20. Mai 2010

Au Wetter!

 

Allein das Wort Manhattan hat das Zeug, Ekstase auszulösen oder Respekt einzufordern. Man meint damit nicht nur eine Stadt, sondern ein Prinzip. Das Prinzip, nach dem nicht weniger als die ganze Welt funktioniert. Metropole, Megalomanie, Monumentalismus. Das auch nur etwas Kleinere wird immer nur ein Auszug aus dem Register sein. Vielleicht ist es das, was einige Schriftsteller komplett die Seite hat wechseln lassen. Robert Walser zum Beispiel, der es nicht lange in Berlin ausgehalten hat, wo er vermutlich sehr unglücklich war. Das sowieso schon sehr Sympathische des Schweizer Autors wird allerdings von dem südhessischen Romancier Andreas Maier übertrumpft, denn dieser agiert in Sachen Kleinheit (Provinz etc.) eher als Diagnosen stellender Arzt, der die Registerpflichtigkeit einfach umkehrt, während der Leser bei Robert Walser immer wieder das Gefühl hat, um eine gewisse Größe betrogen worden zu sein, zu der sich Robert Walser ohne Mühe hätte hinaufschreiben können. Die Miniatur ist durchzittert vom schlechten Gewissen, woher auch immer das kommt.

 

Die Eindeutigkeit von Andreas Maier dagegen könnte größer nicht sein. Die erste der hier vorgestellten Neulich-Kolumnen trägt bezeichnenderweise den Titel: Neulich war ich in Berlin. Man reibt sich die Augen. Wie, da gibt es noch einen nicht ganz unbekannten Autor, der nicht in Berlin lebt? Wo das Leben lebt und sonst nirgends in Deutschland? Andreas Maier muss sich gar nicht groß anstrengen, um zu rechtfertigen, dass er immer noch in seiner Heimat lebt (abgesehen von ein paar Stipendienaufenthalten). Oder anders gesagt: Was ist Berlin anders als ein aufgeblähter und narzisstisch aufgeschmockter Fall von Provinz? Das Problem der Fallhöhe entsteht also erst gar nicht. Das Problem des Schriftstellers Andreas Maier fängt damit aber erst an. Denn er ist im selben Maße ein Heimatdichter wie zum Beispiel Gert Jonke, der mit seinem Geometrischen Heimatroman auch keine Apologie auf die Provinz verfasste. Nur ließ Jonke noch eine Option offen, die nicht in der Heimat lag. Josef Nadler hätte beide Autoren sicher nur als entartete Heimatschriftsteller charakterisieren können.

 

Aber Andreas Maiers Welt, das vergisst man leicht über dem lockeren Zug der Kolumnen, ist alternativlos. Wer das merkt, dem zergehen die Unterscheidungskriterien. Nicht die zwischen guter und schlechter Literatur, sondern allgemein zwischen gut und schlecht. Offensichtlich ist das bei der gar nicht so gewagten, nur auf den ersten Blick skandalösen Parallelführung der beiden österreichischen Oberrhetoriker Thomas Bernhard und Adolf Hitler. Andreas Maier hat dessen Hauptwerk genau gelesen (also Mein Kampf) und kann sich eines „Bruder-Hitler“-Labels in Bezug auf Bernhard nicht erwehren; so heißt es am Ende der Kolumne Neulich las ich Mein Kampf: „Irgendwie werden ich das Gefühl nicht los, alles das [die rhetorischen Exzesse Hitlers] schon mal ganz ähnlich bei einem anderen österreichischen Autor gelesen zu haben.“ Der „Adi“ und der „Tommi“ treffen sich, wenn auch nur in der Unendlichkeit, und stoßen dort auf den geburtsbehinderten Onkel J., der als Provinzkonzentrat wie ein schwarzes Loch den präsumierten Großstadtglamour abfängt. Man muss vielleicht nicht, aber man darf sich Andreas Maier als gewieften Abfangjäger vorstellen.

 

Dieter Wenk (05-10)

 

Andreas Maier, Onkel J.  Heimatkunde, Berlin 2010 (Suhrkamp)

 

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