8. Mai 2010

Komm! ins Offene …

 

Boris Buden misst eine „Zone des Übergangs“ aus

 

 

Boris Buden, gebürtiger Kroate und Publizist in Wien, hat ein Buch über „Zonen des Übergangs“ zwischen Kommunismus und Kapitalismus geschrieben. Es wirft die Frage auf, was der Kommunismus, ob ideal oder real, zu denken aufgibt, und stützt sich ausdrücklich auf Meisterdenker des linken Diskurses, zunächst Giorgio Agamben. In manchem stellen sich Budens Erörterungen wie Variationen auf Agambens wirkmächtigen „Homo Sacer“ dar – mit einem wesentlichen Unterschied: Agambens Duktus ist von beinahe esoterischer Dunkelheit. Buden dagegen bemüht sich um Anschaulichkeit und Nähe zur erlebten Wirklichkeit der Jugoslawien-Kriege. Zur selben Zeit, als Agamben von „souveräner Macht“ und „nacktem Leben“ zu philosophieren begann, machten jugoslawische Söldner blutigen Ernst mit solchen Begriffen.

 

Nach Herkunft und Sozialisation, darüber hinaus in der Prägung durch Marx und Freud, ist Buden dem Rockstar des linken Diskurses, Slavoj Zizek, verwandt: Die „Dialektik des Kapitalismus“ liegt nirgends offener zu Tage als im Jugoslawien der 90er Jahre. Der Tito-Kommunismus musste dem, was ihm folgte, überlegen scheinen: „Auch die Antikommunisten glaubten an die demokratische Freiheit, meinten aber oft nichts Demokratisches, sondern vielmehr die Freiheit ihrer Nation, ihrer Rasse, ihres Gottes bzw. die Freiheit ihres Hasses auf die Nation, die Rasse oder den Gott der anderen.“ Nicht, dass sich Boris Buden provinziellerweise auf jugoslawische Zusammenhänge festlegen ließe. Er zählt zu den wenigen Linken, die sich der Mühe strategischen Denkens unterziehen. So werden Überlegungen Zbigniew Brzezinskis einbezogen, der 1979 als Sicherheitsberater Carters sowjetische Truppen in die afghanische „Falle“ lockte, um die UdSSR in einem asymmetrischen Stellvertreterkrieg auszubluten: Die Mudschaheddin sind wesentlich Brzezinskis Geschöpf. (Dies gesteht „Zbig“ ungeniert ein. Man müsse um höherer Ziele willen unheilige Bündnisse schließen.) Heute nun rät Brzezinski, Afghanistan-Experte der besonderen Art, die Taliban, Amerikas Zöglinge, mit Konter-Guerilla zu überziehen: Der Westen möge sich peu à peu aus dem Lande zurückziehen und das Geschäft des Krieges gekauften Stellvertretern überlassen.

 

