19. Juni 2010

… und fertig

 

Mit 16 stand für sie fest, Fotografin zu werden. Die junge Berlinerin aus gutem Hause hatte 1925 eine Ausstellung Frieda Riess’ in der Galerie von Alfred Flechtheim, dem Begründer des Querschnitt, gesehen, und war begeistert: „So habe ich beschlossen, Photographin zu werden.“ 1927 beginnt sie eine fotografische Ausbildung im Berliner Lette-Verein, und zwei Jahre später verkauft sie bereits ihre ersten Arbeiten. 1929 hält sie sich für ein halbes Jahr in Paris auf, trifft u.a. auf Man Ray, der ihr nichts mehr beibringen zu können glaubt. In den 30er Jahre macht sie diverse Reisen, und da sie Jüdin ist, verlässt sie 1936 endgültig Deutschland und lässt sich in der Schweiz nieder. 1937 hört sie mit dem Fotografieren auf: „Wenn ich weiter in dem Bereich gearbeitet hätte, wäre ich zum Film gegangen“, bekannte sie später, „mit dem Fotografieren war ich fertig.“

 

In Berlin war Marianne Breslauer u.a. mit Paul Citroen befreundet, über den sie Erwin Blumenfeld kennenlernte, den diskretesten Dada-Künstler aller Zeiten. Von Blumenfeld gibt es ein sehr sympathisches Foto der Künstlerin aus eben dem Jahr, als sie ihre Karriere als Fotografin an den Nagel hängte. Verschmitzt-verführerisch schaut sie in die Kamera, und sie scheint sagen zu wollen: Leute, das war’s. Das Selbstporträt von 1929 sieht dagegen noch ganz anders aus, das linke Auge von einer doppelten Haarsträhne eher geteilt als verdeckt, der Blick ein wenig verloren nach rechts aus dem Bild heraus gewendet, die Hände, die man nicht sieht, scheinen in einer Fältelung zusammen zu laufen. Äußerlich entspricht Breslauer hier ganz dem Modell der „neuen Frau“, aber Zweifel scheinen auch diesem Typ nicht ganz unbekannt. Von 1929 datiert auch ihr sogenanntes „Gehilfenstück“, das sie dem Lette-Verein als Diplomarbeit vorlegte.

 

Die Handschrift der Riess ist unverkennbar, es sind Porträtaufnahmen, die im Studio entstanden, u.a. mit ihren Freunden Paul Citroen und Beate Frese. Die Aufgabenstellungen? Zum Beispiel: Ein Gesicht und zwei Hände, oder: ein Gesicht und eine Hand. Die Arbeiten, die Breslauer abliefert, überzeugen vor allem deshalb, weil man nicht an die Aufgabenstellung erinnert wird. Vier Jahre später überwiegt das inszenierende Moment, sehr stark in der Fotosequenz Freizeit eines arbeitenden Mädchens; und ob man nun die Reihenfolge dieser Bilder ändern kann oder nicht, um jeweils einen anderen kleinen imaginären Film zu erzeugen – so können heute diese Fotos nicht mehr so recht überzeugen. Dann aber immer wieder ganz wunderbare Fotos wie das Mannequin (Berlin, 1932), das an einen forcierten Eugène Atget erinnert, oder die Villa in Sacrow (1934), vor der ein Pudel trohnt, der ganz aus Landschaftshaufen gemacht zu sein scheint, die sich im Garten vor der Villa auftun, oder ein Miniaturpferdegespann auf dem Pflaster eines Berliner Weihnachtsmarkts (1930). Erhabenheit scheint Marianne Breslauer nicht interessiert zu haben, wie leicht hätte sie den Isthmus von Korinth (1931) eben so zeigen können, aber ein kleines Boot im Vordergrund durchkreuzt jede erhabene Stimmung.

 

In der Berlinischen Galerie als zweiter Station (nach Zürich) ist der Fotokünstlerin jetzt eine Retrospektive eingeräumt worden – ergänzt durch eine ganze Reihe weiterer Fotografinnen aus der Generation Marianne Breslauers.

 

Dieter Wenk (06-10)

 

Marianne Breslauer. Fotografien 1927-1936, hg. von Kathrin Beer und Christina Feilchenfeldt in Zusammenarbeit mit der Fotostiftung Schweiz, Wädenswil 2010 (Nimbus, Kunst und Bücher)

 

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