1. Februar 2011

Europas beste Comics sind gefunden

 

Angoulême – Europas beste Comics sind gefunden

Mit Joe Sacco, David Mazzucchelli und Art Spiegelman triumphierten gleich drei Amerikaner bei Europas größtem Comicfestival in Angoulême. Das als Bestes Album ausgezeichnete Werk Cinq mille kilomètres par séconde von Manuele Fior erscheint noch in diesem Jahr in Deutschland.

 

Manuele Fior heißt der große Sieger auf dem diesjährigen Comicfestival im französischen Angoulême. Sein unmögliche Liebesgeschichte Cinq mille kilomètres par séconde hat den Preis für das beste Album gewonnen und sich gegen die favorisierten Bände Gaza 1956 von Joe Sacco und Asterios Polyp von David Mazucchellis durchgesetzt. Besonders der Juryvorsitzende Christian Hincker (Blutch) soll von dem Album, welches die französische Presse bisher kaum wahrgenommen hat, angetan gewesen sein. Im Mai erscheint der Band in Deutschland (Fünftausend Kilometer in der Sekunde, avant-verlag) und die deutschsprachige Medienlandschaft wird das Album dann wissend um dessen Triumph groß herausbringen. Die Ankündigung des Verlags verspricht „eine Graphic Novel über Sehnsucht und Suche, über Distanz und Nähe und vor allem über eine (un)erfüllte Liebe.“

Der französische Comicautor Blutch, der im vergangenen Jahr den Großen Preis der Stadt gewonnen hatte und somit die Ehre hatte, der Jury in diesem Jahr vorzusitzen, hat in Art Spiegelman einen grandiosen Nachfolger gefunden. Der Autor von Werken wie Prisoner on the Hell Planet, Mouse, In the shadows of no tower oder Breakdowns wird im nächsten Jahr der Juryvorsitzende in Angoulême sein und dem Hauptpreis sicher seinen Stempel aufdrücken.

Den besten „Blick auf die Welt“ (Prix Regard sur le monde) lieferte Joe Sacco’s Album Gaza 1956 (Footnotes in Gaza). In dem noch nicht auf Deutsch vorliegenden Band beleuchtet der Amerikaner mit maltesischer Herkunft auf fast 400 Seiten, wie er 2003 in den palästinensischen Gebieten einem Vorfall aus dem Jahr 1956 nachgeht, bei dem im ägyptischen Grenzort Rafah mehr als 100 Palästinenser ums Leben kamen. Es ist ein Vorfall von vielen, von dem er in einem UN-Bericht gelesen hat, aber es ist wie immer einzigartig, wie Sacco die Wahrheit zwischen Propaganda, Verklärung und Erinnerung sucht. Einen deutschsprachigen Verlag gibt es noch nicht, zuletzt sind seine Werke Palästina und Bosnien in der Edition Moderne erschienen.

David Mazzucchelli, in Deutschland bekannt für seine Adaption von Paul Austers Stadt aus Glas erhielt für seinen grafischen Roman Asterios Polyp den Sonderpreis der Jury. Darin erzählt der US-Amerikaner von der Irrfahrt eines Intellektuellen inmitten einer moralischen Krise. Voller Anspielungen auf Geschichte und Philosophie stand das 350 Seiten starke „Meisterwerk“ während des gesamten Festivals hoch im Kurs.

Sacco und Mazzucchelli stehen auch beim Preis der Kritiker für Comickritik ACBD (L’association de Critiques et Journalistes de Bandes Dessinée) neben drei weiteren Bänden (Chateau de Sable von Peeters & Lévy, La Mort de Staline. Agonie von Robin & Nury sowie Page Noire von Meyer, Giroud und Lapière) in der Endauswahl zum besten Album des Jahres.

Erfreulich aus deutscher Sicht ist, dass Ulli Lust’s Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens (avant-verlag) in der französischen Adaption Trop n’est pas assez neben Elodie Durands La Parenthèse den Preis als Entdeckung des Festivals bekommen hat (Prix de Révélation).

Als beste Serie wurde Il était une fois en France von Fabien Nury und Sylvain Vallée ausgezeichnet (Es war einmal in Frankreich, Band 1 & 2 bei Mosaik Steinchen für Steinchen erschienen). Darin erzählen sie die Geschichte von Joseph Joanovici, der sich der französischen Résistance anschließt und zu allem bereit ist, um in der Hölle des Zweiten Weltkriegs zu überleben.

Den Preis für Wagemut räumte der belgische Zeichner Brecht Evens mit seinem Album Les noceurs (dt. Am falschen Ort, Reprodukt) ab. „Das Leben ist ein Fest“ könnte das Motto dieses mit Aquarellfarben gezeichneten Bandes lauten. Der Belgier, der als eine der Entdeckungen der zeitgenössischen europäischen Comicautoren gilt, thematisiert in seinem Comic die Verlorenheit der Partygeneration, die überall unterwegs, aber nirgendwo zuhause ist, immer auf der Suche nach Anerkennung und Liebe.

Das mit dem Italiener Attilio Micheluzzi ein Autor den „Prix du Patrimoines“ für das beste historische Album gewonnen hat, mag angesichts der Aufstände in der arabischen Welt auch ein politisches Signal sein. Sein Liebhaber-Album Bab El Mandeb spielt am Suezkanal und erzählt als großes Abenteuer vom Kampf um Ressourcen, Geld, Macht und Liebe.

Julie Maroh erhielt für ihren grafischen Roman Le bleu es une coleur chaude den Publikumspreis des französischen Buchhändlers FNAC. Die Geschichte erzählt in sensiblen Bildern die Begegnung von Clémentine und der blauhaarigen Emma, die Clémentine ihre eigene Sexualität entdecken lässt.

Des Weiteren erhielt Naoko Urasawa für Pluto den Preis für das beste Album für jung und alt und das Zeichnertrio Zep, Stan und Vince den Preis für das beste Kinder- und Jugendalbum für Les Chronokids.

Was bleibt nach dem großen Spektakel? Mit Spiegelman, Sacco und Mazzucchelli haben gleich drei Amerikaner große Preise abgeräumt – das gab es in Angoulême schon lange nicht mehr. Möglicherweise ist der Überraschungstriumph von Manuele Fior auch damit zu erklären, dass ein weiterer Amerikaner auf dem ganz großen Treppchen den franco-belgischen Comicfans nur schwerlich zu erklären gewesen wäre. 1999 erhielt mit Robert Crumb das letzte Mal ein Amerikaner den Preis für das beste Album. Manuele Fiors Band macht dies keineswegs schlecht und das deutsche Publikum kann sich auf dessen Übertragung im Mai 2011 freuen, aber die Liste der Preisträger macht auch deutlich, dass die Impulse aktuell nicht aus Frankreich kommen. Überhaupt zeigt sich mit Blick auf die vorliegenden und angekündigten deutschsprachigen Erscheinungen, dass die deutsche Comiclandschaft wieder auf der Höhe der Zeit ist und nicht, wie noch vor Jahren, den Trends hinterherhechelt. Und dass nach Jens Harder im vergangenen Jahr bei der diesjährigen Ausgabe mit Ulli Lust erneut ein deutscher Autor einen Preis abgeräumt hat, spricht für die hiesigen Zeichner.

 

Thomas Hummitzsch