An Feinsinn und Verstand ist „Zbig“ dem tumben Hau-den-Lukas der Bush-Administration weit überlegen. Für Buden ist Zbigniew Brzezinski als anti-kommunistischer Stratege der 80er Jahre belangvoll: Er habe (wie so viele) die Zähigkeit kommunistischer Regimes überschätzt – gemäß der eigenen Denkungsart habe Brzezinski Gorbatschow und seinesgleichen vorschnell und einseitig ideologiefreies Machtstreben unterstellt, mithin die Bereitschaft, ideologisch unzulässige Kompromisse einzugehen, sofern sie im Sinne des Machterhalts opportun schienen. Buden macht geltend, vielen sei es um anderes als Machtfragen zu tun gewesen. Nicht wenige Reformkommunisten und Dissidenten wären aus ehrlicher Überzeugung „demokratischem Sozialismus“ zugeneigt gewesen. Dass die Frage der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht unbefangen diskutiert werden konnte, die Menschen des „Ostblocks“ mit suggestiver Selbstverständlichkeit – „in einer Art narzißtischen Deliriums“ – vom demokratischen, vor allem aber kapitalistischen Westen vereinnahmt wurden, wie unmündige Kinder, die keinesfalls auf „dumme“ Gedanken kommen, die „falschen“, grundstürzend kritischen Fragen stellen dürfen, müsse als (halb bewusste) Manipulation seitens der westlichen Regierungen und Öffentlichkeit angesehen werden, die sich heute, da die kapitalistische Ordnung zusehends in Misskredit gerät, bitterlich rächt: „Tatsächlich“ glaubten die „osteuropäische[n] Akteure an die Demokratie, was auch immer sie darunter verstehen mochten. Für einige bedeutete sie einfach die alles heilende Kraft des Parlamentarismus und der demokratischen Öffentlichkeit, für andere das selbstregulative Potential der Marktwirtschaft. […] die Reformkommunisten sahen in der Demokratie die Chance für einen kommunistischen Neubeginn. […] So folgte dem Aufruf aus dem Osten: ‚Kein Sozialismus ohne Demokratie‘ der zynische Widerhall aus dem Westen: ‚Keine Demokratie ohne Kapitalismus.‘“

 

Ob Budens Bild des früh verblühten „Völkerfrühlings“ in jeder Hinsicht überzeugt, mag offen bleiben. Ob jene „Zivilgesellschaften“, die zum Sturz der kommunistischen Diktaturen beitrugen, zugleich, wie Buden meint, befähigt waren, ohne Einwirkung des Westens stabile Demokratien zu begründen; ob Alternativen zur parlamentarischen Regierungsform bestanden (im Sinne „direkter“ Demokratie); ob die Bevölkerung – jenseits revolutionärer Avantgarden – „mehr Demokratie“ als die westlichen Demokratien zu „wagen“ gewillt war, nicht vielmehr darauf zielte, in den Genuss westlicher Prosperität zu gelangen; ob ohne sanfte Gewalt westlicher Investoren und Regierungen nicht allzu oft Nationalismus und Irrgängertum – oder kommunistische Konterrevolution – die Oberhand behalten hätte, auch außerhalb Jugoslawiens, bleibt ungewiss. Auch besteht eine gewisse begriffliche Unschärfe: „Postkommunismus“ scheint sowohl „reformkommunistische“ Regimes der 80er Jahre als auch demokratischen („liberaldemokratische“) Regierungsformen seit den 90er Jahren zu bezeichnen. So wird die Differenz zwischen Dissidenten einerseits und Reformkräften innerhalb der Kommunistischen Parteien auf der anderen Seite verunklärt. Mit einigem bösen Willen ließe sich folgern, dass Friedrich Schorlemmer und Egon Krenz vom gleichen Zuschnitt sind. Wo die holzschnittartige Entgegensetzung von Schwarz und Weiß, Westen und Osten, Guten und Bösen, „Freiheit und Sozialismus“ aufgelöst wird – durchaus zum Vorteil kritischen Denkens –, verschwimmt so manche wesentliche Differenz im Ungefähren.

 

Wie dem auch sei: Budens Gedankenexperimente formulieren ein wichtiges Korrektiv zur „alternativlosen“ Übertragung des real existierenden Kapitalismus in die postkommunistischen Staaten: „Im Postkommunismus gilt die Frage nach der Zukunft als schon beantwortet. Auch jene nach der Vergangenheit ergibt keinen Sinn mehr. Von ‚Kindern des Kommunismus‘ erwartet man nicht, daß sie ein ausgereiftes Bewusstsein von der kommunistischen Vergangenheit haben. Gerade deshalb wurden sie zu Kindern gemacht, um sich eben an die Vergangenheit nicht erinnern zu können. Als Kinder haben sie nämlich keine.“

 

