5. Mai 2011

Black Metal

 

NATTEFROST & SEHNSUCHT

 

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?*

 

 

Norwegischer Black Metal gilt bis heute als ein dunkles Fanal im Extrem Metal-Bereich. Ihn umgibt eine mystifizierte Aura des Heidentums und antisozialer, wenn nicht antimenschlicher Haltung. Er legt keinen Wert auf breite Akzeptanz und stellt einer Gesellschaft, die sich nicht in künstlerischen oder musikalischen Subkulturen wiederfindet, eine deutliche Bankrotterklärung aus.

 

 

Eine Band ragt aus dieser Tradition der Außen- und Selbstzerstörung heraus: Mayhem, im Jahr 1984 in Oslo gegründet und durch Mord, Kirchenbrandstiftungen und Selbstmord auch jenseits der Metalszene bekannt geworden. Zunächst erschoss sich Dead und seinem Bandkollegen Euronymous wird nachgesagt, er habe nicht nur ein Foto vom zerplatzten Schädel geschossen (was er tatsächlich gemacht hat und auf dem Cover einer Bootleg-Live-CD zu sehen ist), sondern auch Teile des Hirns entwendet und später in einem Eintopf weiterverwertet. Dies könnte als schamanistische Verspeisung eines einstigen Weggefährten – oder Kriegers (wie sich die Black Metaller gerne martialisch ausdrücken) – verstanden werden, und die Kraft ging in Euronymous über. Dieser betrieb in Oslo einen Plattenladen mit Titel Helvete (norwegisch für Hölle) und galt als Zentralfigur der lokalen Black Metal-Szene. Traurige Berühmtheit erlangte er nicht nur durch seine Mitgliedschaft in der Band Mayhem, sondern auch als Mordopfer seines ehemaligen Bandmitglieds und heutigen Alleinmitglieds der ‚Gruppe‘ Burzum: Varg Vikernes, der dieses Jahr aus einer langen Haft entlassen wurde und mit seiner Frau und den zwei Kindern auf einer Farm lebt.

Mayhem haben sich zunehmend von der bewusst unterproduzierten rasanten Variante des True Norwegian Black Metals entfernt und spielen nun eine Musik eigenen Kalibers. Die Bedeutung von Klangerzeugung, d.h. von mächtigen Gitarrenwänden, durch die sich vereinzelt Schreie und Gitarrenriffs sägen, ersetzte die herkömmliche Songkomposition. Maniac, der zur Band Ende 1995 stieß, entschied sich zu einer Solokarriere und arbeitet inzwischen an verschiedenen Projekten. Einige davon bewahren ein standhaftes Bein im Black Metal, andere wiederum lösen sich aus den allzu engen Genregrenzen. Die Platte, die in diesem Artikel im Vordergrund stehen soll, ist “Wüste” von Sehnsucht, bei dem unter anderem Andrew Liles mitarbeitete. Liles nimmt in der experimentellen Musik des UK’s eine integrale Rolle ein, unter anderem arbeitete er mit Current 93 zusammen. Die Verbindung der sogenannten Neofolk- und Black Metal-Szene wurde bereits mehrfach beschrieben, auch in dem zuweilen tendenziösen Buch “Unheilige Allianzen” von Dornbusch und Killguss, deren Erläuterungen manchmal ein wenig über das Ziel hinausschießen und den Black Metal unter rechtsextremen Generalverdacht stellen.

Sicher kann Politik gerade in einer solchen extremen Kunstform nicht außer Betracht gelassen werden. Jedoch gehört zu diesem Subgenre die Provokation und die bewusst zur Schau gestellte politische Unkorrektheit zum ‚guten Ton‘. Intelligentere Zeitgenossen des Black Metals verzichten deshalb ganz auf politische Untertöne und gehen in eine allgemein menschenfeindliche Haltung über.

 

 

Nattefrost, Leadsänger bei der Band Carpathian Forest aus Norwegen, stellt mit seinem gleichnamigen Soloprojekt diese “Fickt euch doch alle!”-Attitüde mehr als deutlich zur Schau.

