4. Juli 2010

Berlin ohne Legende

 

In Aleš Štegers Preußenpark

 

Berlin-Romane sind inflationär und werden es bleiben, denn ein Ende des ‚Hype’ ist vorerst nicht abzusehen. Zu den wertvollsten Hervorbringungen jüngerer Berlin-Prosa – weit jenseits des „arm, aber sexy“-Klischees – zählt Aleš Štegers Preußenpark (2009). Der Autor freilich ist Lyriker: Ein Gedichtband unter dem treffenden, wiewohl nicht krankhaft bescheidenen Titel Buch der Dinge (2006) hat Štegers in Deutschland manche Anerkennung eingebracht, mehr jedenfalls als irgendeinem seiner dichtenden slowenischen Landsleuten.

 

Nun gleicht Štegers in vielem einem jüngeren Wiedergänger Peter Handkes: physiognomisch, nach der Haartracht, teils auch weltanschaulich. Beiden ist die Leidenschaft fürs ‚Ursprüngliche’ eigen, und dieses wird heideggerisch in den ‚Dingen’ gesucht (und leider gefunden). Doch anders als Handke verweigert sich Šteger slawophiler Glorifizierung archaischer Lebenswelten. Er ist urbaner Wirklichkeit zugetan.

 

Gelegentlich eines DAAD-Künstlerstipendiums hat Šteger einige Monate in Berlin zugebracht. Eine Frucht dieses Aufenthalts ist Preußenpark, ein Prosaband von 150 Seiten in charakteristischem Suhrkamp-Großdruck, geteilt in zwei Dutzend erzählend-essayistischer Skizzen, die gleichsam mit ‚stereoskopischem’ Blick Berliner Befindlichkeiten nachspüren und Oberflächen wie deren Tiefen erkunden, bei alledem Klischees recht erfolgreich vermeiden und durch sprachliche Ökonomie und Verdichtung den hoch veranlagten Lyriker erkennen lassen. Es ist Štegers hohe Kunst, das Sichtbare mit Gedachtem und Erinnertem zu verblenden, das Weichbild der Stadt als Text aufzuschließen, in den Jahrhunderte sich eingeprägt haben. Dies ist gewiss nichts Neues, viele Autoren bedienen sich, zumal im Fall Berlins, solcher Mittel – aber nur wenige eleganter als Šteger.

 

Bemerkenswert ist Štegers Kraft, mit verwegenen Assoziationen zeitliche und räumliche Distanzen zu überspannen, mehr noch die Fähigkeit, dies innerhalb weniger Zeilen, von einem Wort aufs nächste, zu tun – und ohne, dass der Eindruck des Bemühten, Erkünstelten entstünde. Besser lässt sich das Phänomen ‚Stadt’ nicht erzählen: als Ort unmöglicher Nachbarschaften oder – mit einem abgedroschenen, doch richtigen Wort – gleichzeitiger Ungleichzeitigkeiten. Štegers Berlin ist ein Kontinuum von eingängigen wie hermetischen Gedanken, die gleichwohl stets in der Wahrnehmungswelt fußen.

 

Vielleicht am imponierendsten: Šteger versteht es, zwischen Skylla und Charybdis rezenter Berlin-Literatur geschickt hindurchzuschiffen. Er widersteht der Versuchung, alt eingebürgerte Schemata des Berlin-Romans (seit Döblin) und der Berlin-Essayistik (seit Hessel, Benjamin und Siedler) zu kopieren. Zugleich vermeidet er verkrampfte, mit dickem Pinsel hingeschmierte Originalitätsexzesse. Er bleibt diskret und trotzdem vermag er – mit leiser Stimme –, Wesentliches, Unerhörtes, nicht Ausrechenbares, zu sagen. (Dies gilt im gleichen Maße für das Dutzend Fotografien, die Šteger in den Text eingefügt hat – die letzte zeigt Gottfried Benns Grab.) Sehr weniges in diesem Band scheint ad usum delphini gesprochen, als Berlin-Propädeutik für eine ortsunkundige, slowenische Leserschaft. Vieles kann auch deutsche Leser im besten Sinne ‚befremden’.

 

Die Könnerschaft der Übersetzerin, Ann Catrin Astein-Müllers, wirkt sich vorteilhaft aus. Dem sprachlichen Vermögen Štegers steht sie nicht nach. Kaum wird man unterstellen, dass deutsche und slowenische Prosodie einander verwandt sind, doch Astein-Müller ist es gelungen, einen geschmeidigen – keineswegs öligen – melodischen Fluss zu kreieren und jederzeit für muttersprachliche Idiomatik zu sorgen.

 

Daniel Krause

 

Aleš Šteger: Preußenpark. Berliner Skizzen. Aus dem Slowenischen von Ann Catrin Astein-Müller. Mit Fotografien des Autors. Suhrkamp 2009. 156 Seiten. 10 Euro. ISBN-13: 978-3518125694.

 

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