Interview mit Kristof Schreuf
„In den Stücken ist eine Ruhe und in der Musik ist eine Balance, die nicht immer in den Texten drin ist“
Ein Gespräch mit Kristof Schreuf über sein Album „Bourgeois with Guitar“. Am 12. März 2010 in der Markthalle, Berlin-Kreuzberg, Pücklerstraße
Christopher Strunz (CS): Es ist dein erstes Soloalbum. Mit dem etwas merkwürdigen Titel „Bourgeois with Guitar“. Ist es auch eine Art autoaggressive Bezeichnung für deine eigene künstlerische Produktion? Es gibt ja wenig Leute, gerade aus der Linken, die von sich behaupten würden, dass sie bourgeois sind. Oder hat das damit überhaupt nichts zu tun?
Kristof Schreuf (KS): Ich höre da zwei Fragen heraus. Die erste bezieht sich auf das Soloalbum. Ich habe noch nie etwas allein gemacht und ich würde auch bei dieser Platte, auch wenn mein Name da vorne drauf steht, sagen, dass ich sie nicht alleine gemacht habe. Am Anfang dachten Tobias Levin, der die Platte produziert hat, und ich, dass er im Regieraum sitzt und ich sitz im Aufnahmeraum und spiele jetzt die Gitarre. Ich sing ein bisschen, und Tobias drückt Play/Record und dann sind wir irgendwann fertig. Das haben wir gemacht. Dann haben wir uns das angehört und haben festgestellt, dass wir mehr wollen. Und dann haben wir praktisch noch mal neu angefangen. Wir haben uns unterhalten und wir haben uns Bälle zugespielt, und dann kam es zu einem Stück wie „Search & Destroy“. Und jetzt spreche ich nicht für Tobias, aber für mich war das was Besonderes. Ich hab gemerkt, dass hier eine Tür aufgeht. Dass da mehr Luft reinkommt und dass hier etwas passiert, was ich noch nicht kenne. Also, irgendwas zwischen Forrest Gump, der in eine Pralinenschachtel reingreift und auch nicht weiß, was er da rausholt, und, sagen wir Kolumbus, der in der Hoffnung, dass wenn er von Spanien in Richtung Westen losfährt, dass er dann irgendwann mal in Indien ankommt. Nicht ahnend, dass da auf dem Weg nach Indien ein ganzer Kontinent dazwischen kommt. Zwischen diesen beiden ging das hin und her. Wir haben dann Sachen probiert, und die Sachen, die für uns funktioniert haben, die sind dann auf der Platte drauf. Bei dem „Bourgeois with Guitar“, da hatte ich so einen Gedanken: Es gab irgendwann im 19. Jahrhundert diese Idee, dass es da so zwei Klassen gibt. Da gibt es die Bourgeoisie, da gibt es die Proletarier. Die Bourgeoisie, das sind die mit den Produktionsmitteln, die die Lohnarbeit ausnutzen können, und die Proletarier sind die, die keine Produktionsmittel haben und deswegen ihre Arbeitskraft anbieten müssen. Mein Eindruck war nun, dass im vergangenen 20. Jahrhundert sich das nicht so sehr verändert haben muss. Aber eines ist auffällig: Es wäre sehr gut möglich, dass der Lohnabhängige, der Proletarier, diejenigen, die vielleicht nicht über Produktionsmittel verfügen und deswegen nicht bourgeois sind, dass die trotzdem wie ein Bourgeois denken. Das heißt, der Proletarier oder wie immer man ihn heute nennen würde, das ist einfach ein Bourgeois ohne Produktionsmittel. Aber was er im Kopf hat, unterscheidet sich nicht von dem Bourgeois. Er spielt dasselbe Spiel, er spielt nach denselben Regeln. Das Einzige, was er sich wünscht, ist, an eine andere Stelle zu kommen. Ohne Produktionsmittel ist er der Verlierer, er möchte gerne der Gewinner sein. Was ihn nicht so interessiert, ist eine Kritik der Regeln oder eine Kritik des Spiels oder eine Abschaffung des Spiels. Davon ging ich aus. In dem Stück beginnt er mit so einer Behauptung, von der wir nicht sagen können, ob sie wahr oder falsch ist. Er sagt: „Ich komme aus der Wonne. Ich bin die Zeit.“ Dann kommt als Nächstes etwas, das wir als Anmaßung ansehen können: „Ich bin die Zeit.“ Das muss also ein ziemlich anmaßender Typ sein. Und dann macht er eine Feststellung, dass aus seiner Sicht ihm alles leicht fällt. Auch wenn es knallt und schreit, wobei man fragen könnte, was da knallt und wer da schreit, aber ihm fällt alles leicht. Er hat keine Probleme. Er nimmt aber zur Kenntnis, dass andere mit ihm Probleme haben könnten. Er merkt auch, dass es da womöglich Unterschiede gibt. Dass er zwar noch aussieht wie ein Mensch, dass er sich da aber nicht mehr sicher sein kann, ob es sich bei ihm noch um einen Mensch oder um einen Living Dead, um ein Wesen oder um ein Avatar handeln mag. Er ist ein Typ, der sich offensichtlich bestimmte Dinge einredet, von denen nicht mehr klar ist, wie viel Kontakt zur Wirklichkeit eigentlich noch gegeben ist. Selbst wenn die Welt auseinander fällt, tanzt er, fängt mit dem Finger an zu swingen, während neben ihm und um ihn herum die Katastrophe stattfindet. Es kann sogar sein, dass er es eine angemessene Reaktion auf die Katastrophe findet, dass dazu getanzt oder geswingt werden muss. Dann bleibt am Schluss nur noch ein Problem, was übrig bleibt für ihn. Oder eine Befürchtung vielmehr: Nämlich, dass andere Leute denken könnten, er würde dick oder hätte Übergewicht. Hoffentlich heiße ich nicht Schütte (Anspielung auf Rainald Goetz’ ersten Roman „Irre“, CS). Er ist ansonsten jemand, bei dem es zu mehr als zum Bourgeois nicht gereicht hat. Er redet sich vielleicht ein, dass er sich von anderen Bourgeois unterscheidet, indem er eine Gitarre dabei hat. Er unterscheidet sich gerade gar nicht, aber er will sich das vielleicht gerne sagen. Mit Gitarre ist es noch was anderes. Und vielleicht hat er noch Erinnerungen an so etwas wie Revolution oder an Umwälzungen, aber das sind dann eben auch nur Erinnerungen. Das mit dem „autoagressiv“ finde ich sehr interessant. Weil in dem Stück sehr viele Dinge passieren. Die Welt reicht bis an seine Augenränder, er ist offensichtlich völlig übermüdet und auch so übermüdet, dass die Konzentrationsfähigkeit nur begrenzt ist. Denn die Welt reicht ja nur bis an seine Augenränder. Dass er sich offensichtlich damit überlegt, was diese Welt so sein soll. Und wenn es knallt und schreit, dann kann auch nicht alles in Ordnung sein. Und wenn die Welt auseinander fällt und wenn da diese Dinge passieren, dann mag es sein, dass alles Mögliche zerfällt, und wenn es ihm trotzdem noch gut geht, dann stimmt irgendetwas nicht. Ich weiß nicht, ob man das als Autoaggression sehen kann, aber ich finde es interessant, dass du darauf kommst.