Maniac, ehemaliger Leadsänger bei der Band Mayhem aus Norwegen, stellt mit seinem Soloprojekt Sehnsucht eine andere Haltung zur Schau.

Beide exemplifizieren, so die These dieser blackmetaltheoretischen Betrachtung, die Bandbreite der Möglichkeiten einer Black Metal-Philosophie. Was gehört dazu, was macht den Kern dieser Lebensphilosophie aus? Mayhem sprechen in einer Videodokumentation im norwegischen Fernsehen von einem “Lifestyle”, den sie neben der Musik verfolgt hätten und aufgrund dessen sie meinen, zu dieser Bekanntheit im Sub-Genre aufgestiegen zu sein: das Extrem zu wagen und vor allem auszuhalten. Als ob man sich mit dem Messer eine tiefe Schnittwunde verursacht und nicht der Blutaustritt, sondern der ziehende Schmerz die Wochen danach das Unmögliche möglich macht: am Schmerz nicht zu verenden.

 

 

Bei Liveshows von Mayhem ritzte sich Maniac schon mal die Arme auf. Aufgrund der allgemeinen Aggression der Musik, der Atmosphäre auf der Bühne, führte der Auftritt zu autoaggressivem Verhalten. Es passierte laut seiner eigenen Aussage nie aus Imagegründen. Sehnsucht nimmt sich schleppend aus. Erst nach und nach, vielleicht nach mehrmaligem Hören, erschließt sich der Charakter der Songs. Maniac macht zumindest auf der Sehnsucht-Scheibe “Wüste” seinem Pseudonym keine Ehre mehr.

Nattefrosts Soloscheibe “Terrorist” vereinigt in sich Tabuthemen des Normalzustands: ‚Eine kleine Arschmuzick‘ ist dabei noch das kleinste Übel. ‚Nekronaut (Cunt Cunt Gimme More)‘ und vor allem ‚Preteen Deathfuck‘ ziehen da ganz andere Kaliber auf. Ein kleiner Ausschnit aus den Texten sollte einen Eindruck vermitteln, in welchen Bereichen sich Nattefrost aufhält: “Anti-christian terrorist / Grim slaughterer of life / Let’s massacre the christians / And worship global death !!!” (aus dem Titelsong ‚Terrorist‘) oder aber: “Abused and sodomized little ten-sing whore / Crying, screaming, begging for more / Curly blonde hair, she’s gasping for air / Shut the fuck up !!!! Life is not fair !!!” (aus ‚Preteen Deathfuck‘)

Provokation oder wahre Überzeugung? Diese Frage beschäftigt vor allem auch die Szene-Insider. Wie weit darf man im subkulturellen Code gehen? Wann beginnt das abgetragene Klischee? Provokation schlicht der Provokation willen? Grenzen des Geschmacks und der Moral werden überschritten. Muss es jedoch auf so plumpe Art geschehen? Ist die Spirale nicht schon überdreht?

Nattefrost wird sich auf seiner Soloscheibe nicht diese Fragen stellen, sondern tief das Bedrohliche, Böse des Menschseins aufscheuchen. Dieses akustisch erschreckende Album wird kaum von Laien gehört werden, für die Vergewaltigung und Pädophilie in keiner Kunst, sollte sie noch so kompromisslos sein, unkritisch besungen werden dürfen.

 

 

Black Metal ist mitunter in mancher Ausprägung stark provokativ, allein an der Zerstörung des Menschen und der Welt interessiert. Wenn er das nicht wäre, könnte er genauso gut Pop sein. Doch regt sich Widerstand in der Szene, häufig bei den Musikern selbst.

