15. Juli 2010

Gott Höchstselbst

 

Marc-Antoine Mathieu ist hierzulande bereits bekannt durch Arbeiten wie „Die Mutation, Tote Erinnerung“ oder „Die Zeichnung“, die bei Reprodukt erschienen sind. So auch die neue Graphic Novel des französischen Comickünstlers „Gott Höchstselbst“. Die Konjunktur religiöser Themen im Comicbereich findet damit ihren Höhepunkt.

Gott ist Mensch geworden. Nach anfänglichen Zweifeln an seiner Wahrhaftigkeit wird der unscheinbare Mann über Nacht zum Medienhype, von Naturwissenschaftlern, Historikern, Philosophen, Psychologen und Soziologen gnadenlos vermessen. Doch die Ankunft Gottes auf Erden hat vor allem einen Effekt: Gott wird zum universellen Sündenbock, der für das Unglück in der Welt verantwortlich gemacht wird. Schon bald findet sich der Allmächtige auf der Anklagebank wieder, und ein gigantischer Gerichtsprozess soll die Frage der Fragen klären: Gibt es einen Gott? Indes wird in der bunten Welt des Marketings bereits die Wertschöpfungskette ausgeschöpft.

Und auch Mathieu schöpft in narrativer Hinsicht wie die Marketing-Garde aus dem Vollen. Seine Geschichte besteht aus mehreren Kapiteln, die er ähnlich wie sein Kollege Seth („Eigentlich ist das Leben schön“, Edition 52) durch Face-to-Face-Interviews mit Beteiligten erzählen lässt. Traumsequenzen, Fernsehmitschnitte und ungewöhnliche Einstellungen und Perspektiven komplettierten die herausragende Comicsprache des Franzosen.

Daneben steht natürlich auch Gott im Mittelpunkt des Geschehens, der im Gegensatz zu Robert Crumbs mürrischem, aber auch reformbereiten Gott aus dessen „Genesis“ (Carlsen) steht – der Allwissenheit und Verantwortung müde, erinnert Mathieus Gott eher an den müden und satten Klaus Kinski, der in Werner Herzogs „Nosferatu“-Neuauflage den gelangweilten Vampir gibt. Aber der Autor behandelt selbstverständlich auch die existenziellen Fragen der Ontologie und Theodizee, die er aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Mathieu benutzt die Gottes-Figur aber auch, um Gesellschaftskritik zu äußern. Durch die Sichtweise des Überirdischen auf die Strukturen der Welt gelangt vor allem die Marketing-Branche ins Fadenkreuz seiner Kritik. Hierin erinnert er an eine beliebte Erzähltradition aus der Science-Fiction: Die Protagonisten wie in den Spielfilmen „K-Pax“ (Iain Softley) oder „Der Mann, der vom Himmel fiel“ (Nicolas Roeg) oder in den Romanen des „Vaters“ der deutschen Science-Fiction Kurd Laßwitz („Auf zwei Planeten“ oder „Sternentau“) schauen von außen auf die (Irrungen der) Welt.

Mathieus holzschnittartiger Strich verpasst den Gesichtern der Figuren eine hohe Variation an Gestik und Mimik. Das Antlitz Gottes bekommt der Leser dagegen nie zu sehen. Die Ästhetik besticht insgesamt durch eine stilistische Strenge, die sich durch flächige Farben – Schwarz, Grau und Weiß – zusammensetzt.

Man merkt, dass der französische Comickünstler das Medium Comic mit all seinen Möglichkeiten ernst nimmt und ausschöpfen will. Dies ist ihm in spielerischer und trotzdem anspruchsvoller Weise gelungen.

 

Marco Behringer (07/10)

 

Marc-Antoine Mathieu: Gott Höchstselbst. Reprodukt 2010, 25,5 x 19 cm, Klappenbroschur, 128 Seiten, s/w, ISBN 978-3-941099-59-3. EUR 20,00

 

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