19. Januar 2011

Gilgamesch in Sprechblasen

 

Das Gilgamesch-Epos stellt den ältesten erhaltenen Text der Weltliteratur dar. Der Text, damals von Schreibern in Keilschrift auf 11 Tontafeln geschrieben, schildert die Geschichte des sagenhaften Königs der Stadt Uruk in Mesopotamien, heute Irak. Der deutsche Maler, Grafiker, Kunsttischler und Bildhauer Burkhard Pfister hat die 11 Tafeln des Gilgamesch-Epos als Textgrundlage für eine Graphic-Novel-Adaption hergenommen, die nun als gebundene Gesamtausgabe im Projekte Verlag Cornelius erschienen ist.

 

Das Gilgamesch-Epos spielt im dritten Jahrtausend v. Chr. und ist damit wesentlich älter als die um 750 v. Chr. entstandenen Epen Ilias und Odysee. Gilgamesch, der junge von den Göttern geliebte König von Uruk, stark und von schöner Gestalt, ist selbst zu zwei Dritteln göttlich. Doch er erweist sich dennoch als schlechter Herrscher, weshalb die Götter Enkidu erschaffen, der ihm Einhalt gebieten soll. Aber nach einem Kampf ohne Sieger schließen die beiden Freundschaft und ziehen in die Ferne, um den Dämon Humbaba, den Wächter des Zedernwaldes, zu bezwingen.

 

Gilgamesch ist ein atypischer Comic. Er bedient sich zwar etlicher Sprachmittel des Mediums, weist aber einige ungewöhnliche Elemente wie die seitengroßen Panels oder Sprechblasen, deren Dorren ins Nichts eines Einzelbildes weisen. Die durch das Epos inspirierten Bilder sind zum Teil sequenziell und zum Teil als großformatige Einzelbilder angeordnet. Die Illustrationen sind der altorientalischen Bilderwelt nachempfunden, was an der Strenge, Perfektion und Reduktion erkennbar ist. Der Künstler verfolgte dabei keine einfache Darstellung der babylonischen Sagenwelt, sondern durch abwechselnde Schemata hebt er das Zeitlose und Fantastische hervor. Vor allem die fantastischen Hybridwesen wie die Skorpionmenschen sind beeindruckend.

 

Man merkt dem Artwork an, dass Pfister 1978 ein Jahr die Welt des Orients bereist hat. Mit dem Fahrrad durchquerte er den Balkan und verbrachte Monate in Griechenland und der Türkei, wo ihn die orientalische Bildwelt der Städte, Straßen und Museen faszinierten. Das schlägt sich in den monumentalen und ornamentalen Schwarzweißillustrationen nieder, die um sechs Farbseiten ergänzt sind. Die 200 Feder- und Tuschezeichnungen wirken detailreich und kräftig, aber aufgrund der seitengroßen Panelwahl auch sperrig und starr. Das tut der Erzählung aber keinen Abbruch, weil dieser Stil besser zu dem überlieferten Epos passt als dynamische Bilder.

 

Gilgamesch ist schwer vergleichbar und deswegen stellt sich zu Recht die Frage, an wen sich die Graphic Novel überhaupt richtet. Wer opulente und monumentale Graphic Novels wie Robert Crumbs Genesis (Carlsen), Jens Harders Alpha Directions (Carlsen) oder Blutchs Peplum (avant-verlag) gelesen hat, wird sich sicherlich auch an Gilgamesch erfreuen. Ursprünglich hat der Projekte Verlag Cornelius Pfisters Gilgamesch-Adaption in 12 Einzelbänden, die den Tafeln entsprechen, veröffentlicht. Für diejenigen, die sich die Einzelbände zu 18,50 Euro nicht leisten können, liegt mit der Gesamtausgabe mit 29,50 Euro eine erschwingliche Variante vor.

 

Marco Behringer (01/2011)

 

Burkhard Pfister: Gilgamesch. Graphic Novel. Projekte Verlag Cornelius, 2010, Hardcover, 358 Seiten, s/w inkl. 6 Farbseiten. Preis: 29,50 Euro. ISBN 978-3862372300

 

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