Die laute Wut der Diskrepanz
Bei FANG DEN BERG treffen Noisrocksounds auf formidable Sprachakrobatik und exzessiv zelebrierte Literatur. Mit ihrem gleichnamigen Album haben sie die wohl lauteste und verschrobenste "Lesung" ever veröffentlicht.
Der Literat Stefan Roiss, der sich hier für die Diktion verantwortlich zeichnet, ist bereits über die Kooperation Tumido & Stefan Roiss im musikalischen Underground bekannt. Für die apokalyptische Soundkulisse des neuen Projekts sorgen Mario Stadler (b), Manuel Mitterhuber (g) und Fizl Stadler (dr). Grummeliger Distortionbass, schräge Gitarrenläufe und –wände bauen das Fundament. Mal straight rockend, wütend verzerrt und lospolternd im Vordergrund, irgendwo zwischen Sonic Youth und Noiserockhelden. Dann wieder zurückgelehnt minimalistisch, einen leisen bizarr-melancholischen Klangkörper formend. Die Lyrics klagen und stellen in Frage, oftmals auch Roiss selbst. Er berserkert und predigt darüber in gewaltiger Sprachakrobatik, kauzt und kotzt oder spricht verdächtig bedächtig über den Wahnsinn in der Welt.
Im Dialog mit Stefan Roiss über den Lyrikbastard, Gott, Vertreterjobs und Entfremdungsparolen, diktierter Komplexität und die Unzulänglichkeit der Sprache.
"Aus einem Literatur-Klang-Bastard wurden ungewöhnliche Songs mit ungewöhnlichen Songtexten."
nN: Wie kommt es zur doch sehr seltenen Kombination aus Noise und Lyrik?
SR: Das Konzept „Spoken/Screamed Word umarmt abseitigen Rock“ erblickte meine Welt bereits 2005 - im Zuge des Projekts Tumido & Stefan Roiss. Was in einer CD-Veröffentlichung und mehreren Konzerten mündete, begann damit, dass ich Mitte besagten Jahres eine ziemlich klassische Lesung machen wollte, zu der – unklassischerweise – das großartige Progrock-Duo Tumido den musikalischen Rahmen liefern sollte. Bei den Proben wurde schnell klar, dass es viel mehr Spaß und Sinn macht, wenn Musik und Text direkt miteinander korrespondieren. Das veränderte natürlich meine Performance ebenso, wie die Art meines Stimmeinsatzes, denn wenn dir Killerriffs und Kickgewitter um die Ohren fliegen, sind das gemütliche Sitzen bei Tischlampe und die Märchenonkelstimme keine realen Optionen. Ziemlich bald adaptierte ich auch die Wortsubstanz für die neue Ausdrucksform. Vertonungen von Gedichten und Miniaturen funktionierten nur bedingt. Ich begann für und mit Musik zu schreiben. Aus einem Literatur-Klang-Bastard wurden ungewöhnliche Songs mit ungewöhnlichen Songtexten. Das fand in Fang den Berg seine Fortsetzung und seinen Fortschritt.
nN: Gibt es gewisse Referenzpunkte? Sonic Youth, Majakowski und Nietzsche kommen mir dabei in den Sinn.
SR: Es gab weder für Tumido & Stefan Rois so etwas wie Vorbilder oder konzeptuelle Leuchttürme, noch gibt es Derartiges bei Fang den Berg. Surrogat und Einstürzende Neubauten sind die einzigen Bands, die ich gelegentlich höre, die etwas zumindest irgendwie Ähnliches machen bzw. gemacht haben. Verlässt man den deutschsprachigen Raum, tauchen am Horizont Slint oder The Enablers“ auf. Hab ich mir sagen lassen. Ich kenn keine einzige Note von diesen Formationen. Aber ich werds nachholen.
nN: Kommen wir zum Album. Spricht aus deinen Texten die Wut eines Atheisten oder die eines enttäuschten Gläubigen?
