7. April 2011

Krise? Welche Krise?

Fotos von Christoph Bannat und Egbert Haneke

 

Die Idee ist brillant. Der Ausstellungskatalog gut. Die Ausstellung selbst habe ich mir spannender vorgestellt.

Die Idee von Marcus Weber und Gunter Reski, einen Roman von Künstlern bebildern zu lassen, ist großartig. Der kapitalistische Schelmenroman „Kapitän Pamphile“ von Alexandre Dumas ist eine geniale Wahl. Von Innen, ich bin einer der beteiligten Künstler, fühlt es sich an wie im „Gästehaus“. „Das Gästehaus“ sollte der 1963 gescheiterte Versuch der Gruppe 47, im Kollektiv einen Roman zu schreiben, heißen. Die Fragmente des Romans sind bis heute verschwunden. So wie die Bilder nach der Pamphile-Ausstellung wieder an die Künstler zurückgehen und dann nur noch in Katalogform gemeinsam zu sehen sein werden.

Es stellt sich also die Frage, wie die einzelnen Fragmente zu einer Erzählung zusammengefügt werden können. Wobei die Ausstellung in der Sammlung Falckenberg fragmentarisch bleibt. Die Bebilderung der Erzählung „Kapitän Pamphile“ mäandert über die drei Stockwerke der Sammlung. Das didaktische Konzept der Kuratoren ist zu schwach, um das Spannungsverhältnis zwischen linearer Textstruktur und flächiger Bilderwelt als Gratwanderung zu vermitteln. Die Übersetzung Dumas’ Erzählung in die Sammlungsräume, zumal auf drei Stockwerken, erschöpft sich schnell, sodass der Betrachter schnell dem Geschmäcklerischen verfällt. So sieht man sich nach einer Zeit nur noch an, was einem gefällt, oder nicht. Vergleicht man die Ausstellungsidee mit der Idee, einen Pamphile-Comic zu zeichnen, erhellen sich die künstlerischen Schwierigkeiten. Comic-Künstler besitzen, im Gegensatz zu „freien“, ein inneres dreidimensionales Zeichen-Alphabet. Mit diesem 3-D-Alphabet können sie schreiben. Gleichzeitig hilft ihnen die Gewohnheit der Leser, sich nicht für die Bildzwischenräume (und erst recht nicht für die, welche in die Tiefe eines Bildes führen) zu interessieren. So wenig wie sich Leser für die Räume zwischen den Buchstaben interessieren.

Die Fähigkeit künstlerischer 3-D-Alphabetisierung sowie den Kredit der Comic-Leserschaft genießen freie Künstler nicht, und insofern sind sie wirklich frei. Der Kredit der freien Kunst beruht auf einer anderen Währung. Den Währungswechsel, zwischen Text, Bildergeschichte und freier Kunst/Illustration spannend zu visualisieren, habe ich in der Ausstellung vermisst.

Gleichzeitig war der Währungswechsel aber auch der Zwiespalt, in dem ich mich befand, als ich gebeten wurde, bei der Ausstellung mitzumachen.

Es gab die Möglichkeit, etwas Indifferentes aufs Papier zu schwurbeln, wofür es in der freien Kunst grundsätzlich Kredit gibt. Eine andere Möglichkeit war, genau zu recherchieren, wie Kleidung, Vegetation, Dingwelt zu Pamphiles-Zeit aussahen, dazu war ich zu faul. Oder einen symbolischen Metadiskurs anzustimmen. Letztendlich war es bei mir eine Mischung.

Durch die Anfrage wurde mir (Dank an die Kuratoren) aber auch deutlich, dass man immer auch einen inneren, oft verdeckten Auftrag in der freien Kunst zu erraten hat. Diesen zu erraten, ist Mehrwert und Spaß. Nur stellte sich jetzt die Frage, was passiert, wenn dieser von Beginn an festgelegt ist? So leibhaftig hatte ich diese Fragestellung noch nie erfahren, war ich bis jetzt doch immer mein eigener Auftraggeber. Auch für diese Erfahrung danke ich den Kuratoren. Eine denkerische Erfahrung, die ich freien Künstlern grundsätzlich wünsche.

 

Zur Erzählung Alexandre Dumas’

 

Krise! Welche Krise?

Das Krisengerede ist schon wieder verklungen. Der deutschen Wirtschaft geht es wieder gut. Erinnert sich noch jemand an die Immobilienblase in den USA, mit der alles staatstragende Gerede anfing? Von dessen Seite werden die kapitalistischen Krisen bekanntlich wie reinigende Naturkatastrophen, bei denen sich nur die wahren Werte durchsetzen, behandelt. Wobei es immer um das Vertrauen in die Natur des Marktes geht. Vertrauen (ein anderes Wort für Kredit) in die Natur, also höhere Wesen, des Marktes ist das eigentliche Kapital und Geld eine Konvention, auf die wir uns geeinigt haben. Hier scheint sich ein Natur-Kulturkonflikt anzudeuten.