Nattefrost schreibt auf der “Terrorist”-Scheibe rückwärtig: “True Primitive Narrow-Minded Elite Black Metal”, was sich mit der Genrebezeichnung TNBM (True Norwegian Black Metal) und den Devisen “anti-human” und “anti-life” verbindet. Ist es pures Image dann, das auf junge Menschen und entsprechende Gemüter Eindruck macht? Nicht ganz, denn Nattefrost gibt sich laut Szenegerüchten regelmäßig hartem Drogengenuss hin. Die Selbstzerstörung greift auch auf das Privatleben über. Keine Trennung zwischen der Kunst und dem Alltag. Musik wie der Black Metal verlangt eine Aufopferung, da die Texte wie auch die Musik starke Emotionen verarbeiten. Doch zeigen zahlreiche andere Beispiele, dass man nicht körperlich, seelisch und psychisch kaputt sein muss, um diese Musik spielen zu können. Wolves In The Throne Room beschäftigen sich mit Henry David Thoreaus Entwurf eines selbstgenügsamen Lebens und verehren Walt Whitmans spirituelle Dichtung; Enslaved setzen vor allem auf eine Neuinterpretation mythologischer Inhalte und ausgewiesene Fähigkeiten an ihren Instrumenten.

 

 

Nattefrost setzt mit seinem Soloprojekt auf etwas Anderes. Maniac mit Sehnsucht auch: durch die Zusammenarbeit mit dem Experimentalkünstler Andrew Liles nimmt sich die Musik von diesem Projekt sehr atmosphärisch aus. Das Cover ziert eine Orchidee. Nicht das typische Black Metal-Inventar. Musikalisch bringt Maniac seine bekannten Screams ein, gepaart mit Noise und harschen Gitarren. Titel wie ‚Stadt der Engel der Vernichtung‘ und ‚Good Morning Great Moloch‘ weisen dann schon auf eine poetischere Ader im Sehnsucht-Projekt hin. Dies wird sicher auch mit der Zusammenarbeit mit Current 93-Musikern zusammenhängen. Das zweite Stück ‚Cunt Queen‘ schlägt eher Brücken zu Nattefrosts ‚Nekronaut (Cunt Cunt Gimme More)‘: Maniac beschwört die erotische Bedrohung durch das Weibliche. Seine eindringliche Stimme invoziert in englischer Sprache die morbide Faszination des weiblichen Genitals. Musikalische Vergangenheiten legt man nicht wie politische ab; etwas bleibt immer zurück.

Sind Maniac und Nattefrost, als Sänger bekannter und wichtiger Black Metal-Combos, beide als schwarze Männer zu verstehen oder gar zu vergleichen?

 

 

“Terrorist (Nekronaut Pt. I)” ist schwarz und wüst. “Wüste” ist bunt und blumig. Maniacs Projekt Sehnsucht vereinigt auf dem Album eine Stilvielfalt, auf die Nattefrost bewußt verzichtet. Es geht um “wahren norwegischen Black Metal”, roh und unverdaut. 2009 veröffentlicht er eine Split-LP namens “Engangsgrill” mit einem Urgestein der norwegischen Szene: Fenriz von Darkthrone. Während Fenriz‘ Teil der Platte in Richtung Krautrock geht, übt sich Nattefrost in schwarzmetallischer Askese: auf den Punkt gespielt und ohne Firlefanz. Ebenso nimmt sich der Sänger mit seiner eigentlichen Band Carpathian Forest, deren neues Album bereits seit Jahren angekündigt wird, kein Stück zurück.

Maniac hingegen nimmt das Tempo bei Sehnsucht deutlich heraus. Ja, es ist kein Metal, was er da mit Andrew Liles und seinen Musikern kreiert. In ‚Hanging In English Garden‘ reflektiert er über die Musik und meint: “Black metal? What a poisonous gift to the world! No fucking sting. Norwegian my ass. It’s got no fucking sting. It’s so consumed in a world of shit, just like anything else. Everything else. All that matters is consumers and capitalism. Nothing else. Black metal? Fuck this!” (eigene Transkription) Black Metal wird reflektiv, selbstkritisch, sucht nach neuem Sinn in dem ganzen Zerfall, der diese Musik seit Gründungstagen in den 1980ern umflort.