CS: Aber du würdest zumindest betonen, dass es das Vorführen von einem bestimmten Typ ist und nicht zu verwechseln mit deiner eigenen Songwriter- und Autorposition?
KS: Also, in Popmusik, da fällt das ja zusammen. Ist es jetzt authentisch? Ist es nicht authentisch? Ist der Typ, der da redet, derjenige? Meint der das auch so? Hegemann, wenn sie sich als schlimmes Kind bezeichnet, ob sie das dann selber findet oder ob sie das bei dem Blogger oder bei jemand anderem abgeschrieben hat. Aber selbst, wenn sie es abgeschrieben hat, mag es immer noch für sie gelten. Diese Unterscheidung ist nicht aufrechtzuerhalten. Das kannst du finden, das kann ich auch finden. Aber nicht bei Popmusik, würde ich mal behaupten. Lass mich dazu sagen, dass ich es auch zu billig und schäbig fände, wenn der „Bourgeois with Guitar“, eine Figur, die ich präsentiere, dazu sagte: „Das bin nicht ich“. Wenn, dann muss ich schon auch ein Teil des Problems sein. Und ich sage nicht, dass es noch eine Lösung gibt.
CS: So in dem MC5-Sinn.
KS: Ja, genau. Aber bei MC5 wäre ja der Unterschied, dass die ja noch so tun, als könne man das einfach so entscheiden: Leute! Ich bin’s! Der Teil der Lösung, auf den ihr alle gewartet habt! Und jetzt haben wir noch einen Song dazu! Kick out the jams! Sei die Lösung! Und so einfach ist das ja nicht. Das haben ja die Sex Pistols schon 1977 im Song „Problems“ gesungen. Auf der Platte „Nevermind the Bollocks“: You’re the problem. Du bist das Problem. Und das muss für den „Bourgeois with Guitar“ gelten. Das muss auch für den Journalisten gelten. Und das muss auch für den Musiker gelten, der auf der Platte zu hören ist.
CS: Ich finde ja, das Album klingt sehr nach BRÜLLEN, obwohl es dein erstes Soloalbum ist. Wie würdest du den Unterschied zu BRÜLLEN beschreiben wollen? Ist der Unterschied nur, dass BRÜLLEN eine Band war oder ist?
KS: Ist. Tobias und ich haben, wie gesagt, viel und gerne miteinander gesprochen und manchmal auch darüber gesprochen, dass es möglich sein könnte und nötig sein sollte, noch eine Platte zu machen, wo wir mit Songs von anderen umgehen. Oder versuchen umzugehen. Aber jetzt habe ich Lust, nach dieser Platte, eine Platte mit BRÜLLEN zu machen, das heißt mit Luka Skywalker und mit Martin Buck. Und wenn die Zeit finden und wenn die Lust haben, und ich würde mich sehr darüber freuen, wenn die Zeit haben und wenn die Lust haben, dann möchte ich gerne eine BRÜLLEN-Platte mit denen machen. Aber das ist nicht die Antwort auf deine Frage. Du hast gesagt, für dich klingt es wie BRÜLLEN, was ist der Unterschied? Nach der BRÜLLEN-Platte, da habe ich gemerkt, dass ich anders singen möchte. Ich hab gemerkt – bei Kolossale Jugend hatte das schon ein bisschen angefangen, bei BRÜLLEN hatte sich das noch mal gezeigt –, dass das Schreien plötzlich so eine Art Statement geworden war. Das Schreien an sich, abgelöst von Texten, abgelöst von Inhalten und Haltungen. Das Schreien war so ein Statement geworden, wie bei Henry Rollins die Muskeln Statement geworden waren.
CS: Du meinst, ein Klischee auch.
KS: Ein Klischee, wenn man so möchte, auf dem Weg zum Klischee auf jeden Fall. Dass das Geschrei von Kristof Schreuf und die Muskeln von Henry Rollins so tun, als wäre damit schon etwas gesagt. Und noch schlimmer, als hätte man recht. Das wollte ich nicht, ich wollte jetzt einen anderen Gesang, und dann hat mich Antye Greie angerufen, von der Band Laub, die es damals noch gab. Das ist eine Band von dem Label Kitty-Yo, und Antye war dabei, eine Platte namens „Unter anderen Bedingungen als diese“ aufzunehmen. Sie hatte einen Song und dachte, dass es gut sein könnte, wenn ich dazukomme. Und dann haben wir ein bisschen im Studio zusammengearbeitet, und ich hab angefangen, anders zu singen. Der Bezug zu BRÜLLEN wäre vielleicht der, dass wir bei BRÜLLEN einen Song haben namens „Laufe Blau“. Und darin kommt die Zeile vor: „Man kann noch schwächer werden.“ Und das habe ich dann vielleicht versucht, man kann tatsächlich noch schwächer werden. Man kann tatsächlich noch schwächer werden, in dem Sinn, dass man nicht die Muskeln spielen lässt, wenn man den Kehlkopf antriggert und wenn man die Worte über den Unterkiefer hinaus über die Lippen schiebt. Also, der Gesang ist nicht nur jetzt ein anderer, sondern ist auch so anders, dass ich sagen würde: Das wirkt auch zurück auf die Arbeit mit BRÜLLEN.
