14. Mai 2010

Subtile Intarsien

 

Yves Klein, höchst versierter Moderator in eigener Sache, begann 1957 ein personalisiertes Label einzuführen: « Yves le Monochrome ». Seine bevorzugten Farben: Ultramarin, Gold, Rosa. Die „Farben“ Weiß und Schwarz besetzten andere Künstler. Seit den frühen 60er Jahren fanden Ausstellungen zur monochromen Malerei statt. Eine der letzten Stationen moderner Malerei. Danach ging es bekanntlich mit den formalen Radikalismen nicht mehr weiter, es kam die Zeit der postmodernen Malerei.

 

Mitte der 90er Jahre greift die Autorin und Schauspielerin Yasmina Reza, in einer Zeit, in der das Wort „Postmoderne“ beginnt, aus dem (kritischen) Vokabular der Kunst, Kritik und Wissenschaft herauszufallen, auf eine künstlerische Position zurück, die, streng nach dem Zeitpfeil der Kunstgeschichte betrachtet, eigentlich schon längst passé war, und die, wie sich mit dem durchschlagenden Erfolg des Theaterstücks „Art“ („Kunst“) erwies, keineswegs ihre Sprengkraft verloren hatte: die monochrome Malerei. Eine erste Beobachtung: der Titel steht in Anführungszeichen. Das, was in dem Stück als Kunst vorgestellt würde, wäre gar keine Kunst? In der Tat. Kunst, zumindest manche Kunst, hat nach wie vor das Zeug, das zeigt der Verlauf des Stücks, Freundschaften zu zerbrechen. Drei Personen, alles Männer, treten auf, Serge, erfolgreicher Mediziner mit Hang zur Kunst, der sich ein weißes Bild gekauft hat, Marc, der selbiges „scheiße“ findet, und Yvan, der zwischen den Fronten sich hin und her bewegt.

 

Auch 40 Jahre nach Erfindung der monochromen Malerei kommt es zu unglaublichen Szenen. Als ob Kants universell unterstellter „Geschmack“ hier nichts ausrichten und retten könnte. Als ob also ausgestellte Idiosynkrasien mächtige Aggressionen bei anderen auszulösen imstande wären. Als ob die Kreditwürdigkeit sogar im Freundeskreis gegen null tendierte und der Freund sich plötzlich als Snob oder Hochstapler erwies. Wie kann man Leuten erklären, dass man 200.000 Francs (ca. 33.000 €) für ein mittelgroßes Format ausgegeben hat, auf dem nur Weiß zu sehen ist und, auf diesem Weiß, weiße, quer über das Bild verlaufende feine Nähte. Deshalb also die Anführungszeichen? Serge jedenfalls, der das Bild gekauft hat, ist von dem Wert des Bildes überzeugt, vom ästhetischen und vom Preis. Er kann nicht verstehen, dass Marc das Bild als „eine Scheiße“ bezeichnet. Für Marc ist diese Erwerbung ein Verrat, ein Freundschaftsverrat, sie deutet auf etwas hin, das sich Marc anscheinend bislang entzogen hat und das er als immerhin so fundamental ansieht, dass es nicht nur zu einem verbalen Gefecht zwischen den beiden kommt.

 

Ästhetisch gesehen sind ja alle ein bisschen rückständig, Serge, der für das Bild so viel Geld ausgibt, für eine Position, die nicht neu ist, aber immerhin noch provoziert, aber nur weil Marc noch rückständiger ist, da er die „Werte, die die Kunst von heute reagieren… Das Gesetz des Neuen. Das Gesetz der Überraschung…“, mit einer Zeit verwechselt, als das Provozieren noch gewollt war. Die Postmoderne steht nicht länger unter diesem Gesetz des Neuen. In welcher Zeit spielt überhaupt das Stück? Die Uraufführung fand am 28.10.1994 an der Comédie des Champs-Élysées in Paris statt. In den 60er Jahren kann das Stück nicht spielen, da es das Centre Pompidou (Beaubourg), das im Stück erwähnt wird, noch nicht gab. Frühestens also die späten 70er Jahre. An manchen Stellen fällt das Wort „Dekonstruktion“, das der französische Philosoph Jacques Derrida ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre verwendete, aber erst sehr viel später aus Spezialistenkreisen einem breiteren Publikum (vor allem durch die Architekturdebatten) bekannt geworden ist. „Art“ spielt also irgendwann in den 80ern.

 

Das Ende des Stücks schließt übrigens ganz wunderbar an die eigentliche Erfindung der monochromen Malerei durch den heute völlig vergessenen Maler und Autor Alphonse Allais an, der es sich am Ende des 19. Jahrhunderts allerdings noch nicht leisten konnte, monochrome Malerei als seriöses Produkt an den Mann zu bringen. Seine Bilder, die alle verloren sind, funktionierten damals nur mit spaßigen Titeln, die mit den jeweils verwendeten Farben spielten: „Un vieux machin arabe prétend que la perception de Dieu va jusqu’à distinguer la plus noire des fourmis se baladant sur le plus noir des marbres par la plus noire des nuits.“ Ohne Geschichten zu erzählen geht es halt nicht.

 

Dieter Wenk (05-10)

 

Yasmina Reza, Théâtre, Paris 1998 (Albin Michel)