 

 

Nattefrost übt sich hingegen in der ‚Goat Worship‘: “I am a worshipper of Satan / I am a warrior of the nekrokult / I am a ruler of global death / I want destruction / Under the sign of the goat / I want destruction and I want eternal war !!!!” Eine vergleichende Analyse würde aufzeigen, daß sich Nattefrost hier gängiger Klischees oder freundlicher ausgedrückt: der Black Metal-spezifischen Tropen bedient. Der Ziegenbock als leicht erkennbares Symbol für Satan, den ewigen Widersacher göttlicher Ordnung. Der Norweger lebt jedoch trotz allen Hangs zur Selbst- und Weltzerstörung noch. In Maniacs früherer Band Mayhem gab es zwei aufsehenerregende Tode: der Sänger Dead wurde seinem Pseudonym gerecht und verübte Suizid. Euronymous, der Herr des Todes, wie er sich selbst auch nannte, Gitarrist und zeitweilig Sänger bei Mayhem, wurde von seinem Bandkollegen Varg Vikernes mit mehreren Messerstichen ermordet – Vikernes ist vor allem durch die Scheiben seines Soloprojekts Burzum bekanntgeworden. Ein weiterer schwarzer Mann im norwegischen Gewaltkarussell, der eine langjährige Gefängnisstrafe verbüßte. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß und veröffentlichte zwei neue Platten: “Belus” und “Fallen”, das am 7. März 2011 erschienen ist. In den Texten zu seiner Musik fand man nie Aufforderungen zur Gewalt. Vielmehr wurde eine heidnische Vorzeit beschworen oder Stimmungsbilder geschaffen. Doch Vikernes sprach seine Zerstörungsphantasien in der Realität aus, brachte damit eine neue Ebene der Beschäftigung mit Gewalt in die Heavy Metal-Szene. Der Black Metal wird dem Spektrum des sogenannten Extreme Metals zugeordnet. Wenn man extreme Musik spielt, könnte man weitergehen und einen entsprechenden Lebensstil einfordern: Gewalt gegen Autorität, gegen etablierte Religionen, gegen das Leben an sich, gegen Menschen – bis auf die Mitstreiter, die sich im selben Zirkel bewegen. Der Großteil der Musiker hält sich jedoch an eine Trennung zwischen subkulturellem Alter Ego und Laiengesellschaft: was auf Platte und am rituellen Platz des Konzerts vertretbar ist, kann nicht auf das Alltagsleben und den Umgang mit fremden Menschen übertragen werden. Von dieser Spannung lebt insbesondere der Black Metal.

 

 

Betrachtet man Nattefrosts zweite Soloscheibe “Terrorist” erneut, stößt man auf eine Vielzahl von Symbolen (invertiertes Pentagramm, umgedrehte Kreuze, Runen, einen Daumen, der nach unten zeigt, Totenköpfe, Schlangen). Statt sich auf das Wesentliche zu reduzieren, wird ein Sammelsurium an Symbolen der kulturellen und religiösen Opposition aufgeführt. Die Musik bleibt wüst, brutal und schnell. Das Booklet übernimmt die Aufgabe der Positionierung. Die Musik allein ist für Insider als Black Metal wahrnehmbar. Doch damit nicht genug: Nattefrost ergänzt die Musik noch durch das Label “TNBM” auf dem Backcover. Doch die beiden letzten Stücke ‚Dinsadabsdjeveldyrkaar !!!‘ und ‚The Death Of Nattefrost (Still Reaching For Hell Part II)‘ versuchen sich im psychedelischen Rock und Lärmcollage, weichen also vom norwegischen Black Metal deutlich ab. Doch was sagen die Musiker so häufig? “Ach scheiß doch drauf! Machen sowieso, was uns in den Kram paßt!” Und jede weitere Diskussion ist gegessen.

Maniac hingegen bildet vier Orchideen in dem Digipack ab. Landläufig, im common sense, würde man sagen: schlichte Schönheit, perfektionierte Form und Gestalt der Botanik. Hier wird etwas Anderes als Schwärze ausgedrückt: Black Metal kommt nur als Verweis vor. Wer sich ausgiebig mit Musik beschäftigt, weiß, wo Maniac zuvor spielte und kann ihn als schwarzen Mann, d.h. als Black Metal-Musiker identifizieren.