CS: Okay. Wenn ich es richtig gehört habe, sind es alles Coverversionen oder Interpretationen.
KS: Nein. Es gibt drei eigene Stücke auf der Platte.
CS: Ich dachte nur eines, „Bourgeois with Guitar“?
KS: Nein, nein. Das ist vielleicht nicht so auffällig.
CS: Es ist schon so, dass es eine andere Musik ist, aber die Titel sind doch alle ...
KS: Das ja. Du hast insofern recht, als noch nicht einmal ein eigenes Stück geplant war. Das war als eine Platte mit Liedern von anderen geplant. Im Laufe der Arbeit, das ist auch eine der Früchte der Zusammenarbeit mit Tobias Levin, kam es dann zu einem Stück wie „Breaking the Law“. Sowohl der Text als auch die Musik hatten mit denen, an die ich gedacht hatte, nämlich Judas Priest, nichts zu tun. „Breaking the Law“, so heißt ein Stück von Judas Priest, aber Judas Priest haben die Wendung „Breaking the Law“ nicht erfunden. Bei „You Shook Me All Night Long“ war es ähnlich. Da sind noch anderthalb Zeilen von einem Text von AC/DC drin, und da ist der Titel „You Shook Me All Night Long“. Aber das ist eben auch nicht von AC/DC, sondern es gibt auch von den frühen Led Zeppelin ein Stück namens „You Shook Me“, worin auch „All Night Long“ vorkommt. Bei „Bourgeois With Guitar“ ist es ähnlich gelaufen. Da hatten wir ein anderes Stück mit dem wir nicht recht vorankamen, haben dann noch mal neu angefangen. Plötzlich gab es dann die Entscheidung, wir machen einen deutschen Text dazu. Aber du hast gefragt, da sind ja zwölf Stücke drauf, da sind ja meist Stücke von anderen, also Texte von anderen.
CS: Ja, genau. Also, die Titel, aber die Texte auch zum Teil, wobei die dann, glaube ich, in der Weise verändert werden, dass sie anders montiert werden.
KS: Nein, die Texte sind zum größten Teil von anderen. Also, was ich mir erlaubt habe, ist, mit der Musik etwas anzustellen.
CS: Ja.
KS: Das hat seinen Grund darin, dass ich merke, dass seit „Search and Destroy“ rausgekommen ist, seit „My Generation“ rausgekommen ist, viel Zeit, Jahrzehnte, vergangen sind. Wenn mir diese Stücke nicht nur etwas bedeuten, sondern wenn ich auch mit diesen Stücken umgehen möchte, dann muss ich mit denen irgendwas veranstalten. Das war mein Gedanke. Hab ich nicht so richtig die Erlaubnis, mit diesen Stücken etwas zu machen? Oder dann kann ich mich lockerer fragen: Wozu soll ich das dann machen? Was habe ich mitzuteilen, was habe ich Interessantes zu sagen, wenn ich die Stücke einfach wieder so auf...? Und, was noch dazukommt, ist, dass ich dachte, dass das wie bei einem Theaterstück wäre, in dem du Jesus Christus auf die Bühne bringst. Natürlich hast du die Freiheit, das zu tun, aber wenn dann der entsprechende Akt kommt und der Schauspieler kommt von der Seite auf die Bühne und es soll Jesus Christus sein, dann ist das lächerlich. Das ist skurril, und dann ist Jesus, Christus oder Gott eine Witzfigur. Es ging mir bei diesen Stücken nie darum, Witzfiguren vorzustellen. Es ging mir nicht darum zu parodieren. Es ging mir nicht darum, zur Kenntlichkeit zu entstellen. Sondern der Respekt vor diesen Stücken ist auf jeden Fall da. Diese Stücke bedeuten mir auf jeden Fall etwas, es müssen noch nicht mal unbedingt Lieblingsstücke sein, aber es sind keine Stücke, auf die ich herabschaue oder wo ich es mir auch nur erlauben könnte, auf die herabzuschauen. Das geht nicht.
CS: Sind es dann andersherum mehr so Art Kunstwerk-Verneigungen? Kann man das so sagen?
KS: Verneigt habe ich mich nicht.
CS: Du versuchst schon, quasi etwas Neues aus alten Dingen zu machen, die dir etwas bedeuten.
KS: Ja. Ich drücke es anmaßend aus, wie es der „Bourgeois with Guitar“ vielleicht auch sagen würde: Ich sage nicht nur, das ist neu, was Tobias und ich da gemacht haben, sondern ich behaupte, das muss auch neu sein, damit es wie gesagt die Erlaubnis bekommt, daraus eine Platte zu schaffen. Oder mit dir jetzt in der Markthalle zu sitzen und darüber zu sprechen. Es muss neu sein, das ist die Voraussetzung. Jetzt kann man sich auch fragen: Wozu ist neu noch gut? Darüber kann man auch noch reden. Aber wie gesagt, für mich war es eine Vorgabe, die erfüllt werden muss. Bevor man dann über Arrangements, Ausdruck, unterschiedliche Gesänge von BRÜLLEN und Kolossale Jugend nachdenkt.
CS: Ich finde, die Songs auf der CD klingen insgesamt sehr gereift, so, als hättest du lang und intensiv an der Aufnahme gearbeitet. Ist das auch Absicht, dass es so klingt?
KS: Klingt gut. In den Stücken ist eine Ruhe und in der Musik ist eine Balance, die nicht immer in den Texten drin ist. Der Text von „Search & Destroy“ handelt ja nicht von Ruhe und Balance. Das ist ja eine Szene ...