SR: Momentan weder noch. Ich bin aber auch mit einer Selbstbezeichnung als "Agnostiker" nicht ganz zufrieden. Denn auch ein Agnostiker positioniert sich mit seiner Unentschiedenheit noch irgendwie zur Frage "Existiert Gott?". Aber für mich gibt es gar keine Frage. Gott ist kein Problem.
nN: Einerseits hältst du radikale Zwiesprache mit Gott, andererseits leugnest du ihn. Wie ist das zu verstehen. Du scheinst ähnlich widersprüchlich wie das Wesen, das "gasförmige Wirbeltier" das du anklagst.
SR: "Gott" ist für mich eine starke Metapher, ein Instrument, um gewisse Effekte zu provozieren. Dieses Wort ist ungeheuer aufgeladen und vielfältig einsetzbar. Ein Turbo-Signifikant. Für so ein Pathosferkel wie mich ist das ein gefundenes Fressen. "Gott" heißt alles und nichts und trotzdem wohnt ihm die Tendenz inne, wie etwas klar Definiertes zu wirken. Dieser Umstand schwingt auch im Feuerbachsager vom "gasförmigen Wirbeltier" mit, den ich zitiere. In der widersprüchlichen Sprechsituation im Track "Hardcorehiob", den du angesprochen hast, setzt sich also in gewisser Weise nur die innere Spannung des Gottesbegriffes fort. Abgesehen davon möchte ich betonen, dass Gott auf dem Album ja nicht onmnipräsent ist. Er tritt nur in circa zwei Tracks auf. Und abgesehen davon möchte ich betonen, dass alles ganz anders ist.
nN: Wie das zu verstehen?
SR: Das ist nix zum Verstehen. Das ist nur sprachlicher Unfug, der versucht auf den unsagbaren Rest hinzudeuten.
"So oft, wie ich schon auf unterschiedlichste Weise ganz authentisch und frei sein wollte, kann niemand mehr verlangen, dass ich mich selbst noch ernst nehme, wenn ich wieder einmal ich selbst sein will."
nN: Worum geht es also bei Fang den Berg, inhaltlich und allgemein?
SR: Ein Bollwerk von Frage. Ich erlaube mir auszuweichen. Erstens weil es nicht allein bei uns liegt, worum es bei Fang Den Berg geht. Das entscheidet die jeweilige Perspektive, jede/r Rezipient/in neu. Unsere bzw. in diesem Fall meine Perspektive ist zwar durch die Schöpferposition eine besondere, aber keine hochwertigere oder wahrere. Drum lieber nicht extra unterstreichen. Lieber laufen lassen. Zweitens weil es in eine Erörterung einer Art vorsätzlicher Programmatik oder Konzept münden würde. und das gibt es bei Fang Den Berg - wenn überhaupt - nur rudimentär und nachträglich. Am ehesten: Es geht um das, was wir als Fang den Berg tun. Aber das heißt natürlich gar nichts. Und deswegen: Hören, sehen, fühlen, sonst was. Vor allem sonst was!
nN: Bleiben wir noch zunächst bei den Worten, da sie ja sehr zentral wirken. Wieder interpretatorisch frei schwingend: Es erscheint mir als ob Du in gewisser Art vertretungsweise Aussprache mit den Jugendidealen von vielen, vielleicht auch den eigenen hältst. "Ich gegen das Ding, das ich geworden bin" als zentrales Moment.
SR: Diese Vielen sollen gefälligst selbst mit ihren Jugendidealen Aussprache halten! Geht mich nix an. VertreterInnen-Jobs sind langweilig. Es war auch nicht meine Absicht, meine eigenen Schulhofträumereien zu thematisieren oder mich vor Publikum an den zu erinnern, der ich in irgendeinem „damals“ sein wollte. Diese Art nostalgischer Selbstzermarterung hat mittlerweile etwas maximal Komisches für mich. So oft, wie ich schon auf unterschiedlichste Weise ganz authentisch und frei sein wollte, kann niemand mehr verlangen, dass ich mich selbst noch ernst nehme, wenn ich wieder einmal ich selbst sein will. Der von Dir zitierte Satz aus „Dingo“ ist eine Anti-Entfremdungsparole, im Sinne des alten „Sein statt Haben“-Motivs. Wer immer „Ich“ ist, ich will mich nicht an Objekte verlieren. Das fühlt sich nicht gut an. Aber das ist nur die intentio auctoris. Und nicht einmal das. Die Wahrheit ist irgendwo da draußen.
