25. November 2003

Die Farbe des Gens

 

Der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer kommt in seinem Essay „A course in Film-making“ zu der weithin geläufigen Feststellung, „great novels make the most disappointing movies, and modest novels ... sometimes make very good movies.“ Das heißt ja im Klartext, dass ein Drehbuchschreiber weniger Arbeit hat, wenn die Romanvorlage unterkomplex oder einfach nur ein etwas ausführlicheres Storyboard ist. Verzweifelnde Drehbuchautoren müssen also mit verdammt guter Literatur konfrontiert sein. Doch warum fällt Charles Kaufman (Nicolas Cage) nichts ein? Seine Vorlage sind doch nur die vermutlich etwas schmalzigen Ergießungen der Bestsellerautorin Susan Orlean (Meryl Streep), die unter dem Titel „The Orchid Thief“ eine Art Fangeschichte einer alternden, deprimierten Reporterin der New York Times (die sie selbst ist) geschrieben hat, in der sie von ihrer Bewunderung für den seltsamen Orchideenliebhaber John Laroche (Chris Cooper) erzählt.

Doch genau hier steckt das Problem: Es hat anscheinend noch nie jemand gewagt oder geschafft, einen erfolgreichen Hollywood-Film zu drehen mit einer Blume als Protagonist. Das kann man verstehen. Sogar Baudelaire hat in seinen „Blumen des Bösen“ darauf verzichtet, in den Gedichttiteln irgendwelche Blumen zu nennen. Selbst eine Orchidee ist also nicht böse genug, dass sich ein praktikabler Handlungsbogen um sie schlagen lässt, und es passiert anscheinend in dem Buch von Susan so wenig, dass es noch nicht einmal zu einem etwas verfremdeten Remake von de Sicas „Fahraddiebe“ taugt.

Das zunächst Freche dieses Films besteht darin, dass er sich trotzdem auf all das einlässt. Zeit für Komik? Eine gute Stunde jedenfalls sieht man Charlie an seiner Schreibmaschine, ohne dass ihm etwas einfällt. Über Zeitblenden erfährt man, wie Susan den Dieb Laroche kennen gelernt hat und sie anfängt, sich ein bisschen in ihn zu verlieben (das steht aber nur zwischen den Zeilen des später erscheinenden Buchs). Dann gibt es noch – das eigentliche Ereignis des Films – den Zwillingsbruder von Charlie, Donald (ebenfalls gespielt von Nicoals Cage), der seinen eigentlich ja doch sehr erfolgreichen drehbuchschreibenden Bruder bewundert und sich entschließt, es ihm gleichzutun, indem er ein Drehbuch über einen Massenmörder schreiben will, und, Ironie der Geschichte, er mit seinen völlig naiven und kolportagehaften, fast schon ein bisschen zu dümmlichen Einfällen es schafft, einen Riesenerfolg zu landen. Eine Orchidee ist eben kein Massenmörder. Aber vielleicht ist ja der „Roman“ von Susan noch gar nicht zuende? Die beiden genialen Brüder tun sich zusammen. Charles kommt auf die grandiose Idee (unterstützt durch den alten Meister des Drehbuchs McKee), sich selbst ins Drehbuch einzubringen (mit all den Kalamitäten, die der Zuschauer schon kennt), Donald schlägt vor, doch mal die gute Frau ein wenig zu beschatten, vielleicht gibt es ja ein Geheimnis, einen Schlüssel zu ihrer Geschichte, eine verbotene Liebe (Susan ist verheiratet), Sex und Drogen und den ganzen Kram?

Der Zuschauer wird reich belohnt mit den dramatischen Bildern und Geschehnissen der letzten Viertelstunde, denn genau das passiert. Bei einer Beschattungsaktion fliegt das anders Höhepunkt-orientierte Drehbuchduo auf und wird von Susan und Laroche verfolgt, natürlich bis in die krokodilbesetzten Mangrovengründe, wo auch die Geisterorchidee zu Hause ist. Charlie kann am Ende zufrieden sein, die Wirklichkeit ist immer abgründiger und unvorhersehbarer als jeder Bestseller, und doch ist mal klar, dass noch jedes Drehbuch diesen Unterschied auch wieder kassiert. Denn die Welt ist nur dazu da, in Hollywood zu enden.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Spike Jonze, Adaption (Adaptation), USA 2002</typohead>