10. November 2003

Wissenschaft und Horror

 

Earlie sieht man den Serienkiller nicht an. Brian würde man eher für einen braven Studenten halten als für einen Experten über Serienmörder. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, wie Earlie an einer Stelle ganz richtig bemerkt, dass Brian nicht weiß, von was er spricht. Aber das hilft Earlie auch nicht weiter, denn beide wissen nicht, was sie tun. Da dies ein moralischer Film ist, muss Brian bis ans Ende des Films warten, bis er endlich weiß, von was er spricht, wenn er über Leute wie Earlie berichtet, und bis er schließlich auch weiß, was er tun muss, nämlich über genau diesen Prozess, den er durchgemacht hat auf dem Weg, den Unterschied zwischen sich und Earlie zu finden, zu schreiben.

Carrie ist die Freundin von Brian, sie ist Fotokünstlerin, verrenkte Aktfotografie, hat aber damit keinen Erfolg. Beide brauchen eine kleine Auffrischung, Brian glaubt, den Serienmördern näher zu kommen, wenn er die Orte aufsucht, wo sie ihre Untaten begannen, das gäbe eine schöne Fahrt nach Kalifornien, also ein nettes Road-Movie. Und wenn man noch ein paar Leute mitnehmen würde, bekäme man auch die Benzinkosten wieder rein. Dummerweise kriegt Earlie das mit. Er haust mit seiner sehr jungen, etwas debilen Freundin Adele in einem Wohnwagen in einer Wohnwagensiedlung. Saufen, ficken, rauben, morden, das ist so Earlies Tagesprogramm. Eigentlich darf er, weil er vorbestraft ist, den Bundesstaat nicht verlassen, wo er lebt. Aber natürlich fahren die beiden dann mit. Akademisches Milieu trifft auf Lumpenproletariat. Das hat schon immer für herzliches Gelächter gesorgt, auf beiden Seiten. Die komische Seite des Films ist also vorprogrammiert. Bis dann die übliche Zeit des ersten Kennenlernens vorbei ist und gewissermaßen die rein berufliche Seite wieder in den Vordergrund rückt. Auf der Seite von Brian und Carrie, die die Fotos zu Brians Texten schießen soll, ist das nicht weiter dramatisch, man hat eher ein bisschen Mitleid mit der Naivität des Forschers. Aber wenn Earlie Ernst macht, weil er zum Beispiel kein Geld hat, um das fällige Tankgeld zu bezahlen, dann muss man innerhalb dieses überschaubaren Menschenverbunds damit rechnen, dass die Koordinaten sich verrücken. Einen wirklichen Toten kann man vielleicht noch fotografieren, aber nicht direkt im Buch ablegen. Spätestens nach Earlies zweitem Mord ist also alles anders, Brian und Carrie sind seine Geiseln, die arme Adele kriegt davon nicht allzu viel mit, solange jedenfalls, bis sie selbst Zeugin von Earlies Grausamkeit wird und sie merkt, dass er im Grunde genau so ein mieser Typ ist wie die drei Typen, die sie, als sie 13 war, auf der Hinterbank eines LKWs vergewaltigten.

Brians Forschungsgegenstand nimmt also im Verlauf des Films eine andere, sich immer mehr verlebendigende Gestalt an. Earlie ist die Wahrheit, die er sonst nie kennen gelernt hätte, wie auch der erste vergebliche Besuch eines Ortes eines früheren Schreckens zu verstehen gibt. Brian muss erst selbst die Situation erlebt haben, die die Stelle markiert, so interpretiert er das jedenfalls selbst später, wo es dann entweder immer munter weiter geht, oder wo man sich sagen kann, ich hatte keine andere Wahl, als jemanden umzubringen, irgendwie kann das also jeder, aber das ist natürlich nicht die Definition des Serienmörders. Die gäbe es erst dann, wenn man in der Haut von Earlie stecken würde, aber aufschreiben bräuchte man diese Erfahrung dann nicht mehr. Viel Lärm also mal wieder um einen blinden Fleck. Aber Juliette Lewis und Brad Pitt waren schon sehr unterhaltsam.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>Dominic Sena, Kalifornia, USA 1992</typohead>