Die innere Sicherheit
Ich beugte mich gerade über meine Handtasche, die ich, um besser suchen zu können, zwischen meinen Beinen abgestellt hatte, Beine, die immer älter wurden, die Adern traten dick und unschön hervor, ich wollte gar nicht hinsehen, tat es aber doch einige Male, dann wendete ich mich wieder dem Durcheinander meiner Handtasche zu, da hörte ich seitlich ein Schlurfen, dann das Geläut von Schlüsseln, die aus einem Schlüsselbund geschüttelt wurden, als würde ein Messdiener zur Wandlung läuten, ich hielt die Luft an, verharrte, bewegte mich keinen Millimeter, sah wieder meine Adern an, aber dieses Mal, um mich abzulenken, hatte mir Frau Padowan doch erzählt, wir hätten einen neuen Mieter im Haus, einen dieser Terroristen, sagte sie, die das in Amerika gemacht haben, Sie wissen schon, am 11. September, nein, nein, das Datum werde ich nie vergessen, das ist einer von denen, vielleicht nicht direkt, aber doch ein Unterstützter, deshalb haben ihn die Amis ja auch eingesperrt, und jetzt hat der Obama sie frei gelassen, und wir, wir müssen ja immer die Zeche bezahlen, müssen für alles geradestehen, jetzt haben sie ihn uns ins Land geschickt, weil er angeblich unschuldig wäre, das glaubt doch keiner, denn wenn er wirklich unschuldig wäre, dann hätten sie ihn ja nicht ins Loch gesteckt, das hat mein Mann auch gesagt, wir werden um unser Leben fürchten müssen, also seien Sie nur vorsichtig, denn er wohnt zukünftig direkt neben Ihnen, das alles erzählte mir Frau Padowan, sie kratzte sich dabei am Arm, ich wollte sie gerade fragen, was sie denn da hätte, da winkte sie schon ab, Neurodermitis, sagte sie, das gab es früher nicht, das liegt an den Zeiten, alles so steril, da muss man ja krank werden, ach, wo wir gerade beim Putzen sind, der Gebhard Müller hat schon wieder nicht geputzt, so geht das nicht weiter, wir müssen mit ihm sprechen, mein Mann wird das machen, aber ich wollte Sie schon mal darauf vorbereiten, damit Sie wissen, um was es geht, ich stand die ganze Zeit über da, hörte irgendwann nicht mehr zu, dachte nur an den Terroristen, den wir nun im Haus hätten, ich konnte das nicht verstehen, das konnten sie doch nicht machen, aber wir sind den Politikern egal, die machen einfach, was sie wollen, und nun stand er nur wenige Meter von mir entfernt, sieh nicht hin, dachte ich, nur nicht hinsehen, er wird dich in seine Wohnung schleifen, vergewaltigen, schänden, töten, ich sah Bilder eines dunkelhäutigen Mannes mit einem bösartigen Grinsen vor mir, er zerrte mich in seine Wohnung, er tat mir Gewalt an, sexuelle Gewalt, die sind doch alle ausgehungert, das kann nicht so bleiben, der muss hier weg, rühr dich einfach nicht, und dann sagte eine freundliche hohe Stimme plötzlich, hallo, ich versuchte mich zu beherrschen, aber Erziehung ist Erziehung, gegen die kam auch ich nicht an, ich neigte den Kopf zu Seite, blickte nach oben, ein Bild von einem Mann, wunderschön, traurige Augen, ich nickte nur kurz, sagte, hallo, drehte den Kopf wieder fort, suchte weiter in meiner Handtasche, ich hörte den Schlüssel, er öffnete seine Tür, sie schloss sich, er war fort, ich atmete erleichtert auf, fand, Gott sei es gedankt, meinen Schlüssel, ich schloss in halbgebückter Stellung auf, fiel mit meinen Beuteln, der Handtasche, in die Wohnung, schlug die Tür zu, das ging noch mal gut, dachte ich, kaum zu glauben, so ein gut aussehender Mann soll eine Bestie sein, ich sollte mich nicht täuschen lassen, die können Jahre unentdeckt in einem Land leben, gelten als freundlich, ruhig, genau wie der, das macht ihn eigentlich nur noch verdächtiger, ich werde etwas unternehmen müssen, wegziehen geht nicht, denn dafür wohne ich schon zu lange hier, das sehe ich auch gar nicht ein, aber so kann es nicht bleiben, die Sicherheit unseres Hauses ist bedroht, die innere Sicherheit, der wird uns alle in die Luft jagen, ich lehnte mich gegen die Tür, spürte meinen Herzschlag, wir werden ihn aus dem Haus bekommen müssen, dachte ich, sollen sich doch andere mit dem Problem rumärgern, wir nicht.
Guido Rohm