CS: Von den Stooges ...
KS: Ja. Aus dem Vietnamkrieg, wenn man so will. Und „Search & Destroy“ ist ja der Ausdruck, wenn man so will, den die GIs für ihre sogenannten Aktionen benutzten. Also „Search & Destroy“ hieß, den Feind aufspüren und vernichten.
CS: Ach so, das wusste ich nicht. Von Fugazi kenne ich das, dass ihr Name im Vietnamkrieg ein Ausdruck für eine ausweglose Situation war.
KS: Fucked up in action situation, genau. Die Stooges haben diesen Song Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre geschrieben. Zu einer Zeit, als der Vietnamkrieg noch lief, noch nicht beendet war. Sie haben diesen Ausdruck von der US-Armee.
CS: Aha.
KS: Es gibt, Dietmar Dath hat auch darauf hingewiesen, einen Zusammenhang zwischen Krieg und Kunst.
CS: Ja, klar. Wie in dem Testcard-Text.
KS: Zum Beispiel. Wo man vorher auch dazu auffordert, dass man sich von der sentimentalen romantischen Illusion befreien soll, dass es da keine Zusammenhänge gäbe. An der Uni habe ich auch mal einen Prof getroffen, der die These aufgestellt hat, dass im Grunde sämtliche militärischen Innovationen finanziert wurden, indem man sie dann für den Alltag kompatibel gemacht hat. Und zwar nicht nur Raketen, sondern alles Mögliche. Zwischen Girokonto und Teflonpfanne. Alles, Internet genauso. Das ARPANET von 1969 war eine Innovation des Militärs. Das heißt, das Militär, oder wo Dietmar Dath auch drüber gesprochen hat, der militärisch-industrielle Komplex hat für die Kunst, für die Kultur Vorgaben gemacht. Wenn man sich fragt, wie sauber, rein, schön und unschuldig Kunst sein kann, dann muss man immer daran denken, wo sie auch ihre Inspiration und ihre Möglichkeiten hergenommen hat.
CS: Friedrich Kittler ist, glaube ich, jemand, der sich an so was abarbeitet. Der Jimi Hendrix‘ Gitarrenverzerrungen in Beziehung setzt zu dem Lärm von Bombardierungen.
KS: Das ist ein sehr prominentes Beispiel. Du meinst die Version von „Star-Spangled Banner“, die er in Woodstock gespielt hat?
CS: Ja.
KS: Ich glaube, darauf weist Klaus Theweleit auch hin, dass die Dialektik dieses Stücks darin besteht, dass Hendrix in seiner Version des „Star-Spangled Banner“ die Bomben und Granaten, die auf Vietnam fallen, zum Klingen bringt. Einerseits, dass er dieses Stück in einem Auftritt spielt, an dessen Anfang er den amerikanischen Truppen und Soldaten in Vietnam dankt.
CS: Ich dachte, es sei ein Antikriegsstück.
KS: Jein. Hendrix war, bevor er voll Profimusiker geworden ist, bei den Luftlandetruppen, der war Fallschirmjäger. Der hat sich ...
CS: Der kam aus der Unterschicht und war dann beim Militär, oder?
KS: So könnte man das sagen. Er hat sich tatsächlich auch eine schmerzende Rückenverletzung zugezogen, im Einsatz.
CS: Ich kenn die Biografie von Hendrix nicht ...
KS: Nach der „Experience“ hat er sich eine neue Band zusammengestellt, die Band of Gypsies. Der Bassist war Billy Cox. Woher kannte er Billy Cox? Von seiner Army-Zeit. Billy Cox war ebenfalls Soldat gewesen. Das waren keine Pazifisten.
CS: Okay. Noch mal zurück zum Album. Thema Lieblingslieder hatten wir im Prinzip schon. Du meintest, diese Songs bedeuten dir schon sehr viel, die Titel, die du ...
KS: Es sind nicht unbedingt Lieblingslieder. Das Kriterium für die ... da sind Lieblingslieder drauf, aber das Kriterium für die Auswahl bei den Stücken war nicht, ob es Lieblingslieder sind. Das Kriterium war, ob die Stücke für mich irgendwas hermachen. Ob die funktionieren.
CS: Musikalisch?
KS: Musikalisch. Natürlich. Ob ich denen irgendeinen Ausdruck verleihen, irgendeinen Klang da reinbringen kann, ob es verdammt noch mal gut klingt. Und es gab Stücke, die mir nicht weniger bedeuten, als die Stücke auf dieser Platte, die ich nicht zum Klingen gebracht habe. Die sich nicht gut anhörten.
CS: Aber mit denen du rumprobiert hast ...
KS: Mit denen ich rumprobiert habe, die dann aber nicht auf die Platte gekommen sind, weil ... war halt nicht so schön, war nicht so gelungen. Hatten keine Kraft.
CS: Dann vielleicht mal zum Cover. Ich dachte erst, das wäre ein Porträt von dir. Bis ich mal genauer hingeschaut habe, und da steht ja klein „Georg Trakl,1909 oder 1910“. Ein expressionistischer Dichter. Ich habe ihn kaum gelesen. Ist das auch eine Art konzeptionelles Herstellen zu so etwas wie ... von Musik zu Literatur? Bist du Trakl-Fan?
KS: Ja.
CS: Liest du den gern?
KS: Ja. Habe ich gerne. Als ich 15 war, hat mir Georg Trakl ein paar Fenster aufgerissen. Und zwar viele Fenster aufgerissen, und sehr viel Luft kam rein. Der ist 1887 geboren, hat sich dann so durchs Leben begeben, das heißt, er ist, bevor er einen Abschluss hatte von der Schule abgegangen. Dann hat er eine Apothekerlehre angefangen. Er hat in der Schule Schwierigkeiten bekommen, weil er eine ganze Menge unterschiedlicher Substanzen zu sich genommen hat. Also, alles was zu kriegen war, Alkohol, Kokain, Heroin. In der Apotheke hat er gerne gearbeitet, weil er da schon in der Nähe von dem Stoff war, den er dann mehr und mehr brauchte, was auch nicht dazu beigetragen hat, dass er jetzt mit seinem Leben besser klar kam. Am Anfang des ersten Weltkriegs, 1914, hat er an einer Schlacht teilgenommen, als Sanitäter. In Grodek.
