21. Februar 2011

Aus deutschen Landen

 

Sechs Jahre nach der dritten Auflage des Metzler Lexikon Autoren ist nun die vierte, aktualisierte und um 20 Autorenporträts erweiterte Auflage erschienen. Der Leser findet also jetzt z.B. Würdigungen von Daniel Kehlmann, Katja Lange-Müller, Martin Mosebach oder Ingo Schulze. Der eine oder andere Rat Suchende wird allerdings nach wie vor leer ausgehen. So wird man auch in dieser Ausgabe vergeblich nach Auskünften etwa zu Wolfgang Bauer, Peter O. Chotjewitz oder Werner Schwab suchen. Natürlich war auch den Herausgebern klar, dass es galt, eine Auswahl zu treffen. Warum jedoch Autoren, die sich selbst als „Dichter dritten Ranges“ wie Felix Dahn bezeichneten, dabei sind, nicht jedoch Wolfi Bauer, der Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre einer der bekanntesten und wichtigsten deutschsprachigen Autoren war, fehlen, ist nicht einsichtig.

 

Gleichwohl bietet dieses Lexikon mit rund 600 Porträts Gelegenheit, sich einen Überblick über gut 1000 Jahre deutschsprachiger Literatur zu verschaffen. Man erfährt etwa, wer der „erste namentlich bekannte Dichter und Poetologe deutscher Zunge“ war: Otfried von Weißenburg, der im 9. Jahrundert lebte und schrieb. Oder wer den ersten deutschen „Originalroman“ schrieb (Gellert). Oder dass der Feminismus keine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts war, sondern in der Person der Autorin Louise Ashton geb. Hoche 50 Jahre zuvor einen ersten Höhepunkt feierte. „Wir Frauen“, so schrieb sie, „verlangen jetzt von der neuen Zeit ein neues Recht; nach dem versunkenen Glauben des Mittelalters Anteil an der Freiheit dieses Jahrhunderts; nach der zerrissenen Charta des Himmels einen Freiheitsbrief für die Erde!“ Das muss in manchen Ohren auch heute noch hypermodern klingen.

 

Man erfährt, dass nicht nur Bücher ihre Schicksale haben, sondern auch Begriffe, die in unseren Ohren ganz unverfänglich klingen, wie zum Beispiel „Enthusiasmus“. Der im frühen 17. Jahrhundert schreibende Jacob Böhme wurde als „Enthusiast“ gebrandmarkt und mit Schreibverbot belegt. Nicht unerwähnt bleibt, wer den ersten deutschen Sportroman verfasste, nämlich Kasimir Edschmid mit Sport um Gagaly aus dem Jahr 1927, in dem Jahr, als Sein und Zeit erschien. Nicht erst Goethe/Faust fühlte zwei Seelen in seiner Brust, wer den Artikel zu Johann Fischart, gen. Mentzer, liest, wird Schwierigkeiten haben, den aufklärerischen Zug dieses Autors mit dem mittelaterlichen Bleigewicht, das er mit sich schleppte, in Einklang zu bringen. DDR-Autoren werden auf ihre IM-Tätigkeit abgeklopft (so Fritz Rudolf Fries), bundesdeutsche Dichter wie Walter Helmut Fritz sind nach wie vor so unbekannt, dass sie einfach nur gut sein müssen.

 

Man kann also viel entdecken auf diesen ca. 860 Seiten. Ein, zwei Malheurs sind den Herausgebern bzw. den Autoren des Lexikons widerfahren: So wird im Register ein Autor namens August von Kotzbue geführt. Der richtige Name klingt zwar auch nicht schmeichelhafter, aber der Mann, der unzählige Theaterstücke schrieb, die selbst Goethe in Massen aufführen ließ und aufführte, hieß korrekt Kotzebue. Der in Dresden 1935 geborene Dichter Heinz Czechowski starb 2009 in Frankfurt a.M. So ist es auch korrekt unterhalb des Lemmas vermerkt. Im Text weilt Czechowski allerdings noch unter den Lebenden. Zwar kein Malheur, aber eine minimale Unterlassung: Bei Christian Kracht hätte man vermerken können, dass er zwei Jahre lang die ganz wunderbare Zeitschrift Der Freund herausgab. Insgesamt muss es über dieses Lexikon aber heißen: durchaus zugreifen.

 

Dieter Wenk (2-11)

 

Bernd Lutz/Benedikt Jeßing (Hg.), Metzler Lexikon Autoren, Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart 2010 (Metzler)

 

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