17. Juni 2010

Berliner Rundschau (II)

 

Natürlich muss einem Emilio Vedovas Absurdes Berliner Tagebuch nicht gefallen. Aber immerhin passt es ganz gut in die Zeit, in der es entstand (1964), statt Berliner Mauern, die seit drei Jahren die Stadt teilten, riss er, Vedova, Leinwände ein und lud zum Durchschauen ein. Der Österreicher Erich Kofler Fuchsberg, der mit tag ein tagaus Berlin ebenfalls ein Berlin-Tagebuch vorstellt, fährt lieber U- und S-Bahn, um sich ein Bild von Berlin zu machen, dem er in der ersten Hälfte des Jahres 2005 einen Besuch abstattete. Für die, die zu der Zeit (schon) in Berlin waren, eine gute Gelegenheit, sich zu erinnern, was vor fünf Jahren Thema war. Oder was man heute einfach nicht mehr hat, zum Beispiel den Palast der Republik, auf dem just in jenem Jahr dieses schöne Wort „Zweifel“ prangte.

 

Die ersten Fotos dieses Buchs sind recht romantisch, aber, wie auch der Text schnell zeigt, es ist eher die Romantik eines Heinrich Heine, die diesem Band den Stempel aufdrückt. Und schnell wird man auch in die Bildsprache eingeführt, die es eher mit Verstörung und Verfremdung hält als mit Bildmotiven, die man eh schon kennt. Die Art und Weise, wie Kofler Fuchsberg Vorder- und Hintergrund voneinander absetzt, lässt einen von Zeit zu Zeit an bestimmte malerische Positionen von Berliner Künstlern denken. Das geht in Richtung Abstraktion, ohne die Härte von Vedova, eher spielerisch. Manchmal wird man vielleicht auch erinnert an die Blumenserien des Japaners Araki.

 

Auf jeden Fall erfährt das standardisierte Berlin-Bild in den hier gezeigten Fotos immer mindestens eine Erweiterung. Bei der Betrachtung merkt man, dass der Begriff Realismus zumindest hier kein geeignetes Mittel ist, Fotografie als Technik zu beschreiben. Es geht hier ja eher um Aufmerksamkeiten, Abseitigkeiten, um Areale, die nicht jedem auffallen, was vielleicht einfach daran liegt, dass nicht jeder die Muße hat, Berlin auf eine halb-touristische, halb-dokumentierende Art zu erleben und zu erfassen. Ein Bild heißt An der Birkenstraße in Moabit, ein leerer Platz, im Hintergrund Brandschutzmauern, darauf natürlich die obligatorischen Graffiti, aber was das Bild interessant macht, sind die Blumen im sehr nahen Vordergrund, die ebenfalls wie Gespraytes aussehen und die ein Haus verdecken, das ziemlich allein in der Landschaft steht. Fast ein bisschen kitschig dagegen das Bild auf der Seite gegenüber, der Brunnen am Helmholtzplatz, mit einem kleinen Mädchen. Manchmal glaubt man, einen Robert Rauschenberg vor sich zu haben (In der Kastanienallee), manchmal lässt Michael Schmidt grüßen.

 

Über die einen oder anderen Spuren der Stadt kommt man den Spezialitäten des Autors entgegen, den Frauen, aber auch bestimmten Buchstaben wie dem V, deren Form natürlich zu denken gibt. Diese Nähe zum Autor ist aber auch die größte Schwäche des Buchs. Er kann einem nämlich gehörig auf den Geist gehen mit seinen Betrachtungen. Aber die Bilder anzuschauen lohnt allemal.

 

Dieter Wenk (06-10)

 

Erich Kofler Fuchsberg, tag ein tagaus Berlin, Wien-Bozen 2010 (Folio Verlag)