 

 

Musikstile bilden Geschmacksorientierungen und Grüppchen sammeln sich. Zu dieser Art Musik gehört es dazu, dass man nicht über Blumen und freie Liebe singt. Körperausscheidungen und Zerstörungsphantasien passen da schon besser zu den klirrenden Gitarren, den schnellen Drums und dem Kreischgesang. Der Punkrock guckt durch die Hintertür rein. “Jung kaputt spart Altersheime.”

Archaische Statements treten immer wieder gerne in künstlerischen Konzepten auf; Designer, Denker und Schreiber greifen die Bildsprache und Ideologie des Schwarzmetalls auf, um ihr eigenes Schaffen in eine deviante Richtung zu lenken. Verbot und Tabuverletzungen kommen nach wie vor bei einem Großteil der Zuschauer sehr gut an, der Reiz am Verbotenen, die Grenzüberschreitung, die Sakralisierung des Profanen oder eben wie im Black Metal: die Umkehrung davon: die Zerstörung des Sakralen durch Profanitäten und letztlich Perversionen. Man könnte die beiden Soloprojekte mit Georges Batailles Überlegungen zum Bösen in der Literatur und zu den Schattierungen des Eros in Verbindung bringen. Die Faszination an der Grenzüberschreitung, das Abschlagen des vernünftigen Kopfes, die Proliferation der Hydra. Die noch frische Black Metal Theory versucht, Parallelen zwischen mehr oder minder reflektierten Repräsentanten des Black Metals und theoretischen Positionen der letzten zweihundert Jahre aufzuspüren und darzustellen.

 

 

Maniac bezieht sich an mehreren Stellen auf das Neofolk-Projekt Current 93, das lyrisch stark von neoromantischen Gedanken geprägt ist. Die Zerbrechlichkeit des Menschen und die Schönheit der wilden Natur wird in ruhigen Songs beschworen: ein Gegenstück zum Vulgärverständnis des Black Metals. Der Folkeinfluß hat längst den Weg in den Black Metal gefunden: schon von Beginn an inkorporierten Bands wie (frühe) Ulver, Enslaved und Storm ruhige Akustikteile in ihrem Trümmersound. Sehnsucht als Projektname spricht zudem eine deutliche Nähe zur Romantik und Jugendstil aus.

Anders bei Nattefrost. Hier scheint nicht viel Aufhebens um Symbolik gemacht zu werden. “Sell your soul to evil / Sell your soul to SATAN / The claws of perdition / A black metal suicide” (aus: ‚Black Metal Suicide (Claws Of Perdition)‘) Direkt auf die Fresse und da stellt sich die Frage, welche Ethik und welcher Umgang mit Menschen aus solchen Texten spricht. Im Metalsektor wird der Einwand gegen solche Botschaften meist als rein unterhaltend abgetan. Es geht darum, besonders böse zu wirken. Da ist jedes Mittel recht. Könnten diese Texte jedoch nicht dazu führen, für Verbrechen aller Art durchaus eine Neigung zu entwickeln? Ein Zusammenhang zwischen Textinhalt und Realleben ist nicht zwingend herstellbar. Der bereits angesprochene Vikernes widmet sich trotz seiner Mordtat auf den Burzum-Platten keiner Gewaltfantasie. Die Theorie der Mediendelinquenz unterstellt zuweilen Kunst mit extremen Aussagen einen gefährdenden Einfluß auf die Jugend. Vielleicht müßte man die Nattefrost-CD von 2005 nur an Erwachsene ab 18 verkaufen? Doch täuscht diese Maßnahme über die Eigenart des Black Metals hinweg. Er möchte im Schmutz menschlichen Lebens wühlen. Wie dieser Schmutz beschrieben wird, steht auf einem anderen Blatt. Das norwegische Soloprojekt des Carpathian Forest-Sängers bemüht sich nicht um besonders poetische Beschreibungen: Kraftausdrücke werden aneinandergereiht, die Zerstörung durch den Menschen oder Naturkatastrophen als begrüßenswert hingestellt. Hört man die Musik auf diesem Album und auf den anderen Veröffentlichungen, so könnte man nur schwerlich Liebeslieder zu diesem Sound komponieren. Hier geht es um die böse Wurst und nichts Anderes. Wie es in einem Blogeintrag zum Black Metal Theory-Symposium 1 in Brooklyn heißt: you do not fucking talk about black metal.