CS: Wo ist das?
KS: Ich glaube, in Österreich. Jedenfalls im damaligen Österreich. Im damaligen Österreich-Ungarn. Ich weiß nicht, ob es heute noch Österreich ist. Er hat an dieser Schlacht teilgenommen, und unter dem Eindruck der Schlacht hat sich seine Stimmung nicht verbessert. Dann war er im Krankenhaus und ist dann gestorben. Wie man heute annimmt, an einer Dosis von zu viel Kokain.
CS: Kann man daran sterben?
KS: Er war 26 oder 27 Jahre alt. Für die expressionistische Zeitung „Die Aktion“ von Franz Pfemfert hat er Gedichte geschrieben. Zwei Bände mit Gedichten sind dann auch erschienen. Der eine heißt einfach „Gedichte“, der andere heißt „Sebastian im Traum“. Ihm wurde ab und zu vorgeworfen, dass sich sein Vokabular wiederhole. Es ginge zu oft um Herbst, Krähen, Blau, Dunkel, Verderbnis, Vergängnis. Er hat mir viel bedeutet und dieses Bild bedeutet mir auch was. Vor einigen Jahren ...
CS: Mit der Frisur erinnert es ein bisschen an Kurt Cobain. Mit den blonden Haaren.
KS: Ja, da hatte ich die Idee, mit einem Freund von mir, Frank Hemjeoltmanns, was zusammen zu machen.
CS: Wie heißt der?
KS: Frank Hemjeoltmanns. Er hat einen Künstlernamen, er nennt sich Tennessee Ulysses. Hemjeoltmanns abgekürzt, T.U. Hemjeoltmanns. Ich hab ihn dann gebeten, diesen Kopf von Trakl, da war er 23 oder 24, da steht ja auch, 1909 oder 1910, also ein recht junger Mann, diesen Kopf zu nehmen und drumherum die Aufnahme des Musikers Beck nachzuzeichnen. Aus dieser Zeit, also von Beck kommen die Haare, das rote Hemd und die schwarze Krawatte.
CS: Okay.
KS: Das heißt, die Zeichnung hat Frank angefertigt, aber nach meinen Vorgaben. Das Ergebnis war, dass ich mich sehr gefreut habe, weil mir das Bild gefiel.
CS: Von dem stammt auch die Schrift?
KS: Nein, komm ich gleich drauf. Er hat es sozusagen gemacht, und das Ergebnis war, dass ich mich sehr gefreut habe. Ich mochte das Bild, und Frank war nicht zufrieden, weil er einer derjenigen ist, die für sich allein, mit sich allein, allein herstellen und machen. Illustrationen machen, Comics machen, Bilder herstellen. Mit jemand anderem zusammenzuarbeiten fiel Frank damals nicht leicht. Na ja, ich fand, das passte gut. Bei Tobias Levin in der Wohnung, in der er zusammen mit seiner Freundin Gwendoline May wohnt und deren gemeinsamen Sohn Wilco, da hing ein Cover an der Wand.
CS: Ein Plattencover.
KS: Ein Plattencover. Darauf stand: Leonard Bernstein mit dem New York Philharmonic Orchestra spielt Ludwig van Beethoven, Verzeihung, spielt Joseph Haydn, Symphonie Nummer und dann kam was in den 80ern. 1987, 1988. Und da drunter befand sich ein Bild von Marie Antoinette, die ihren Kopf auf ihrem Arm trug. Marie Antoinette, die hingerichtet worden ist, während der sogenannten Schreckensherrschaft. Die Schrift, in der da stand Joseph Haydn, Leonard Bernstein, New York Philharmonic Orchestra, die fanden wir sehr, sehr gut und deswegen hat Gwendoline angefangen, den Titel und den Namen von dem Musiker in dieser Schrift zu schreiben.
CS: Okay, und das ist das Ergebnis. Tolles Cover.
KS: Das freut mich.
CS: Aber ich hatte jetzt eher an Kurt Cobain als an Beck gedacht.
KS: Warum nicht? Du hast ja recht, es ist ja so eine ähnlich Frisur, wie er hatte, das ist schon richtig. Also, ich verstehe nicht, ob Beck nur ... das Vorbild für diese Haare, dieses Hemd und diese Krawatte war tatsächlich ein Foto von Beck aus einem Konzert, das ich für die taz besprochen hatte.
CS: Okay.
KS: Was ich damals in Hamburg gemacht habe. Dann kam das Foto, das Foto gefiel mir und für mich lag es auf der Hand, dass es okay geht, das zusammenzubringen.
CS: Okay.
KS: Deswegen nenn ich das auch den Trakl-Beck, auf dem Cover.
CS: Vielleicht noch mal kurz zu den Aufnahmebedingungen und deinem Label Buback. Ist es dir wichtig, dass es ein Independent-Label ist? Zum Beispiel bei der inzwischen sehr bekannten Band Tocotronic, die hat ihr letztes Album noch auf Buback veröffentlicht, aber das neue ist auf Vertigo, Universal. Ein Wechsel zum Major-Label. Ist es dir für deine eigene Arbeit wichtig, auf einem Independent-Label zu arbeiten?
KS: Augenblick, Tocotronic haben nie bei Buback Tonträger veröffentlicht.
CS: Doch, „Kapitulation“ ist auf Buback. Die waren vorher bei L’Age d’Or oder Ladomat und „Kapitulation“ ist auf Buback.
