Theorie des Traumas
Hitchcock hat mit „Psycho” ein Trauma hinterlassen. Frauen können einfach nicht mehr so unter die Dusche gehen. So, wie Hitchcock immer wieder kurz in seinen eigenen Filmen auftaucht, so erinnert Brian de Palma in jedem Film unerbittlich daran, dass immer wenn Frauen oder Mädchen unter der Dusche stehen, die Katastrophe nicht weit ist. Aber die Musik dazu ist immer so schön, ein Hauch von Irrealität liegt über der (Eingangs)Szene – und zack, ist die Sentimentalität eines Softporno-Imitats auch schon vorbei und Blut und Tränen fließen. Sissy Spacek ist Carrie und das Dummchen der Schulklasse. Volleyball-Spielen kann sie auch nicht richtig. Der Vater hat’s ihr nicht richtig zeigen können, denn sie hat nur noch die Mutter (Piper Laurie), die ihr gar nichts zeigt außer den Sünden der Welt, und die sind überall. Als Carrie zum ersten Mal – unter der Dusche nach dem Sportunterricht – ihre Periode bekommt, ist also der Teufel los. Sie weiß nichts. Ihre Mitschülerinnen hänseln sie. Die Lehrerin ist schockiert, aber verständnisvoller. Carries Mutter will nichts davon wissen, dass sie ihren Schnabel nicht aufgemacht hat. Religiöse Irre. Sie weiß, was jetzt passieren wird. Die Jungens werden die Blutspur aufnehmen und nicht mehr ablassen, bis die Reproduktionsmaschine weiter gedreht wurde. Was ja stimmt, aber man kann diese Dinge ja auch entspannter sehen. Aber seitdem ihr Mann ihr weglief, verkehrte Carries Mutter alle sexuellen Dinge in ihr Gegenteil.
Carrie hat also keinen Spaß an ihrem Körper. Die Lehrerin hilft ihr, mal in den Spiegel zu schauen. Die schöne Haut, die schönen Augen, und erst das Haar. Das hässliche Entlein sieht zum ersten Mal klar. Im Inneren arrangiert sie schon mal die Dinge neu und informiert sich über ihre seltsame Fähigkeit, ihre Wünsche umzusetzen – Telekinese. Ihre Mutter ist plötzlich auf Distanz gesetzt und der Wille Carries, am Abschlussball teilzunehmen, nach anfänglichen Irritationen unumstößlich. Doch im Hintergrund braut sich Böses zusammen. Die von der Lehrerin bestraften Schülerinnen intrigieren gegen Carrie. Der sportliche und unbedarfte Tommy ist auch dabei, jedoch ohne sein Wissen. Der begleitet Carrie auf den Ball und verliebt sich sogar ein bisschen in sie, weil Carrie so toll aussieht in ihrem selbst angefertigten Kleid. Die böse Jungenrolle spielt John Travolta, der hier noch nicht tanzen darf, er muss zugucken. Während Carrie und Tommy als Paar des Abends auf der Rampe ausgezeichnet werden und langen Applaus empfangen, hockt John mit seiner Ische im Souffleurkasten und zuckelt am Seil, das im richtigen Moment einen Topf frisch gezapften Schweinebluts als satanus ex machina zum Kippen bringt und Carrie von oben bis unten besudelt. Der blonde Engel wird jetzt schnell zur tötenden Hexe, sie weiß ja, wie man zum Beispiel von ferne Türen ins Schloss einrasten lässt. Im Saal ist also bald die Hölle los, alle Beteiligten müssen sterben. Das gilt auch für Carrie selbst und ihre Mutter, die es nicht vermag, ihre nach Hause kommende Tochter als Hexe zu erdolchen, die Mutter stirbt als heiliger Sebastian – auch dies sehr schön telekinetisch inszeniert –, etwas brachialer gestaltet sich Carries Ende, wofür das ganze Haus einstürzen muss. Die einzige Überlebende, die Mitschülerin, die die Intrige ins Rollen brachte, ohne für sie letztlich verantwortlich zu sein, wird auf ewig von diesem schlimmen Abend gezeichnet sein. Abwaschen geht nicht.
Dieter Wenk (11.03)
Brian de Palma, Carrie – des Satans jüngste Tochter (Carrie), USA 1976, Sissy Spacek, Piper Laurie, John Travolta; nach Stephen King