19. Oktober 2010

Die Geschichte der Beat-Literatur als Graphic Novel

 

Der Undergroundautor Harvey Pekar wurde im Juli 2010 tot in seiner Wohnung aufgefunden. Er ging in die Comicgeschichte durch seine ungeschönt autobiografische Comicserie American Splendor (Doubleday 1986) ein, die als Theaterstück adaptiert und 2003 von Robert Pulcini und Shari Springer Berman unter dem gleichnamigen Titel verfilmt wurde. Gemeinsam mit Paul Buhle ist Pekar der Mitherausgeber von The Beats – A Graphic History (Die Originalausgabe erschien 2009 bei Hill & Wang), einem Sammelband, der Comicbeiträge zu den zahlreichen Mitgliedern der Beatgeneration enthält.

 

Die beiden Herausgeber haben auch die Mehrzahl der Skripte zu den einzelnen schwarzweißen Comicbeiträgen geliefert und Pekar tritt – wie aus seinen Comics bereits bekannt ist – auch als Figur in den Episoden auf. Der Züricher Verlag Walde+Graf hat nun die Graphic Novel über die Beatniks als übersetzte Hardcoverausgabe unter dem Titel The Beats – Die Geschichte der Beat-Literatur veröffentlicht. Neben den berühmten Vertreter sind es vor allem die kritischen Abschnitte und Blicke auf die unüberschaubare Anzahl an weniger bekannten Nebenfiguren, ohne die eine Beatgeneration nicht möglich gewesen wäre.

 

Mit Ed Piskor, Peter Kuper, Jeffrey Lewis (auch Skript), Jay Kinney, Nick Thorkelson (auch Skript), Summer McClinton, Anne Timmons, Gary Dumm (auch Skript), Lance Tooks und Jerome Neukirch (auch Skript) hat sich eine qualitativ und stilistisch abwechslungsreiche Zeichnertruppe zusammengefunden, die die fundierten Dokumentationscomics aus der Feder von Pekar, Buhle, Nancy J. Peters, Penelope Rosemont, Mary Fleener, Joyce Brabner, Trina Robbins und Tuli Kupferberg illustriert haben. Mit zuletzt Genanntem haben die Autoren sogar einen Vertreter der Beats für ihre Graphic Novel gewinnen können.

 

Zunächst fällt auf, dass sich die einzelnen Beiträge insgesamt weniger wie Comics lesen. Aufgrund der dokumentarischen und chronologischen Erzählweise ähnelt The Beats über weite Strecken eher einem illustrierten Sachbuch. Die auftretenden Figuren geben meist nur kurze, paradigmatische oder typische Sätze von sich. Eine echte sequentielle Abfolge im Sinne einer über die Panels greifende Handlung gibt es auch nicht. Daher wiegt der erläuternde Erzähltext am meisten und es ist fraglich The Beats überhaupt als Graphic Novel zu etikettieren.

 

Diese Einordnungsunstimmigkeit sagt aber noch lange nichts über die Qualität der Beiträge aus, die sich aufgrund eines lockeren, aber nicht flapsigen Erzähltons, gut lesen lassen. Zuerst wird man durch einzelne Portraits der Beat-Urgesteine Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs in die Szene eingeführt, die sich aus Bi- und Homosexuellen, Hipstern, Außenseitern, Verrückten, Junkies, Literaten und Spirituellen zusammensetzt. Dass bei den einzelnen Beiträgen jeweils bereits die anderen beiden Hauptvertreter erscheinen lässt sich bekanntermaßen nicht vermeiden.

 

Danach folgt in „The Beats: Ein Überblick“ eine beachtenswerte und durchdringender Abriss der unüberschaubaren Bewegung. Dabei wird das Beat-Mekka San Francisco mit seinem wegweisenden City Lights Verlag genauso beachtet, wie unzählige Nebenfiguren und wichtige Verleger. Auch kritische Blicke auf die Beatniks kommen beispielsweise von Joyce Brabner, Pekars Frau, die eine Schattenseite der oft glorifizierten männlich dominierten Szene aufdeckt, die sich oftmals – vor allem Neal Cassaday oder Kerouac – als frauenfeindlich und deshalb trotz literarischer und kultureller Avantgarde als rückständig erweist.

 

Grafisch sind nur wenige Beiträge in kreativer oder qualitativer Hinsicht brillant, aber dennoch ansprechend und passend gestaltet. Die Schwarzweißzeichnungen sind meist im typischen Stil der Undergroundcomix gezeichnet, das heißt, ein leicht expressiver Strich dominiert die meisten Illustrationen. Wer jedoch eine herausragende Erwähnung in der Vielzahl der Zeichner verdient ist definitiv die Zeichnerin Summer McClinton. In ihren beiden Beiträgen („Lamantia“ und „Beatnik Chicks“) brilliert sie durch eine Mischung aus einer filigranen Schraffur-Technik, einem realistisch-individuellen Stil und kreativen Lösungen bei der Behebung der grafischen Umsetzung von Dokumentationsskripten. Ansonsten verdient auch noch Mary Fleener („Diane DiPrima“) eine lobenswerte Erwähnung, weil sie auf kreative Weise und durch spiritistisch-mystische Bilder eine ganz eigene Bildsprache gefunden hat.

 

The Beats ist ein unterhaltsamer und informativer Sammelband, der sich für Interessierte, Einsteiger und Kenner gleichermaßen eignet. Wer wissen will, was der Maler Jackson Pollock oder der Jazz-Musiker Charles Mingus mit den Beats gemein haben, sollte sich das umfangreiche, gebundene Buch nicht entgehen lassen. Pekar, der mit Abstand die meisten Skripte für The Beats geliefert hat, hat sich damit nicht nur selbst ein Denkmal gesetzt, sondern auch in typisch-unverfälschter Weise von der Comicszene verabschiedet. Möge er in Frieden ruhen.

 

Marco Behringer (09/10)

 

Harvey Pekar, Paul Buhle (Hrsg.): The Beats – Eine Geschichte der Beat-Literatur. Gezeichnet von Ed Piskor, Peter Kuper, Jeffrey Lewis u.a. Übersetzt von Thomas Stegers, ca. 208 Seiten, schwarz-weiß, 15,5 × 23,5 cm, gebunden.
ISBN 978-3-03774-014-9. Preis: 22,95 EUR

 

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