25. Oktober 2010

Die Wortgräberin

 

Wenn Barbara Gresslehner zu einem spricht, kommt dies nicht aus einem Ort der Gewissheit, sondern aus einem des Vagen. Da ist kein Zentrum, das fest umrissen ist und von dem aus alles klar ist, klar gemacht oder klar scheint und daher so gedeutet werden kann, dass sich die Welt auftut und zerfällt in Gut und Böse und deren kleine Ambivalenzen. Die scheint hier aufgehoben, diese oftmals nervtötende Sicherheit, die einem in neuer deutschsprachiger Prosa so oft entgegendröhnt. Das liegt an der Erzählerin, die auf der Suche ist und eine Distanz zu sich einzunehmen imstande ist, ohne kalt zu wirken. Nein, herzlich ist der Ton auch nicht. Eher von einer bemerkenswerten, unaufgesetzten Fühlsamkeit, die zwischen leicht spröder Sinnlichkeit und einem magisch-tragischen Fatalismus changiert. Und Sexualität nicht beschreibt, sondern sie mit Worten umhüllt als kleide sie diese. Der Ort, von dem aus die Autorin spricht, ist ein sich (ein-)findender … er konstruiert und konstituiert sich durch Sprache … er erschafft sich und wirft kaum aufdringliche Falten der Projektion zwischen Autorin und Leser. Es ist ein Ort, an dem der Körper mit seinen Sensationen entstehen kann, dass man ihn atmet, riecht und schmeckt. Und das auf eine andere Weise: nicht zu sinnlich, nicht zu platt und vordergründig sexuell, sondern so, als enthülle sich etwas nur, insoweit ihn die Entblätterung nicht zerstört – und ohne, dass dabei eine herbe Zartheit verloren geht.

 

Barbara Gresslehner (27) stammt aus Oberösterreich und legt mit „Der Geruch der Stille“ im kleinen Berliner Kulturmaschinen-Verlag ihr Erstlingswerk vor. Sie lebt und studiert in Essen.

Sie erzählt von Männern und Frauen und davon, wie man diese verliert, wie die Ich-Erzählerin sie verloren hat, wie Menschen einander entgehen, und wer da mit wem verheiratet ist und wer zuschaut, wenn wer auch immer es macht (wobei es auch nur ein Hieb sein kann: „das Machen“ – SM ist ein so eineindeutiges und vernichtendes Wort dafür) … und die Settings, die Menschen wechseln, nicht aber die Sehnsucht und die Liebe, die den Leser das Vermissen einer Person, einer Neigung, einer sinnlichen Erfahrung spüren lässt.

 

In den Geschichten wird räsoniert über Beziehungen, über Erlebtes, fast Vergessenes. Die Suche nach Entgrenzungen spielt eine große Rolle.

Erzählt wird dabei wie mit einem Hauch. Es entsteht Nähe, die nicht aufdringlich ist, sondern etwas Angemessenes hat. Ja, hier hat jemand den richtigen Ton gefunden, den richtigen Abstand. Es geht auch um Beziehungen, die ohne Sentimentalität, ohne ein Festhalten-Wollen auskommen (vielleicht mit Ausnahme des Textes „Liebesbisse – 7 verworfene Briefe“).

 

Etwas Morbides überträgt sich auch auf die Sprache. In der Geschichte (oder der Betrachtung) „Die Wortgräberin“ wird dem Verb „runzeln“ nachgespürt und schließlich wird es auf einem Wortfriedhof begraben, da man die Stirn, zum Beispiel, heutzutage nicht mehr runzelt, sondern nur noch in Falten legt, oder Falten hat. „Ich habe mir sagen lassen, dass die Dinge weiterleben, indem man sie im Gedächtnis behält.“ Bibliotheken werden zu Wortfriedhöfen, wenn einzelne Worte ungebräuchlich werden. Aus Gresslehners Texten schimmert eine Lust auf Sprache.

 

In der Szene „Madridzimmerzeit“, die eine dreiviertel Seite lang ist, wird poetisch geschildert, wie die Stille lauter wird und „die Stadt nicht nur ihren eigenen Namen gegen das Fenster klopft“. Wessen Haut wartet da?

„Zwieherz“ ist eine bizarre Geschichte über das Warten: ein Mann, mit dem die Ich-Erzählerin zusammenlebt, ist und bleibt dieser fremd. Ist er älter als sie? Nein. Es stellt sich heraus, dass er jünger ist. Ist er (oder es) ein zweites Herz in ihrem Körper? Ein Kind? Ein hellrosa Blutfleck auf dem Toilettenpapier gibt Gewissheit: "… es gibt dich nicht, aber ich rolle mich eng auf dem Bett zusammen, ganz vorsichtig, und horche auf das Echo des leeren Raums unter meinem Herzschlag“.

 

Gresslehners Erzählungen funktionieren durch Weglassungen und Reduzierungen. Leser können etwas erahnen, können sich die Bausteine selbst zu einem Bild zusammenfügen.

Nun ja: Manche Geschichte lehnt vielleicht zu dicht an SM-Klischees (u.a. „Os Wahl“).

Aber Barbara Gresslehner ist eine Verführerin, die das Erzählen beherrscht. Es scheint, als wüsste sie, wovon sie schreibt. Vieles wirkt sehr authentisch und gefühlt und nicht so daher gefaselt und oberflächlich, wie dies in mancher Reihe zur “neuen Sexualität der Frau” gehandhabt wird.

 

Carsten Klook

 

 

Barbara Gresslehner: Der Geruch der Stille

Einundzwanzig Kurzgeschichten, Kulturmaschinen-Verlag 2010

 

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