KS: Mir ist wichtig, dass das Buback ist. Buback ist zum größeren Teil heute eine Booking-Agentur. Diese Platte ist eine Ausnahme. Das Label Buback ist eine Booking-Agentur, die diese Platte rausbringt. So verhält sich das mittlerweile. Das war mal anders, aber im Augenblick ist das so. Ich finde das gut, was Thorsten Seif und Friederike Mayer, Steffi Jaspers und Metti Miss mittlerweile in Zusammenarbeit mit Stephan Rath, dem Manager von Tocotronic, der sich jetzt mit denen die Büroetage teilt, was die da machen. Ich bin zu Buback gegangen, weil ich Buback mag und weil ich eigentlich alles an diesem Label gut finde.
CS: BRÜLLEN war auch auf Buback.
KS: Ja, genau. Was ich bei Buback so gut finde, dass ich ...
CS: Auch die ganzen HipHop-Geschichten? Findest du die auch alle gut?
KS: Ich mag auch einige Platten, die auf Buback erschienen sind. Ich bin gerne mit den Goldenen Zitronen auf einem Label. Ich möchte mich da nicht als besonders korrekten Typen herausstellen; das wird was Plattes, was aber trotzdem für mich stimmt. Es kommt auch auf die Leute an. Es kommt darauf an, wie das Gespräch funktioniert. Es kommt darauf an, ob ich den Eindruck bekomme, dass wir von derselben Sache reden, wenn wir gemeinsam an etwas arbeiten. Denn ich habe nicht den Eindruck, dass ich da alleine an etwas arbeite, sondern ich habe so eine Idealvorstellung, eine sentimentale, vielleicht auch idealisierende Vorstellung, dass wir alle, wer immer das jetzt ist, du, ich, eine Plattenfirma, eigentlich an was Ähnlichem arbeiten. Das wäre, uns die Frage zu stellen, was wir an der Kultur eigentlich noch interessant finden können. Ist das nicht eher so eine ... haben nicht doch die Eltern recht, und es ist einfach eine brotlose Kunst, und man sollte sich eigentlich für andere Sachen, man sollte sich für die Ehegeschichten von Tiger Woods interessieren und den Boulevard unters Mikroskop legen, weil da mehr passiert, oder so. Insofern habe ich den Eindruck, dass wir da an was Ähnlichem arbeiten, und mit Buback bekomme ich das Gefühl, dass das geht.
CS: Okay. Es wäre wahrscheinlich anders, wenn du bei Universal wärst, oder?
KS: Ich kenn zwei Plattenfirmen und habe zwei Plattenfirmen kennengelernt.
CS: Hattest du schon mal Major-Angebote?
KS: Nein. Ich kann was sagen über L’Age d’Or früher. Und ich kann etwas sagen über Buback Tonträger jetzt. Über andere Label weiß ich nichts.
CS: L’Age d’Or gibt es, glaube ich, gar nicht mehr, oder?
KS: Carol von Rautenkranz würde das verneinen.
CS: Ich kenne Thomas Mahmoud ganz gut. Kennst du ihn auch?
KS: Ja, natürlich. Thomas Mahmoud ist einer der ...
CS: Der mir damals erzählt hat, dass es mit L’Age d’Or den Bach runtergeht.
KS: Thomas Mahmoud ist einer der interessantesten Musiker, der zurzeit bei der Arbeit ist. Das möchte ich doch mal kurz einfließen lassen. Ich bin ein riesen Fan von Thomas Mahmoud.
CS: Okay.
KS: Das ist ganz, ganz toll.
CS: Ich kenne seine musikalische Arbeit gar nicht so gut. Ich kenne ihn noch aus Köln.
KS: Ich möchte dir herzlich nahelegen, eine Veranstaltung zu besuchen, bei der Thomas Mahmoud und Gerald Mandl zusammen unter dem Namen Tannhäuser und das Sterben Tod was zur Aufführung bringen. Thomas Mahmoud ist ein Sexsymbol mit einem tollen Typen an seiner Seite, der auch ins Nichts reingeht. Ins Offene, Unbekannte. Vor dem würde ich mich in bestimmten Momenten, um dein Wort aufzugreifen, vor dem würde ich mich in bestimmten Momenten verneigen. Wenn nicht gerade Sandra Grether und Kerstin Grether da stehen, vor denen ich mich dann vorher noch verneigen würde. Früher wegen Parole Trixi und heute wegen Doctorella.
CS: Ist es für deine eigene musikalische Arbeit wichtig, nach wie vor auf einem Independent-Label wie Buback arbeiten zu können? ich kann mir vorstellen, dass, wenn du bei Universal, Atlantic oder sonstwo wärst, dass du dann unter ganz anderen Konditionen arbeiten müsstest.
KS: Du billigst mir damit eine ganze Menge Souveränität zu. Ich muss dir sagen, die habe ich gar nicht. Ich freue mich, dass Buback Tonträger und dass dem Eigentümer von Buback Tonträger ...
CS: Daniel Richter.
KS: Ein gewisser Daniel Richter, das gefällt, was ich da mache.
CS: Okay.
KS: Ich freue mich, mich an Leute wenden zu können, wenn ich so eine Platte machen möchte, denen das gefällt. Es wäre schwieriger, wenn ihnen das nicht gefallen würde, wenn ich darüber reden müsste. Das ist dann erst mal ein Arbeitsansatz.
CS: Okay.
KS: Weiter kann ich da gar nicht gehen. Ich hab da nichts zum Aussuchen, oder so. Pick ich mir Universal raus? Sony oder Buback?
CS: Die Frage stellt sich gar nicht.
KS: Auch das klingt noch zu souverän. Die BRÜLLEN-Platte durften wir bei Buback machen, die „Bourgeois with Guitar“ erscheint bei Buback Tonträger, und wenn BRÜLLEN sich wieder zusammenfinden, dann möchte ich gerne auch Buback ein Angebot machen, was sie nicht abschlagen können. Ich meine natürlich, ein musikalisches Angebot. Ich werde keinen Pferdekopf unter die Bettdecke von Thorsten Seif legen, um ihn von irgendwas zu überzeugen. Du weißt, was ich meine? Kennst du den Film „Der Pate“?
CS: Das ist ein Film mit Al Pacino.
