Der Tanz des Diskurspolizisten
Abgesehen von Che Guevara und Andreas Baader sahen die Agenten der Revolution und ihre fatalen Dandys eher nicht so gut aus. Das war vielleicht auch ganz gut so, weil es von Wichtigerem abgelenkt hätte. Und das berühmte Plakat kam sowieso erst danach. Tod und Verklärung.
Wenn es um kleine oder große Politik geht, muss der Körper irgendwie ruhig gestellt werden. Noch in den frühen 80er Jahren – dieser Film spielt 1983 – war Politik immer noch das Wichtigste. Aber ihre Behandlung durch den mündigen und interessierten Bürger hatte die Größenordnung gewechselt. Keine umstürzlerischen Zellen mehr, kein Marsch durch die Institutionen, dafür Myriaden an Bürgerinitiativen und der alljährliche Ostermarsch. Das unendliche Gespräch der Zivilgesellschaft hatte die Gewalt beerbt. Aber auch den jetzt doch eher wieder privat verstandenen Bereich der Liebesbeziehung hatte die Kategorie der Unendlichkeit erobert. Die amouröse Lagebesprechung am Wochenende oder im Urlaub schloss ein, dass alles auf den Tisch kam, weil nichts richtig anstößig war. Das war vielleicht letztlich das Problem, dass nichts mehr den anderen skandalisieren konnte. Wozu musste man dann überhaupt noch reden?
Mit dieser Paradoxie aus Mitteilungsbedürfnis und regulärem Etappenbericht beginnt „Sie haben Knut“. Ingo und Nadja sind ein erfahrenes Paar und sitzen gerade beim Essen in einer Bergskihütte, wo sie ihren Winterurlaub zu zweit zu verbringen gedenken. Es ist ein großer Spaß, Ingo, der versucht, einen Etappenwechsel in ihrer Beziehung vorzubereiten, bei seiner syntaktischen Zitterpartie zuzusehen. Dieses Stottern, diese erlebte Suche nach dem besten Argument, dieses Hin und Her und Vor und Zurück war die Sprechform schlechthin der ideologisch nicht mehr so ganz fixierten und daher dem Dämon des Konsenszwangs hilflos ausgelieferten Menschen. Nadja ist schon der modernere Part. Sie ist lakonisch, hat mehr Distanz zu sich und ihrem Freund und kann, anders als Ingo, dann auch wirklich mal handeln, auch wenn das letztlich nicht in Ingos Sinn ist. Ingo will also plötzlich alles von Nadja, aber das kann er ihr gar nicht richtig und in gebührender Ausführlichkeit sagen, denn eine ganze Meute an weiteren Urlaubern, alles Bekannte und Freunde von Knut, Nadjas Bruder, stürmen die Bude. Niemand hatte dem Paar Bescheid gesagt, Ingo ist sauer, Nadja ist’s recht.
Die Leute in der Hütte sehen alle sehr normal aus, kein bekanntes Kinogesicht stört das Recht eines jeden einzelnen auf Ferien. Bis auf Knut. Denn der fehlt. Wo er schon längst hätte da sein müssen. Der lautere Wolfgang macht sich auf den Weg ins Dorf, um zu telefonieren. Dann ist er zurück. Steht in der Tür. Und verkündet die Katastrophe: „Sie haben Knut.“ Und ab jetzt tut der Film richtig weh. Also schon fast von Anfang an. Die Redlichkeit Ingos und der beginnende Skispaß werden brutalst auf die Plätze verwiesen vom Diktat einer scheinbar homogenen Reaktionsgemeinschaft, ins Spiel gebracht und repräsentiert durch den bewusst hässlich gestalteten vollbärtigen und halbglatzigen Wolfgang. Was ist passiert? Wolfgangs Informanten wissen auch nicht viel, aber irgendwie ist Knut in die Fänge der Polizei geraten. In die Hände des „Systems“ (Wolfgang).
Wolfgang hat also noch eine Utopie, für deren Realisierung kleinere Späße wie Ferien zurückzustehen haben. Urlaub abbrechen? Dableiben und beten? Es wird abgestimmt, man bleibt. Und ist doch nicht zusammen. Wolfgangs Diskurspolizei greift nicht richtig, obwohl sie gerne wollen könnte. Immerhin schlägt sie anders gesinnte in die Flucht. Und sorgt sowieso für schlechte Laune. Dann erscheint Knut, und der ganze Heckmeck war nur eine Ente. Verwechslungsgeschichte. Vorwand, um was zu zeigen, Okkasionalismus, schlechte Romantik. Es darf also wieder gefeiert werden (der Härtetest für den Zuschauer), auch und gerade Wolfgang zeigt, dass alles o.k. ist, wenn alles an seinem Platz ist.
Am Ende gewinnen Sport, Spiel und Musik (verdichtet in der Iglu-Fick-Szene). Die Spaßgesellschaft kündet sich an. Für Eigenbrödler und junge Bösewichter mit Hasenscharte ist da kein Platz mehr. Und man selbst hätte die 80er lieber bei den schlafenden Hunden gelassen.
Dieter Wenk
<typohead type=2>Stefan Krohmer, Sie haben Knut, D 2003</typohead>