Der Tod durch Kinderaugen
Bilderbuch? Illustriertes Kinderbuch für Erwachsene? Erwachsenencomic für Kinder? Märchen? Fabel? Graphic Novel? Eindeutig lässt sich Jakob nicht einordnen! Die deutschen Newcomer Benjamin Schreuder und Felix Mertikat erzählen eine lyrische All-Ages-Fabel im Stil von Carlo Collodis „Pinocchio“, den modernen Märchen von Neil Gaiman (Coraline, Sandman) oder Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“. Als wären die Brüder Grimm Comiczeichner geworden. "Jakob" ist als Abschlussarbeit an der Filmakademie Ludwigsburg entstanden.
Als die Mutter des achtjährigen Jakob „für immer fort geht“, macht sich der kleine Junge auf die Suche nach ihr. Aber niemand kennt den Weg zu dem Ort, den sie gegangen ist. Und die, die ihn kennen, die Raben und die Füchse, wollen ihn nicht verraten. Aber Jakob ist bereit, jeden Preis zu bezahlen, um seine Mutter wiederzufinden. Seine Reise beginnt zunächst in der Stadt, dem Ort „wo alle hingehen“. Später lässt er sich auf ein riskantes Geschäft ein und trifft auf die merkwürdigsten Lebewesen. Alle befinden sich auf derselben Reise: Der Rabenkönig, der über ein Reich aus Unrat herrscht, der greise Fuchs, der seiner Jugend nachtrauert, oder das Waisenkind, das sich für eine Schildkröte hält.
In einfühlsamer Weise schildert das Autorenduo die verzweifelte Suche des nichts ahnenden Jakob. Mit kunstvollen Bildern stellen die Comickünstler den Tod durch Kinderaugen und in anschaulicher und fantastischer Art dar. Ohne Erzähltext sprechen die Bilder entweder für sich oder werden durch die Dialoge zwischen Jakob und den Menschen und Tieren ergänzt. Dabei verschwimmen die Genregrenzen zwischen Filmsprache, klassischem Bilderbuch und Comic immer wieder, wenn beispielsweise die Panelanordnung aufgelöst wird.
Die grafische Novelle, wie das Buch vom Verlag betitelt wird, kommt recht überraschend, zumal Cross Cult (Amigo Grafik) der Verlag ist, in dem gewaltverherrlichende und pornografische Titel wie „Sin City“ (Frank Miller) oder „Lost Girls“ (Alan Moore/Melinda Gebbie-Moore) und ansonsten vorwiegend nicht weniger zimperliche Genre-Comics erscheinen. Lediglich einzelne Titel wie „Auf der Suche nach Peter Pan“ (Cosey), „Gregory“ (Marc Hempel) oder „Wallace & Gromit“ (Diverse Autoren) fallen da aus der Reihe. Mit Jakob erweitern sie jedenfalls ihr Programm im „Spezial“-Bereich um eine Deutschproduktion, die sich vor dem Vergleich mit den erwähnten Klassikern nicht verstecken braucht.
Marco Behringer (05/10)
Benjamin Schreuder & Felix Mertikat: Jakob. Cross Cult, 2010. 27x21, Hardcover, farbig, 64 Seiten. Euro 16,80 - ISBN: 978-3-941248-82-3