Letztlich wird Nattefrost nur einem Zirkel zugänglich sein, eben den Kultisten, die dem Black Metal zumindest musikalisch folgen. Manche Hörer entwickeln einen Lebensstil aus der Musik. Zumeist beschränkt sich dies auf die Vergegenwärtigung der Veröffentlichungslage und regelmäßigen Besuch von Metalkneipen und -konzerten. Viele Fans werden, so lehrt es die Erfahrung von Leserbriefforen, nicht mehr wollen, als ihre Musik weiterhin hören zu können.

 

 

Was macht nun die Black Metal Theory mit diesen Erkenntnissen?

 

 

Sie verwertet sie in neuen Texten weiter und versucht ein wenig zu erklären. Plakativ gesagt geht es nicht so sehr um Erklärung, sondern Neuinterpretation der Black Metal-Tropen. Nordische Wüsten, in denen keine Wärme herrscht, schon gar nicht menschlicher Natur. Auf dem Black Metal Theory-Symposium in London ging es um die Rolle der Ökologie im Black Metal. Dies führte nicht zu einer erschöpfenden Motivanalyse, sondern zu einer Erfassung der mentalen und akustischen Gefälle dieser Stilrichtung.

 

 

Nattefrost lädt zu einem anderen Naturphänomen ein: Nachtfrost auf Norwegisch. Jetzt kann man an diesen Wetterzustand auf vielfältige Weise anknüpfen: ihn als Ausgangspunkt für die menschliche Kälte der Texte nehmen, ihn als szenischen Grund für das Pseudonym kategorisieren oder aber eine dichterische Phantasie zum Nachtfrost wagen. Warum das? Der vehemente klangliche Ausdruck bewirkt in Benjamin’scher Weise einen Chock, der zur Verarbeitung herausfordert.

Bei der Sehnsucht wird man leichter abgelenkt, denn sie drückt eine starke Emotion und zudem ein kulturelles Konzept aus. Und dort spricht Maniac von einer ‚Wüste‘, in deren Text folgender Passus auftaucht: “I need a perfect language void of words / I could always understand in black and white movies / So I kissed her without asking / She was not there” Wieder einmal, wie auf Sólstafirs Scheibe “Köld” (http://www.satt.org/musik/11_01_solstafir.html), scheint eine Liebe nicht auszudrücken sein. Innere Leere, Wüste, vielleicht besser die eigene Zunge verschlucken?

 

 

Gerade weil Emotionen der allgemeinen Betriebstemperatur vermieden, ja bespuckt und bekämpft werden, lädt sich der Black Metal mit einer hohen Energie auf. Der Energiehaushalt läuft auf Hochtouren und die Gefahr des Kollapses begleitet diese Musik stets. Der Umschlag von Furchteinflössung zur Lächerlichkeit geschieht im Sekundenbruchteil. Zudem nutzt sich das Provokationspotential im Lauf der Zeit ab. Dann stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck einer fortgeführten Spirale der Provokation. Vielleicht sollte man umdenken, solange sich noch die Chance bietet? Eigentlich lebt man ja auch inmitten von Menschen. Zumindest ein Großteil der Black Metal-Musiker.

 

 

Was bleibt unterm Strich von der Schwärze des Black Metals übrig?

 

 

Schnell verliert sich der jugendliche Trotz und geht in genrekonforme Szeneregularien über. Black Metal kann eben nur im Anti-Religiösen, Satanischen, Archaischen, Heidnischen, Misanthropischen, in abgründiger Abscheu vor dem Leben bestehen. Der Stachel im Fleisch des wohlgefälligen gutmenschlichen Zeitgenossen jedoch verliert mit der Zeit an Schärfe und wird stumpf.

Vielleicht kann dann die Entdeckung ganz neuer Gefühle zur Wiederbelebung eines wandelnden Untoten führen? Was geschieht, wenn die Sehnsucht auch Nattefrost übermannt? Das ist reine Spekulation, doch jedes Genre zeichnet sich durch eine historische Flexibilität aus. Bis zu welchem Grad kann sich Black Metal spreizen, um immer noch als Black Metal begehrenswert zu bleiben?

