuweit tut das sehr eindringlich, jedoch leise, manchmal traurig, nie jedoch resigniert. Die Behutsamkeit des Autors, die ihn anders sprechen lässt als zum Beispiel Vivian Forrester in „Die Diktatur des Profits“, ist zum einen darin begründet, dass er kein Rezept hat, den McKinsey-Effekt zurückzuschrauben, weil er keine (linke) Theorie auffährt, mit der diese Diktatur bekämpft werden kann, zum anderen darin, dass er sich sehr bewusst ist über die Paradoxie, die hinter dem Wort Effizienz steckt: „In fast jedem Einzelfall ist es wahrscheinlich richtig, wenn effizient gehandelt wird. Wenn aber überall und von jedem effizient gehandelt wird, kommt insgesamt etwas Falsches dabei raus.“

Schaut man jedoch genauer hin, so sieht man, dass eine Paradoxie im strengen Sinn gar nicht vorliegt. Denn effizientes versus nicht effizientes Handeln als Leitdifferenz findet man nur im ökonomischen Sektor, nicht aber im religiösen oder künstlerischen oder juristischen Gebiet. Es ist schlechterdings sinnlos, von der Richtigkeit von Effizienz von Literatur zu sprechen, weil man nicht wüsste, auf was sich Effizienz beziehen soll: auf die Produktion, das Lesen, den Vertrieb, die Vermarktung, oder alles zusammen? Damit soll natürlich nicht bestritten werden, dass Literatur abhängig ist von Vermarktungsmöglichkeiten, aber ihre besten „Produkte“ waren noch nie die, die sich am besten haben verkaufen lassen. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass es dem Autor nicht um die Beschreibung der Verlagerung von systemtheoretischen Leitdifferenzen geht. Ihn interessiert viel mehr, was es heißt, wenn etwa ein Pfarrer seinen Job so formuliert: „,Ich bin Dienstleister im geistlichen Sinn und konkurriere mit anderen Anbietern auf dem Markt für Sinn-Angebote.’“

Für den Autor klingt das nicht nach der endlich in Angriff genommenen Öffnung der Kirche – Stichwort Modernisierungsschub: die Kirche als temporärer Techno-Club –, sondern ist nur noch ein trauriges Zeichen unpassender Anbiederei ans Ökonomische. Gleichwohl beschreiben die Worte des Geistlichen ziemlich genau die Position, in der sich die Kirchen heute befinden. Der Code, mit der die Kirche sich und andere verständigt, muss auch heute lesbar bleiben, und es ist Sache der Kirche, wie viel sie den Gläubigen als ihren „Kunden“ dabei zumutet. Austritte wird es so und so geben.

Dem Autor gelingen sehr schöne Einzelportraits, die sich beinah wie literarische Medaillons lesen (der Finanzminister, der Wahlkampagnenleiter), aber immer dann, wenn es darum geht, Gegenwelten zur McKinsey-Welt, in der wir leben, zu beschreiben oder zu lancieren, merkt der Leser, wie schwer es dem Autor fällt, anderes als die „guten alten“ Bezüge zu skizzieren. Die chaotische Bürowelt von Schwellenländern ersetzt nicht die moderne Bürokratie, auch wenn wir sie ganz sympathisch finden. Auch fällt es schwer, freie Bereiche in einer Welt zu erhalten oder zu erobern, die sich als Leistungsgesellschaft versteht, und das nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in der Freizeit. Und was die Fantasie eines jeden einzelnen angeht, so muss bezweifelt werden, ob es einen Zustand der freien Einbildungskraft gibt, der nicht von Grund auf von den Vorstellungen und Bildern durchzogen ist, von denen sich der Autor so gerne befreien möchte, um zu sich selbst zurückzufinden. Dirk Kurbjuweit hätte vermutlich kein Problem damit, ein Traditionalist genannt zu werden. Für Marken-Menschen ist das natürlich keine Alternative. Das eigentliche Problem besteht aber nicht in dem oben genannten (Schein-)Paradoxon, sondern darin, dass es für McKinsey kein McKinsey gibt. Und wenn McKinsey mehr als nur eine Metapher ist und eben eine Selbstähnlichkeit eines Teils mit einem es umfassenden Ganzen beschreibt, dann scheint die heutige Gesellschaft auf eine Weise selbstresistent zu sein, die auch noch den von außen angelegten kritischen Zeigefinger in ein Optimierungsangebot umzudeuten weiß. Dirk Kurbjuweit will „uns“ aufrütteln. Das schleichende Gift der Effizienz unschädlich machen. Die Fantasie re-naturalisieren. Das wird ihm nicht gelingen. Denn: „Yourself is the only thing that can happen to yourself so that nothing can bring you down.”

 

Dieter Wenk

 

Dirk Kurbjuweit, Unser effizientes Leben. Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen, Reinbek bei Hamburg 2003 (Rowohlt), 187 Seiten