4. Dezember 2003

Wie viel Väter braucht ein Sohn?

 

Wer hat eigentlich den Katholizismus erfunden? Sind es die vier Kirchenväter? Gab es das Wort Katholizismus, bevor es den Protestantismus gab? Fest steht jedenfalls, dass es keine protestantische Mafia gab und gibt. Das Gottesreich auf Erden in verkleinerter, aber analoger Form wohnt in Rom und seinen zahllosen Dépendancen. Familie, Provinz, Getto, Viertel, alles nur Namen eines überschaubaren hierarchischen Gefüges. Die Inhalte sind nicht so wichtig, deshalb hat ja auch die kriminelle Mafia dort Platz, aber die Form ist unverletzlich. Der Boss als Papst oder Kardinal, seine Adjutanten als Messdiener und Exekutivorgane, seine Beschlüsse als todbringende Beweise der Unfehlbarkeit.

So lässt sich leben. Und sterben. Denn so ganz geht die Mafia dann doch nicht auf in der klerikalen Struktur. Ihre Sünden sind Programm, ein bisschen zu offensichtlich. Ihre repräsentativen Ausstellungen von Macht und Wohlergehen ein bisschen zu Neid und Hass erzeugend, als dass die Pyramide halten könnte wie ihr Vorbild. Deshalb die Reibereien, Kämpfe, Schüsse, Toten. Was die Unbeteiligten als Unverhältnismäßigkeit der Mittel ansehen könnten – ein Kopfschuss wegen eines Parkplatzes, um den zwei sich streiten – ist genau die Regelmäßigkeit einer Auseinandersetzung, die die Kirche nach ihrer Spaltung in Ost und West nahezu unmöglich gemacht hat, bis sie, die Westkirche, selbst exzessiv wurde und eine ganze Weltordnung zusammenbrach.

Für den kleinen Carloggero, 9-jähriger Sohn eines ehrenhaften Busfahrers (Robert de Niro), besteht die Welt nur aus Sonny, dem Boss des Viertels, er ist ein Bild der Allmacht, des Glanzes, das sich bis in die kleinsten Details zeigt, wie etwa die drei Finger der rechten Hand, leichte Deformation der Haltung der Finger, aber eben nicht des segnenden Prinzips. Der Junge hat also von vornherein zwei Väter, den symbolischen und den imaginären, und natürlich ist der imaginäre der verführerische, was auch der symbolische merkt, insofern die väterliche Macht droht, in die andere Familie hinüberzugleiten. Man weiß gar nicht, wem man das zuzuschreiben hat, auf jeden Fall gelingt es dem Jungen, eine Balance zu halten zwischen den beiden Ordnungen und sich so eine doppelte Erziehung zu ermöglichen, die der Schule und die der Straße. In dem Mädchen Jane Williams treffen die beiden Väter noch einmal aufeinander. Sonny steht für soziale Rücksichtslosigkeit – in den Grenzen machiavellistischer Überlegungen in Sachen Zumutbarkeit –, der Vater für die Beachtung der Grenze, der es nicht gerne sähe, dass eine Schwarze die Schwelle seines Hauses betritt.

Was den Film auf den ersten Blick so sympathisch macht, macht ihn später etwas lau. Er ist so rein. Auch schön. Ein Schwanengesang auf den Mafiafilm. Wo er doch nur episodisch sein will, ein kleines Kapitel aus den ungezählten, aber nicht unerzählten Geschichten, die sich da in der Bronx ereignet haben, in den 60er Jahren. Aber das Prinzip Kleinkirche wird weitergehen, wie das Ende zeigt, die Nachfolger stehen immer schon in den Startlöchern, weil dieses Leben zu schön, aber leider auch sehr gefährlich ist. Nur den Türtest kann man nicht mehr machen. Die Wagen sind zu klein geworden, der Blick in den Rückspiegel trifft auf nichts mehr, böses Zeichen.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Robert de Niro, In den Straßen der Bronx, USA 1993</typohead>