3. Dezember 2003

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Der Film hat einen Rahmen, aber er besteht aus Unsinn, Provokation und Schein. Ansonsten hat der Film alles, was ein Film braucht, Musik (Herbie Hancock und Yardbirds), Models, Machos und einen Mord. Am Ende merkt man aber, dass sich diese Elemente in dem Film finden wie Gegenstände auf einem mehr oder weniger zufällig gemachten Bild. Dabei geht es einem vielleicht wie dem Maler, der jahrelang an einem Bild malt, nicht weiß, was es bedeutet, es nicht loslassen kann, weil es ihn immer wieder von verschiedenen Stellen aus ansieht und frappiert. Man weiß erst später, was es gewesen sein wird, vielleicht aber auch gar nicht.

Der Film fängt mit einem mächtigen Getöse an, eine Bande Performance-Leute fährt durch die Stadt und beunruhigt Passanten und Autofahrer. Von denen kriegt man erst am Schluss wieder was mit, dann werden sie einen Tennisplatz einnehmen und Free-Tennis spielen, lautlos. Die Luft ist raus. Aber man kann trotzdem weiterspielen, so wie man weiter Kino machen kann, auch wenn kein Mordfall gelöst ist. Es reicht, wenn sich der Film aus sich selbst heraus entwickelt. Ein Fotograf schießt im Atelier ein paar Fotos, geht mit den Models um je nach Klasse, steigt in seinen schicken Wagen, fährt ein bisschen rum, kommt wieder nach Hause, wo zwei Mädels darauf warten, entdeckt oder jedenfalls erst mal fotografiert zu werden, später fährt der Fotograf noch mal raus, entdeckt ein Liebespaar, dem er nachspioniert, wobei er gleichzeitig zeigt, dass er das jetzt tut, wie der Film überhaupt in seinem Bewegungsmäßigen als Handlungsanstoß den Kinokick zugleich befriedigt und ausstellt, weil ja gar nichts tolles passiert, und dann passiert halt doch, dass er entdeckt wird, die Frau will das Foto, man ahnt schon, die Ehe und der Betrug, das kennt der Fotograf aus eigener Erfahrung, eine kleine Koketterie ergibt sich, die Frau wird schnell zur Prostituierten, der Mann zum Erpresser, aber dann haben sie doch mehr füreinander übrig, der Tausch klappt vorne und hinten nicht, die Telefonnummer von ihr stimmt nicht, er behält ein paar Fotos für sich und entdeckt beim Entwickeln diese legendären Momente des Revolvers auf einem und einer Leiche auf einem anderen Bild.

Und an einer entscheidenden Stelle hört der Fotograf auf, Fotograf zu sein, denn bei der nächtlichen Kontrolle des Schauplatzes des Mords hat er die Kamera nicht dabei und eilt zu seinem drogenabgefüllten Freund, der mit ihm da hingehen soll, „wir müssen dieses Foto machen“, worauf der Freund ganz richtig sagt: „Ich bin kein Fotograf“. Und der Fotograf ist kein Kommissar. Die Leiche ist später weg. Das ist also das Prinzip des Films, es gibt Andeutungen, Spuren, sie werden aber nicht weiterverfolgt. Man weiß nicht, wie das Leben der fotografierten Frau weitergeht. Man erfährt nicht, warum der Fotograf nicht mehr mit seiner Frau leben kann, auch wenn man sich das natürlich irgendwie ausmalen kann. Man sieht Platzierungen, Setzungen, hat aber entweder keine oder die falschen Anschlüsse, wie in der genialen Szene mit den Yardbirds, wo der Gitarrist sein Instrument zertrümmert, weil ihn das Gezerre, das er nirgends verorten kann, nervt. Das Publikum ist begeistert, nachdem es lemurenhaft die Musik ertragen hat, den Gitarrenhals zugeworfen zu bekommen, den Fetisch eines orgiastisch sich seiner Musik hingegeben habenden Rockstars, und es gab selten eine so entwertende Geste wie die des Fotografen, wie er den Hals, den er ergattert hat, wegwirft, und derjenige, der ihn danach kurz aufhebt und von der Herkunft nichts weiß, ihm seine zweite Bedeutung als Müll jetzt definitiv zuweist. Glamour und Müll, die schönen Frauen und ihre Unerträglichkeit, der tolle Job und das Versagen im wichtigen Augenblick, das alles schön verteilt, ohne große Geschichte, in einem Film, der wie gesagt einen Rahmen hat für die, die vielleicht doch mehr erwartet hatten.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Michelangelo Antonioni, Blow up, GB 1966</typohead>