27. November 2003

Ein bemerkenswerter Anfang

 

Dieter Thomas Heck, Didi Hallervorden? – das muss der falsche Film sein. Ist er aber nicht. Hallervorden ist wie Jack Nicholsen ohne sein Grimassenarsenal, also ein ganz normaler Schauspieler. Natürlich wartet man immer ein bisschen, wann er loslegt, aber man wird angenehm enttäuscht. Ebenso Dieter Thomas Heck, der hier zwar auch eine Fernsehshow moderiert, aber halt nicht die „Hitparade“. Das ekelhafte Kokettieren mit dem Zuschauer seiner späteren Zeit kann nachträglich als Uminterpretation einer witzig-zynischen Haltung zu seinem Medium und den Nutzern in diesem Film gesehen werden. Heck macht hier also alles richtig. Manche Apartés weisen ihn als würdigen Vorläufer Harald Schmidts aus, so, wenn er den Kandidaten der anstehenden 16. Folge des „Millionenspiels“ während der aktuellen Show, die sich dem dramatischen Ende entgegenneigt, fragt, ob er denn schon mal im Rampenlicht einer TV-Show gestanden habe, und dann, nachdem der Kandidat irgendeinen Namen genannt hat, so nebenbei sagt, dass das ja wohl im dritten Programm laufe, was ja eh kein Mensch schaut. Aber 1970 hatte man ja nicht so die Wahl, und deshalb ist das „Millionenspiel“ auch ein so genannter TV-Sciencefiction-Thriller.

Das Spiel läuft also auf einem privaten Sender, produziert von einer Firma mit dem beruhigenden Namen TE TV, es wird häufig unterbrochen, um die neuesten Produkte des Stabilelite-Konzerns anzupreisen, wobei man sagen muss, dass der Name des Konzerns ein schlimmer Rückfall in die 60er Jahre ist, aber man wird, abgesehen davon, dass man den Namen halt auch ironisch verstehen kann, von den Werbeclips schadlos gehalten, die eigentlich das beste an dem gesamten Film sind, der ganze sexuelle Impuls der 68er ist in die Produktlinie und Bildwelt eingedrungen, die erste Werbeunterbrechung nach etwa 8 Minuten konfrontiert den Zuschauer der Show und vor dem Bildschirm mit einem ausgiebig gezeigten nackten Frauenarsch, in den dann wollüstig eine geile Spritze einfährt, die Anti-Babyspritze, na, wenn man schon mal dabei war, mach schon mal den Brenner klar – aber das hat der Spot dann noch nicht gezeigt.

Aber 1970 ist werbemäßig schon alles klar, das Produkt ist nichts, seine Einbettung alles, ein Mineralwasser „Monte Carlo“ generiert einen ganz anderen möglichen Film als ein No-Name-Produkt, das in unerwünschter Selbstbespiegelung den Schritt raus nicht hinkriegt. Aber um was geht es in dem Spiel selbst? Halt um eine Million D-Mark, die derjenige bekommt, der es schafft, eine Woche Verfolgung von einer dreiköpfigen kriminellen Bande mit Waffen und scharfer Munition lebend zu überstehen. Die Bande des Vertrauens dieser Show ist die Köhler-Bande, mit Köhler, von Didi Hallervorden gespielt, als Chef, nebst Köhler und Hensel, alle gescheiterte Existenzen mit krimineller Vergangenheit, die sie hier entkulpabilisieren können mit dem schönen Zusatz, auch noch gut Geld zu verdienen, je mehr, je später sie den Verfolgten, aber eigentlichen Star der Show, erlegen. Umgekehrt bekommt der Held umso mehr, je später er aufgibt oder überhaupt nicht die Flinte ins Korn wirft und sich auch noch auf den Todestunnel mit drei sehr realen Einschusslöchern einlässt.

TE TV lässt sich nicht lumpen, 24 Kamerateams verfolgen die Verfolger und den Verfolgten, manchmal verlieren sie ihn, das ist dann schlecht für den Sender, aber auch Gelegenheit, wieder Werbung zu spielen oder verschiedene Inserts zur Geschichte des Helden, Zuschauerreaktionen und O-Ton-Betrachtungen der Köhler-Bande zu bieten. Und das ist vielleicht der spannendste Moment des ganzen Thrillers, der heute natürlich nur noch komisch ist, wenn man sich nämlich, mit Big-Brother-Aufnahmearrangements im medialen Bewusstsein, fragt, wer das jetzt gerade filmt, wenn da Bernhard Lotz, gespielt von Jörg Pleva, ängstlich in einem leerstehenden Haus Zuflucht gefunden hat, eben ohne vorinstallierte Kamera, und genau in diesem Moment tatsächlich genau diese Situation thematisiert wird, indem das Headquarter der Firma über Funk Kontakt mit Lotz aufnimmt, weil es die desolate Psyche wahrgenommen hat, in der der Verfolgte verständlicherweise steckt, die Köhler-Bande ist ihm dicht auf den Fersen, und TE TV Lotz mitteilt, dass es ihn gerade – vom Dach eines gegenüberliegenden Hauses – geortet hat und, aus massivem Eigeninteresse heraus, der Held darf nicht zu früh aufgeben oder sterben, deshalb auch die vielen erlaubten Hilfemaßnahmen engagierter Dritter aus dem Osnabrücker Massenpublikum, ihn aufstachelt, weiterzumachen und ihm einen wertvollen Tipp bezüglich seiner weiteren Flucht mitteilen kann.

Und hier liegt der Unterschied zu dem 30 Jahre später entwickelten Format: Big Brother kennt keine Unterbrechungspausen, es verliert seine Helden nicht, und es muss seine ganze Spannung aus seiner eigenen Inszenierung gewinnen, da es kein von außen auferlegtes Ziel hat, zu dessen Erreichung man sein Leben verlieren kann, maximal seine Privatheit. Im „Millionenspiel“ kann der Held sich nur selbst abwählen oder aufgeben, was dasselbe ist, oder sterben oder eben groß gewinnen. Sehr lustig in diesem Film auch das Qualifikationsverfahren für das eigentliche Spiel, bei dem man auch schon gut das Leben verlieren kann, entweder in dem noch fast harmlosen „Bahn frei“ (zum Beispiel mit den schnellsten Autos der Welt gegen 50 Konkurrenten fahren) oder dem sehr raffinierten „Ernstfall“, bei dem der Kandidat in künstliche Narkose versetzt wird und, wenn er aufwacht, sich einer Situation gegenübersieht, die er so bestimmt noch nicht in seinem Leben meistern musste. Lotz zum Beispiel wacht in einem Sportflugzeug auf, der Kapitän hat mittels Fallschirm das Flugzeug verlassen, Lotz muss also ganz allein landen, immerhin hat er auch einen Sender im Ohr, sodass er die Aufmunterungen der Bodenstation hören kann, die ihm den nötigen heldischen Zuspruch liefert. Heute müsste das „Millionenspiel“ als Reality-Show ablaufen, als die sie ja damals fiktiv gezeigt wurde. Ansätze dazu gab es zwar, aber natürlich ohne den zwingenden Todesthrill, ohne den doch alles Schall und Rauch ist. Noch also ist eine ganze Menge Entwicklung drin, im Fernsehgeschäft. Dieter Thomas Heck und Didi Hallervorden dürfen dann aber natürlich nicht mehr mitspielen. Von seiner Fernsehvergangenheit kann sich niemand befreien. Es sei denn, er wird zum ersten Todeskandidaten.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Tom Toelle, Das Millionenspiel, BRD 1970</typohead>