12. November 2003

Too old to die

 

Spulwurm müsste man sein. Dann könnte man jetzt sechsmal so alt werden wie unter normalen, also Naturumständen. Die Wissenschaft hat’s möglich gemacht und dem Wurm 120 Tage Leben beschert. Da kann man als Mensch schon mal neidisch werden. Aber dann sieht man sich diese Vampirfilme wieder an und ist skeptisch. Will man das wirklich, nicht nur fünfmal so lang alt sein wie sonst, sondern richtig jung für immer und ewig? Verglichen mit dem Preis, den man zu zahlen hat? Zynismus, Kälte des Herzens, Einsamkeit!

In Vampirfilmen wird natürlich nicht erst abgestimmt, ob man Lust hat oder nicht. Ein Biss, den man nicht gewollt hat, und schon ist man auf der anderen Seite. So wie Joe in diesem Film, gespielt von David Bowie. Er ist der augenblickliche Gespiele von Miriam (Catherine Deneuve), der Diva, dem Vampir. Deren Treueschwüre sind nicht von allzu langer Haltbarkeit. „For ever young“? Gilt nur für Miriam. Während die Wissenschaftlerin Sarah (Susan Sarandon) durch Experimente an Affen dem Geheimnis auf der Spur ist, den Alterungsprozess aufzuhalten oder zumindest in die Länge zu ziehen, sieht Joe innerhalb von zwei Stunden sehr alt aus. Wie das Bildnis des Dorian Gray.

Auch Diven brauchen von Zeit zu Zeit frisches Blut, wenn schon nicht das altehrwürdige Mobiliar alle hundert Jahre ausgewechselt wird. Und so viel Joe auch herumbeißt, es nutzt nichts, er wird nicht wieder jünger, was zwar auch Popstars erfahren, aber dass sie sich wie David Bowie auch noch einem Beschleunigungsprogramm unterziehen, kann dann schon wieder Kultcharakter zugeschrieben bekommen und der Zuschauer zollt der antizipativen Kraft Respekt, die dann auch die Werbung erreicht und in unseren Tagen etwa Boris Becker als Senior präsentiert. Sehr schön übrigens dieses wunderbare junge androgyne Geschöpf, die kleine Freundin von Miriam, die leider ganz umsonst sterben muss, da sie Joe das fürs ewige Leben nötige Serum nicht übertragen kann. So richtig sterben kann Joe aber auch nicht, deshalb entsorgt Miriam ihn auf dem Speicher, wo schon eine ganze Reihe von Särgen für den quasi-ewigen Winterschlaf herumstehen.

Dann lernt Miriam Sarah kennen. Ein Hauch von Bilitis liegt über der Begegnung. Sanfte, melancholische Klavierklänge nebeln das Zuschauerhirn ein, ein unwirklich helles Licht taucht die riesigen Säle des Hauses in den Traum eines stehenden Jetzt, Schleier gleiten über fast nackte Körper, dann fließt das erste Blut, aber es hat gar nicht weh getan, im Gegenteil, Sarah ist dabei. Vielleicht denkt sie schon an Übernahme? Der Prozess der Wissenschaft dauert viel zu lange. Und wozu trägt Miriam das Amulett des ewigen Lebens um den Hals. Ein kleines Experiment auf okkultem Feld? Sarah ist wirklich gut. Sie schafft es. Sie bringt Miriam den Tod. Harte Arbeit für den Maskenbildner. Die ganze Mannschaft auf dem Speicher darf noch mal ran. Und man sieht sie so schön altern wie die alten Morlocks in der Verfilmung von H.G. Wells „Zeitmaschine“. Dann ist dieser Spuk vorbei, der Vermieter betritt die Bühne, und als würdige Nachmieterin darf der Zuschauer niemand anderes als Sarah willkommen heißen, die die Posen erst gar nicht üben muss. Aber man muss schon vom Fach sein, um das alles genießen zu können.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Tony Scott, Begierde, GB 1983</typohead>