Dumas’ „Pamphile“ verkörpert den kapitalistischen, schelmenhaften Abenteurer. Sein Risikokapital ist das eigene Leben. In heldenhafter Selbstopferung, im Vertrauen auf die eigene Stärke folgt er dem Reisemotiv der Odyssee, an deren Ende der gesicherte Lebensabend steht.

 

„Die Schulden, die bis zum Tag der nächsten Einberufung des Parlaments von Seiner Hoheit dem Kaziken (indigener Anführer, d. V.) gemacht worden sind, werden zu Staatschulden deklariert, und der Staat tritt mit all seinen Einkünften und Liegenschaften für sie ein“, lautet der Text unter „Öffentliche Verschuldung“, der Verfassung der Nation der Mosquitos. Sein Verfasser: Don Gusmann y Pamphilos. Hinter dem Decknamen steckt Kapitän Pamphile. Damit ist sein Immobilien-Deal perfekt abgesichert, das Land Mosquito in Form von Anteilen verkauft und der Lebensabend von Kapitän Pamphile in Wohlstand gesichert.

 

Geschrieben wurde „Kapitän Pamphile“ 1834 von Alexandre Dumas (1802-70). Der Roman erschien zunächst als Zeitungs-Fortsetzungsgeschichte und 1839 in Buchform. Dumas erzählt anhand der Geschichte Pamphiles, ausgehend von der reinen Lust am Jagen, die Entwicklung des Tauschhandel mit Elfenbein, Schnaps und Sklaven, hin zum Papierhandel, dem finalen Deal mit Anteilen in Südamerika. Das könnte übersetzt nach Kunstbetriebs-Savoir-vivre klingen: Dem körperlichen Einsatz für höhere (abstrakte) Werte mit dem Versprechen eines gesicherten Lebensabends.

 

Als erster Börsencrash wird 1637 die sogenannte Tulpenkrise notiert. Es folgen die Panamakrise 1700 und die Mississippi-Blase 1720-29. Alexandre Dumas dürften diese Daten bekannt gewesen sein. Denn seine Erzählung folgt, auch wenn das auf den ersten Blick so nicht erkennbar ist, einem klarem Konzept. Leider wird dieses Konzept, von der Jagd des Jagen-Willens wegen, zum Tauschhandel zum Papierhandel, in keinem Katalogtext erwähnt. Betont werden in den zwei Katalogtexten die „postmodernen“ Klau-Zitat- und Verweisstrukturen der populären Schreiberwerkstatt Dumas, die verschiedenen bildhaften Erzähltechniken sowie die materialistische Raubrittermentalität Pamphiles.

 

1830 beteiligt Alexandre Dumas sich aktiv an der Julirevolution. 1848 findet die französische Februarrevolution statt. 1873 gesellt sich die Wiener Gründerzeitkrise zum Schaumbad der kapitalistischen Blasen. 20 Jahre später, 1893, der New York-Eisenbahncrash. 1929 geht es dann mit dem „schwarzen Donnerstag“ weiter. 1848 erscheint das erste kommunistische Manifest. Die letzte Große Erzählung, die aus der Vergangenheit in die Zukunft führt. Ich freue mich, diese mit befreundeten Künstlern bebildern zu dürfen, und warte sehnsüchtig auf diesen Auftrag.

 

Christoph Bannat

 

 

Captain Pamphile

Ein Bildroman in Stücken

Nach einem Roman von Alexandre Dumas

Kuratiert von Gunter Reski und Marcus Weber

bis 10. April 2011

Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg

Wilstorfer Straße 71, Tor 2

21073 Hamburg–Harburg

 

Mit Christoph Bannat, Tanja Bedrinana, Peter Böhnisch, Lutz Braun, Jonathan Brewer, Hans Christian Dany, Michael Deistler, Stephan Dillemuth, Hansjörg Dobliar, Matthias Dornfeld, Drei Hamburger Frauen, Ulrich Emmert, Stefan Ettlinger, Heike Föll, Ane Graff, Ellen Gronemeyer, Anna Gudmundsdottir, Markus Gutmann, Sebastian Hammwöhner, Sophie von Hellermann, Uwe Henneken, Peter Herrmann, Nadira Husain, Dani Jakob, Dorota Jurczak, Kerstin Kartscher, Jürgen Kisch, Korpys & Löffler, Clemens Krümmel, Elke Krystufek, Friedrich Kunath, Nikolaus List, Hans-Jörg Mayer, Isa Melsheimer, Christina Morhardt, Ariane Müller, Piotr Nathan, Silke Otto-Knapp, Katrin Plavcak, Peter Pommerer, Christoph Prasch, Thomas Ravens, Gunter Reski, Daniel Roth, Peter Saul, Christoph Schäfer, Gitte Schäfer, Christian Schwarzwald, Markus Selg, Andreas Seltzer, Amy Sillman, Martin Skauen, Johannes Spehr, Peter Stauss, Stefan Thater, Wawrzyniec Tokarski, Susan Turcot, Markus Vater, Gabriel Vormstein, Marcus Weber, Klaus Winichner, Waldemar Zimbelmann, Claudia Zweifel.