 

 

Platten wie “Terrorist (Nekronaut Pt. I)” und “Wüste” beantworten dies. Zwischen rauer Gitarrenwand und der Erforschung neuer Klanggebilde. Sicher ist man nicht Black Metal allein, weil man antireligiöse und satanische Inhalte pflegt, oder sonst wie Schwärze artikuliert. Die stilistische Unterteilung im Heavy Metal geschieht vorwiegend durch die akustische Ausgestaltung des jeweils gespielten Stils. Deshalb ist Nattefrosts Scheibe Black Metal und Sehnsuchts “Wüste” nicht. Ähnlich wie im Punkrock gibt es jedoch auch im Black Metal eine Haltung der Welt gegenüber, die sich nicht allein auf den Klang beschränkt. Weiter oben wurde ein Teil der Haltung beschrieben. Die No Future-Attitüde des Punks wird entsprechend nihilistisch gewendet, was im Punk neben politischem Engagement auch schon immer zu finden war.

Letztlich wird die Geschichte des Black Metals auch vorwiegend von Musikern geschrieben, die sich nicht allein auf den einen Stil im Verlauf ihrer Karriere festlegen und sich dadurch zwangsweise Überschneidungen ergeben. Darüber hinaus zeichnen sich über die Jahre Konstanten ab. Folgt man den Aussagen der Musiker in Interviews, so folgen sie ihrem kreativen Instinkt und wählen zum Beispiel Black Metal, weil es ihrem Wesen am nächsten kommt. Alles Weitere ist im besten Sinne des Wortes Spekulation, philosophische Spekulation. Dieser widmet sich die Black Metal Theory. Tinte ist schwarz, Kohle im Ofen ist schwarz, die Erinnerung nach einem Vollrausch ebenso, Black Metal ist laut Namen auch schwarz und die Black Metal Theory bringt da ein wenig Licht rein. Nicht standesgemäß mit einer Fackel, sondern mit einer Maclite-Taschenlampe. Im Notfall bleibt immer noch ein Schlaggerät. Man weiß ja nie, was einem in den dunklen Abgründen des Black Metals begegnet. ... Manchmal schimmert unter einer harmlos wirkenden Oberfläche die Gefahr. Auf diese Weise kann auch eine von Maniacs Scheiben (in diesem Artikel: “Wüste”) mehr Schlünde verbergen als die offensichtliche Anti-Haltung eines Nattefrosts auf “Terrorist”. Letzten Endes muss man im Falle von musikalischen Werken den letzten Schritt selbst wagen: zur heimischen Anlage respektive zum Laptop-Verzeichnis. Nicht alles, was schwarz ist, muss auch dunkel im Sinne von unverständlich sein. Manchmal blustern sich Männer auf und werden dann ganz bedrohlich. Doch was passiert, wenn das eintritt, worüber ein anderer schwarzer Mann wie Saul Williams im Song ‚Surrender (A Second To Think)‘ rappt: “It’s hard to feel real gangster when you’re always getting kissed”? Dann packt selbst einen Terroristen die Sehnsucht!

 

* Der Untertitel greift nicht nur ein Kinderspiel des Sportunterrichts auf, sondern reflektiert auch das Problem des latenten Rassismus in einigen Teilen der Black Metal-Szene. Auf den beiden vorliegenden Scheiben ist nichts davon zu finden. Deswegen findet man zu diesem Aspekt der Subkultur in diesem Artikel nichts. Mehr wird auf allgemein-misanthropische Tendenzen eingegangen. Zudem wird gegen Ende des Essays der Schulterschluß mit einem Meta-Song einer anderen Musikszene gesucht, die auch oder eigentlich unter das Label "black music" fällt.

 

 

Dominik Irtenkauf

 

 

www.myspace.com/nattefrostmanagement

Die Sehnsucht-Scheibe findet man unter anderem hier: www.coldspring.co.uk

 

www.satt.org/musik/11_01_solstafir.html