4. Dezember 2003

Sollen Präsidenten auch Dichter sein können?

 

Hatton verhält sich zu Costa Gavras wie amerikanisches zu russischem Roulette. Andy Garcia und Jean-Louis Trintignant? Das Gleiche. Das Hölzerne der Postmoderne. Es fehlt absolut der historische Rückenwind. Die Blaupause ist nicht die Geschichte, sondern ein anderer Film, besser gesagt ein ironisches Spiel mit dem Kino. Bei so einem ehrenwerten Thema? – Warum nicht? James Bond, oder neulich dieser komische Italiener.

Ein paar Hinweise: Die tödliche Gang, die hinter Carlos Kintas her ist; man weiß, die sind zu blöd, oder zu umständlich, die Brandbombe ist nicht wirklich eine Bombe, sondern eher ein Zeichen, wie das Programm gestrickt ist, also: nur nicht zu ernst nehmen. Carlos selber, etwas überlastet, Dichter und Präsident zu sein, diese Figur ist eine postmoderne schlechthin, ebenso Kate, diese schlichte Betreuerin, der es bewusst an zwielichtigem Charme fehlt, wobei man andererseits bedenken muss, dass dies ein britischer Film ist. Sehr britisch der Mann von Scotland Yard oder woher auch immer, die gute Fee, Retter und Kuchenfeinschmecker mit der Klasse eines FBI-Agenten. Hier aber hilft die CIA, zunächst camoufliert als neugegründeter Buchverlag, der gleich einen Bestseller bringen will und kein Problem damit hat, für etwas Lyrik eine halbe Million Dollar auf den Tisch zu legen. Wer da keine großen Ohren bekommt.

Die Bootsfahrt auf der Themse mit der Überbringerin der ominösen Pickwick-Papers (benannt nach dem Sozialkämpfer Dickens) ist ein Musterstück postmoderner Einlegearbeit, wer hier nicht die gestalterische Kante sieht (die Frau eingeschlossen), wo sonst vergessen machende Rundungen ins Spiel kommen, der weiß, was guter Geschmack ist, oder er versteht es nicht, mit diesem Angebot klar zu kommen, das ja von vorne bis hinten ebenso einheitlich durchgestaltet ist, wofür die Willkürzuordnung – Sand in die Augen streuende Benennung der Postmoderne – ganz fehl am Platz ist. Nicht zu vergessen die Überzeugungsarbeit, die Carlos’ Mitkombattanten leisten, um ihren Präsidenten davor zu bewahren, ins Dichterische, wovon man ein paar nerudaeske Beweisstücke vorgetragen bekommt, abzugleiten, man sitzt am runden Frühstückstisch, jeder sagt seinen Satz, und schon ist Carlos wieder oder immer noch dabei und lächelt auch über sich, der Zuschauer lacht über den Hundeblick, der eigentliche Motor des Fortschritts in der Geschichte nicht nur Lateinamerikas. Dass man hier wirklich zu spielen versteht, beweist die Einrichtung des amerikanischen Roulettes in der betreffenden Botschaft in London, das nicht in den rattenbevölkerten Kellern der Folterer, sondern unter dem Dach einer gelangweilten Verfolgungstruppe ausgetragen wird.

Kaum zu erwarten, dass Carlos unter diesen Bedingungen traumatische Erfahrungen davontragen wird, auch wenn tatsächlich scharf geschossen wird, aber jede Kugel ist berechenbar und das Ziel klar angegeben. Wer hier Geld setzt, ist selber schuld, oder es gehört ihm nicht. Das Ende des Films steht unter dem Zeichen gleich mehrerer Götter aus der Maschine, Kate und ihre Mannen von CIA und britischem Geheimdienst profitieren wie dazumal John und seine Bande bei Kubricks „The Killing“ von einem randalierenden Trupp hier demonstrierender Argentinier, und außerdem ist im Mutterland gerade die Militärjunta von einigen jüngeren Meuterern geschasst worden, so viel Arbeit in der Dunkelzone muss sein. Und schon wieder muckt der Präsident, der Übergangspräsident bis zu Neuwahlen werden soll, er will lieber bei Kate bleiben, aber es ist ja für eine gute Sache, und zu guter Letzt schließt sich Liebe und Politik ja doch nicht aus, das allerdings bleibt die frohe Botschaft eines so leichtfüßigen wie poetischen Films, der auch nach 15 Jahren modern wirkt.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Maurice Hatton, Amerikanisches Roulette, GB 1987</typohead>