1. April 2011

Auch ein Stresstest

 

Handbücher aus einer Hand, das ist eher ungewöhnlich. Aber vielleicht ist die Kompaktlösung im Falle Kants angebracht. Das Leben des Königsberger Philosophen ist bekanntlich schnell durchschritten, abgesehen von einigen Hauslehreranstellungen außerhalb Königsbergs hat Kant diese Stadt, in der er geboren wurde und in der er starb, nie verlassen. Er war gesellig, hatte seine Jours fixes, aber meistens wird er an das gedacht haben, was ihn schon in jungen Jahren umgetrieben hat, nämlich die Möglichkeit oder die Überwindung von Metaphysik.

 

Ein Vorteil dieses Handbuchs, völlig unabhängig davon, wie viele Autoren daran beteiligt gewesen sein mögen, ist, zeigen zu können, dass Kant neben den bekannten Titeln, die ihn zu Recht unsterblich gemacht haben, auch noch viele andere Texte geschrieben hat, die beweisen, dass auch er natürlich ein Kind seiner Zeit war und auch die sogenannte reine Vernunft den Index eines sehr spezifischen Jahrhunderts trägt. So hat er geschrieben und gelesen zu Meteorologie, zu physischer Geographie und zur Rassentheorie, die zu seiner Zeit freilich keine eliminatorische war, aber die üblichen Vorstellungen etwa zur möglichen Zivilisierung der „Neger“ entschieden teilt. Die poetisch-literarischen Fähigkeiten Kants hielten sich in Grenzen, aber manche Titel lassen vermuten, dass er nicht ohne Humor war, wie zum Beispiel die Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766).

 

Die Vorstellung der drei Kritiken Kants nehmen etwa zwei Fünftel der gut fünfhundert zweispaltigen Seiten ein. Für Anfänger dürften diese Ausführungen Irrlitz’ ein wenig zu voraussetzungsreich sein, vielleicht wählt man hier den Einstieg über die Besprechung der Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, die Kant 1783, also zwei Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage und vier Jahre vor Erscheinen der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft zur Behebung mancher Missverständnisse und zur Steigerung der Klarheit der ersten Kritik verfasste.

 

Die große Leistung Irrlitz’ besteht sicherlich darin, Kant historisch zu situieren, also seine Fragestellungen als die der Zeit zu begreifen und die doch eben eine typisch kantische Fassung erhalten. Immer wieder auch interessant die freilich kurzen Bemerkungen zu kleineren Schriften Kants wie etwa der Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks aus dem Jahr 1785. Das geistige Eigentum des Autors, so Kant, könne durch Raubdruck gar nicht angetastet werden; der sei zwar zu bekämpfen, aber generell würde „geistiges privates Eigentum vom Markt Warencharakter übergestreift“ bekommen (Zitat Irrlitz). Kant lebte noch in einer Zeit, in der Verleger kostspielige Privilegien von den Regierungen erlangen mussten, die zudem nur für wenige Jahre erteilt wurden. Diese Situation änderte sich erst durch die Gründung des „Börsenvereins des deutschen Buchhandels“ 1825.

 

Gerd Irrlitz’ ungemein dichtes Handbuch ist jetzt in zweiter, überarbeiteter und ergänzter Auflage erschienen.

 

Dieter Wenk (2-11)

 

Gerd Irrlitz, Kant-Handbuch. Leben und Werk, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, Sonderausgabe, Stuttgart/Weimar 2010 (Metzler)

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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