"Es ist so, dass wir die Tendenz aufweisen, in der Welt ein ziemlich gigantisches Quantum an Wahnsinn zu orten. Das prägt sicherlich auch den Charakter der Werke"
nN: Sieht man inzwischen in die Dinge hinein, bis dorthin wo sie kompliziert, vor allem sehr traurig werden? Ist die laute Wut der Diskrepanz, die bewusste Dissonanz im Sound ein Aufbäumen um der diktierten Komplexität etwas entgegen zu setzen?
SR: Das gefällt mir. Derartiges haben wir zwar nicht bewusst eingesetzt, aber das ist eine Beobachtung, die mir wertvoll ist. Die Beziehungsformen zwischen Stimme und Instrumenten bei Fang den Berg sind vielfältiger, aber ein wichtiger Aspekt wird hiermit gut getroffen, denke ich. Tatsächlich hat der Sound manchmal etwas Tragendes und Öffnendes, wo der Text nur abspringen und anklopfen konnte. Und das gedankenschwangere Sensorium, das zwischen den Zeilen quert, wird an manchen Stellen von der Musik abgeholt mit den unausgesprochenen Worten: „Alter, alles gut und schlau, aber schau Dir mal lieber diese Kraft an“ oder einem einfachen: „Trotzdem“.
nN: Nicht nur mittels der Lyrics auch über die Musik geht Ihr mit Fang Den Berg eine gewisse Konfrontation mit der konservativen Gesellschaft und deren angeblich konsensualen Vorstellungen ein. Ist es eigentlich möglich sich mit dem Status Quo zu arrangieren oder darf das nicht sein bzw. braucht es diese Reibung um die Kreativität am laufen zu halten?
SR: Prinzipiell kann man selbstverständlich mit Zuständen einverstanden sein und selbstverständlich kann man kreativ sein ohne widerständig zu sein. Es ist nun aber so, dass die Mitglieder von Fang den Berg die Tendenz aufweisen, in der Welt ein ziemlich gigantisches Quantum an Wahnsinn zu orten. Das motiviert und prägt sicherlich auch den Charakter der Werke. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass wir nicht in erster Linie gestalten, um aktuellen Strukturen und Dynamiken etwas entgegen zu stellen. Das passiert von selbst, mehr oder weniger absichtslos. Wir machen schlichtweg, was uns persönlich sinnvoll und künstlerisch hochwertig erscheint. Das Ergebnis ist dann oft unterm Strich kritisch und gegenläufig. Es sind, vermute ich, unsere Egoismen, die uns dazu drängen, irritierend und - in einem weiten Sinn - politisch zu werden.
nN: Du nutzt die Sprache als eindringliches Stilmittel und hast dennoch immer wieder Zweifel, ob man Emotionen und Anliegen adäquat transportieren kann. Ersetzt bzw. unterstützt dort, wo die Sprache manchmal nicht zu genügen erscheint, der Noise die Intensität?
SR: Ich zweifle nicht an der Zulänglichkeit der Sprache. Ich bin überzeugt, dass sie unzulänglich ist. Erlaub mir kurz lyrisch zu werden: Wörter / lasst mich los // ich weiß / ohne euch / hätte ich / keine Welt // mit euch / bemerke ich / dass ich nichts / über sie / sagen kann. Das heißt, das Schön-Schreckliche an der Sprache ist, dass ohne sie gar nichts geht, aber mit ihr immer zu wenig. Und der verzirkelte Superwitz ist, dass ich nur sprachlich zum Ausdruck bringen kann, dass sprachliche Ausdrücke immer mehr versprechen müssen als sie halten können. Der Noise kann diesen unaufhebbaren Mangel auch nicht beseitigen, nicht einmal kompensieren, aber er kann auf seine Weise den gelegten Spuren Nachdruck verleihen, er kann sie bereichern, kommentieren, in Frage stellen, flankieren, ablenken. Er packt das Wort und zerrt es in seine Tiefen, die aber nicht mehr die Tiefen sagbarer Gedanken sind, sondern jene unterirdischer Unmittelbarkeit und reflexionsloser Spiegelkabinette. Offene Weite.
Christian Eder
Der Artikel ist in ähnlicher Form bereits im noisyNeighbours Zine erschienen.