KS: Ja. Da läuft das so: Die Familie Corleone sitzt beisammen.
CS: Ist es ein Scorsese-Film?
KS: Von Francis Ford Coppola.
CS: Ach ja, genau.
KS: Es gibt in dieser Familie, es gibt im Freundeskreis dieser Familie einen Sänger. Man munkelt, es könnte Frank Sinatra gewesen sein und die Karriere des Sängers ist ein bisschen am Stagnieren und soll gerelaunched werden. Also sagen sich die Corleones: Gut, da muss irgendwas passieren. Wir bringen den Sänger in einem sehr aussichtsreichen Hollywoodspektakel unter. In einem Film. Der Anwalt von Marlon Brando, von dem Paten, Robert Duvall, geht also zu dem Filmproduzenten und sagt: „Don Corleone würde Wert darauf legen, dass dieser Sänger, weil er unser Freund ist, in ihrem Film mitspielt.“ Darauf sagt der Produzent oder Regisseur: „Mach ich nicht, der spricht mich als Schauspieler nicht an. Die Besetzungsliste steht, wir sind auch schon am Drehen. Passt alles gar nicht. Nein.“ Da sagt der Anwalt noch mal: „Doch, es wäre schön, wenn sie ihn besetzen können.“ Der Regisseur oder Produzent weigert sich noch mal. Dann ist das Gespräch beendet. Robert Duvall geht. In der nächsten Szene sehen wir den Regisseur, am Morgen, in einem wunderschönen Schlafzimmer. Man sieht die Vögel zwitschern, draußen. Man sieht ihn in einem wunderschönen Bett mit einer tollen Decke. Er wacht allmählich auf, er bewegt sich ein bißchen, er fühlt sich etwas komisch, er schlägt die Decke zurück und neben ihm liegt der abgeschnittene Kopf seines Lieblingspferdes. Und danach stellt ... der Regisseur begreift, dass das eine Botschaft ist, bestellt sich danach den Sänger. Das nennt dann die Familie Corleone das Angebot, das man nicht abschlagen kann. Also, hoffentlich muss ich Buback Tonträger nicht zwingen, noch eine Platte zu machen. Das wünsche ich mir für die Zukunft.
CS: Dann vielleicht ganz kurz, sozusagen abschließend noch mal zu den musikalischen Genres, die durch die zitierten Titel auf deinem Album vorkommen. Es ist zwischen Rock Music, Heavy Metal, Pop und Disco. Was hat dich dazu bewegt, dieses Spannungsfeld aufzumachen? Auch wenn die Musik selbst ja doch noch mal ein anderes Genre bedient. Was, wie ich finde, mehr so in die Richtung Singer/Songwriter geht. Aber was, wie ich finde, noch mal eine andere Version von dem ist, was auf der BRÜLLEN-CD passiert. Reduziert, und wie du auch schon meintest, an dem Gesang ist sehr viel gearbeitet worden, der hat sich verändert. Es ist wie ein BRÜLLEN-Album, aber noch Mal eine Spur ruhiger.
KS: Kann man sagen.
CS: Als wenn BRÜLLEN sich weiterentwickelt hätten. Wobei du meintest ja, BRÜLLEN soll auch noch kommen, von daher ist es vielleicht gar nicht so treffend und gut beschrieben.
KS: Doch, das ist es. Wie du es beschreibst, trifft es das. Ich meine, auch Luka Skywalker und Martin Buck haben sich weiterentwickelt. Das kriege ich mit bei dem, was sie machen. Und das kriege ich mit bei der Musik, die sie hören. Und bei der Haltung zur Musik. Die sind weiter. Ob ich weiter bin, weiß ich nicht. Ich hab immer das Gefühl, ich mach so Kram und daraus ergeben sich dann manchmal unterschiedliche Sachen. Ich versuche da, irgendein Feld zu finden, das ich ein bisschen bestellen kann. Du hast nach dem Spannungsfeld zwischen Rock, Disco und Pop gefragt. Was mich dazu gebracht hat, meinst du die Songauswahl?
CS: Heavy Metal auch, Judas Priest. Bei Hörern, die etwas damit vertraut sind, woher diese Songs kommen, aus welchen musikalischen Genres, entsteht so ein Spannungsfeld. Von Disco und Heavy Metal kann man ja behaupten, sie stehen eigentlich komplementär entgegen. Auch von dem, was da in den Szenen normalerweise für Typen auftauchen. Dadurch entsteht so eine Art Spannungsfeld. Ein kulturelles Spannungsfeld. Ich weiß nicht, ob ein Widerspruch. War es auch in deinem Interesse, solche Gegensätze zusammenzubringen und da so ein Spannungsfeld entstehen zu lassen? Gegensätze: Es gibt einen Unterschied zwischen Judas Priest und Donna Summer.
KS: Ja, aber das wäre ja zu wenig gewesen, wenn ich mir sagen kann: Da ist was von Judas Priest, da ist was von Donna Summer. Huch! Hui! Hoppla! Jetzt haben wir aber einen Kontrast. Auch du könntest morgen ins Studio gehen, mit Verlaub, jeder, und meine Schwester und mein Vater könnten auch morgen ins Studio gehen und eine Platte machen, auf der sie ihre Interpretation von Donna Summer und ihre Interpretation von Judas Priest ... also, das würde nicht genügen. Es würde nicht genügen. Sondern, es ging weder darum, Gegensätze zu betonen, noch ging es darum, Gegensätze aufzulösen. Sondern, es ging um etwas, was der DJ WESTBAM mal in einem Interview erzähl hat, was ich mit ihm machen durfte. WESTBAM sagte, dass der Irrtum, in Anführungsstrichen, von den Rezensentinnen und Rezensenten darin bestünde, dass sie eine Platte immer so behandeln, als wäre das eine abgeschlossene Angelegenheit. Aber, sagt WESTBAM, ihre Musik ist keine abgeschlossene Angelegenheit. Sondern sie wird weiter und weiter bearbeitet, es wird damit weitergemacht, so wie das auch, passend für mich dazu, in dem Band „Vorgemischte Welt“, in dem sich Klaus Sander vom supposé-Verlag mit Jan Werner von Mouse on Mars unterhält. Die darüber sprechen, dass der Musiker Herbert Herbert, oder Matthew Herbert, einstmals ein Schlüsselbund in die Luft geworfen hat und aufkommen lassen hat. Er hat dieses Geräusch aufgenommen und bearbeitet dieses Geräusch seitdem immer weiter und weiter und weiter. Wo das in Bezug auf diese Frage von authentisch oder nicht authentisch irgendwann auch keinen Sinn mehr macht. Das ist am Schlüsselbundgeräusch so authentisch. Aber dieses Geräusch war sozusagen die Grundlage für seine Arbeit. Du siehst, es geht da nicht um Gegensätze, sondern es geht da drum, irgendwo hinzukommen. Und das Ergebnis war – und jetzt erlaube ich mir die erste Person Plural –, dass wir, dass Tobias und ich, gesucht haben. Dass wir ab und zu im Trüben gefischt haben und ganz manchmal etwas gefunden haben. Das, was uns nicht gelungen ist, das haben wir dann lieber weggelassen. Den Rest haben wir dann da drauf getan. Beantwortet das deine Frage?