Aber nicht nur die selbstverständliche Implementierung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wird mit Anführungs- wie Fragezeichen versehen. Auch zur vielerorts akklamierten „Rückkehr der Religion“ hat Buden Wichtiges zu sagen. Entgegen der gängigen Meinung, mit dem Fall des Kommunismus habe die (christliche) Religion ihren angestammten Platz im öffentlichen Leben zurückerhalten, macht Buden geltend, der Kommunismus habe den Säkularisierungsanspruch des modernen, aufgeklärten Staates ernst genommen, ernster vielleicht als die westlichen Gesellschaften. Religion sei auf ihren (streng säkular gedacht) einzig gemäßen Ort, die Privatsphäre, zurückgedrängt worden. Mit wenigen Ausnahmen – Buden nennt den Maoismus Albaniens – könne von eigentlicher Religionsfeindlichkeit keine Rede sein. Der Kommunismus habe – dies schon bei Marx – Religion zu „bekämpfen“ nicht für nötig befunden: Das „Opium fürs Volk“ würde nach Überwindung der Klassengegensätze keinen Existenzgrund mehr haben: „Für die Kommunisten ist Gott immer schon tot gewesen.“ Budens Ausführungen über postkommunistische Zustandsveränderungen der Religion („Gott und Rock ‚n’ Roll“), nationale Identitätspolitik der serbischen und kroatischen Kirchen, schließlich zu Habermas’schen und Rawls’schen Erwägungen übers Verhältnis von Staat und Religion sind lesenswert auch für solche Zeitgenossen, denen jugoslawische und postkommunistische Befindlichkeiten herzlich gleichgültig sind. Am Anfang steht ein Befund, der alles andere als trivial erscheint: „Hatte die kommunistische Säkularisierung für die Religion vor allem den Verlust ihres gesellschaftlichen Einflusses, ihrer politischen Macht und ihres materiellen Wohlstands bedeutet, so hat ihre Befreiung deren unmittelbare Rückforderung zur Folge. Doch hier taucht ein Problem auf: Der befreite Gott will mehr zurück als das, was ihm die Kommunisten weggenommen haben. Deshalb geht es nach 1989 nicht allein, wie uns die Ideologie der postkommunistischen Transformation weiszumachen versucht, um eine demokratische Korrektur des von Kommunisten mißbrauchten und totalitär verzerrten Säkularisierungsprozesses. Es steht weit mehr auf dem Spiel, nämlich das Säkularisierungsprojekt der Aufklärung selbst.“

 

Wer nun meint, vor Nostalgie und einer Verklärung kommunistischer Zustände warnen zu müssen, sei beruhigt: Autoren wie Zizek und Buden sind in der gegenwärtigen Verwirrung der Begriffe in doppelter Weise zu Ratgebern, wenigstens Stichwortgebern berufen: Weil sie Ideen von Sozialismus und radikaler Aufklärung nicht aufgeben mögen – und sozialistische Wirklichkeit am eigenen Leib miterlebt haben. Auch wendet sich Buden ausdrücklich gegen das „wohlbekannte[n] Phänomen der Nostalgie, des verklärenden Blicks zurück in die kommunistische Vergangenheit“. Allein er fügt einen wesentlichen Gesichtspunkt hinzu: „Es scheint […], daß kein Begriff des kulturellen Gedächtnisses […] in der Lage ist, den Kommunismus als das zu evozieren, was er – trotz des Terrors, der ihn begleitet hat – seinem Wesen nach war: das Konzept einer universalen Emanzipation. […] Es geht um etwas, was als triviale Tatsache selbst dem einfachsten Mitglied einer revolutionären kommunistischen Partei einst vollkommen transparent war: daß sein erstes Ziel eine bessere Welt ist, erst danach die Prosperität seiner lokalen Gemeinschaft oder das Interesse seiner partikularen – ethnischen, religiösen oder gender – Identität.“

 

Daniel Krause

 

Boris Buden: Zone des Übergangs. Vom Ende des Postkommunismus. Frankfurt, edition suhrkamp, 2009

 

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