CS: Ja. Seit einigen Jahren ist ein Buch von dir angekündigt, in der edition suhrkamp.
KS: Ich schreib das gerade zu Ende.
CS: Wo ich übrigens auch mal gearbeitet habe.
KS: Ah.
CS: Aber nur sechs Wochen. Hospitiert.
KS: Moment. Dann warst du auch noch in Frankfurt?
CS: Ja. Daher kenne ich Johannes Ullmaier und Alexander Roesler. Der damals in der edition gearbeitet hat. Worum geht’s da? Sind das Geschichten oder wird das ein Roman? Oder werden das gesammelte Kolossale Jugend-, BRÜLLEN- und Kristof-Schreuf-Texte? Ich weiß nicht, ob du es kennst, es gibt von Thomas Meinecke einen Band mit den gesammelten FSK-Texten. Aber es wird schon was anderes?
KS: Ja. Nein, dieser Band mit Texten von Thomas Meinecke ist ganz, ganz toll. Es ist was ganz anderes, als das, was ich probiere. Aber ich möchte schon sagen, ich hab vor mindestens 20 Jahren schon FSK gehört, ich kenne so was wie „Faire Le Chicken“. Diese Sätze wie „Wir denken uns schon mal neue Ziele aus“ und andere. Was mich gefreut hat, war, diese Texte zu lesen und zu merken, dass sie mich genauso anregen und genauso auf Tour bringen und genauso amüsieren, wie sie das vor vielen, vielen Jahren gemacht haben. FSK ist da wirklich was gelungen. Ich mag dieses Buch sehr. Ich mag auch andere Bücher von Thomas Meinecke, aber das auch. Ich probier was anderes. Ich probier, eine Band als Aufhänger zu nehmen, ein paar Leute, die versuchen, so etwas wie eine Band zu werden, als Aufhänger zu nehmen, um da über ein paar Sachen zu sprechen. Die haben mit der Band zu tun, die gehen aber auch zum Teil über die Band drüber. Das ist keine besonders präzise Beschreibung, aber das liegt vielleicht daran, dass ich gerade versuche, das zu Ende zu kriegen. Ich möchte das gerne zu Ende kriegen.
CS: Das heißt, du hast schon einige Texte geschrieben.
KS: Ja. Also Texte sind kein Problem. Text ist hunderte von Seiten da, aber wie du schon am Anfang unseres Gesprächs erwähnt hast, es geht ja zum Beispiel auch um die Komposition.
CS: Ja.
KS: Also, wir haben alle was zu sagen. Um es etwas konkreter zu fassen: Es gibt ein paar Themen, – manches davon passt vielleicht auch in unser Gespräch –, etwas, das mir wichtig ist, ist der Eindruck, dass die meisten Leute unterschätzt werden. Und dass das ein Drama oder eine Tragödie ist. Dass es auf jeden Fall schlimm ist. Es ist entsetzlich. Leute haben unglaubliche Talente und Fähigkeiten und die werden nicht abgefragt. Die werden nicht darum gebeten, ihre Fähigkeiten zu anderen zu bringen. Der Gedanke kommt durch die Arbeit mit der Band BRÜLLEN. Wir haben eine Platte rausgebracht, „schatzitude“, dann sind wir auf Tour gegangen und überall, und nicht nur in großen Städten, auch in kleinsten Dörfern, auch in Orten, die so groß waren wie der Ort, aus dem ich komme, waren Leute, die hochinteressante Sachen gemacht haben. Unglaublich spannende Sachen gemacht haben, alles Mögliche, zwischen Kunstfilmen, Zwölftonsymphonien, Büchern, Musik und Kunst. Ich nahm als Ergebnis dieser Tour mit, dass überall diese Leute sind, die gefälligst ein Podium, eine Bühne, eine Öffentlichkeit bekommen sollten. Und die nicht haben. Jetzt könnte man lange über die Gründe sprechen, warum das so ist, aber das ist auf jeden Fall ein Thema, was mich sehr anregt. Dass Leute in diesem Sinne unterschätzt werden. Dass nur ganz bestimmte Sachen abgefragt werden, nicht viel. Und dass sozusagen auch das, was in den Leuten steckt, keiner von uns erfährt. Aus unterschiedlichsten Gründen. Das mag auch persönliche Gründe haben, das mag Vertriebsprobleme haben. Wie gesagt, das ist noch ein anderes Thema, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass es auch darauf angelegt wird. Dass Fähigkeiten und Talente nicht abgefragt werden. Dass wir nichts davon erfahren. Dass wir in Unkenntnis gehalten werden sollen. Das ist ein Thema.
CS: Des Buchs?
KS: Ja.
CS: Okay, klingt ja gut. Schönes Schlusswort.
Kristof Schreuf: Bourgeois with Guitar. Hamburg: Buback Tonträger 2010