28. April 2010

„ES GIBT KEIN BIER IN HAWAII“

 

NEUE BILDER und FILME VON WILHELM HEIN

 

In der Galerie FISCHERUNDFISCHER, Berlin

 

Neue Bilder von Wilhelm Hein werden gezeigt, den wir als glitzerndes Juwel der Experimental-Underground-Film-Geschichte kennen. Er ist pünktlich zur Ausstellung 70 Jahre jung geworden und auf der diesjährigen Berlinale für sein Lebenswerk in der Produktion und Vermittlung von Underground-Filmen mit dem Manfred-Salzgeber-Preis ausgezeichnet worden.

 

Die Bilder in der Galerie sind Übermalungen. Es sind Übermalungen von Posen, auch von pornografischen Posen. Die Quelle für die Fotos ist das Netz. Famous and nameless pornographic queens or just posing for one´s lover? Die Damen schauen dich an, und wenn sie dies mal nicht tun, dann scheinen sie sich zumindest des Angeblicktwerdens gewiss. Die found fotos wurden in schwarz-weiß auf Kopierpapier ausgedruckt und dann mit kräftigen, leuchtenden Acrylfarben und elegantem, tupfendem Auftrag in kleine Preziosen verwandelt, denen die Farbe eine kühne Materialität verleiht. Sie scheinen haltbarer zu werden, was im Kontrast zu der Flüchtigkeit der fotografisch festgehaltenen Pose steht. Sie sind in der Galerie an die Wand genagelt, wie Pin-ups in einer Werkstatt; doch sie wirken nicht wie Pin-ups, eher wie Superstars, Pop-Ikonen. Dazu macht Wilhelm Hein sie.

 

Eine Dame steht neben einer Limousine im Freien, der Schritt leicht geöffnet. Sitzt jemand in dem Auto? Wird sie einsteigen und davonfahren, nach Hawaii, mit ein paar Sixpacks im Kofferraum? Andere Damen stehen in Innenräumen vor Sofas, zu einer Zeit, als es noch „Wohnzimmer“ gab, in Strümpfen mit Strapsen und hohen Schuhen. Alle träumen sie sich an einen fernen Ort, fort aus dem Alltag. Vielleicht auf eine Insel der Sehnsucht, wo sie von einem/einer idealen Liebhaber/in begehrt werden.

 

In der Mitte des Galerieraums befindet sich der Fernsehturm, gigantisch wie das Opus Magnum, das Wilhelm Hein vor zwei Jahren herausgab, „You killed the Underground Film or the real meaning of Kunst bleibt ... bleibt“, ein Expanded-Media-Werk, bestehend aus einer riesigen Kassette mit 10 Bänden voller Collagen und Texten im Schuber, die in limitierter Künstler-Edition erschienen ist, plus mehrere 120 Minuten lange Live Performances von 16-mm-Filmen mit dazu aufgelegter Musik. Diese Skulptur aus vielen TV-Geräten unterschiedlichster Größe, Güte und Zeiten, die sich um eine frei stehende Säule herumwindet, wäre an sich schon ein Monument für 60 Jahre Fernsehgeschichte. Doch dieses Fernsehen ist anders, denn wir sehen heute neue Experimentalfilme von Wilhelm Hein. Sie sind kurz oder nur minutenlang (ihr Format erinnert an Vlado Kristls „Minutenfilme“) und hängen doch zusammen wie Fäden in einem geknüpften Teppich oder wie ein Text aus Bildern.

 

Die Sätze aus dem Film sind gemischt, mal Realfilm-Episoden, wie das Seemannsstück am Brunnen des Strausberger Platzes, das Hein mit Annette Frick und dem Galeristen Johannes Fischer gemeinsam für die Ausstellung in einem Coup mitten im eisigen Berliner Winter gedreht hat; mal sind es Fotos oder Zeichnungen aus Büchern oder Collagen und Zeichnungen von Hein selbst, oder found footage von frühem pornografischem Material, die den Text des Films ausmachen.

 

Ein Text, der beinahe ohne Worte auskommt, über die Zurichtung der Körper und Ideale in ideologischen Systemen, die z. B. das Aufwachsen der Jugend bestimmen. Musik begleitet die Bilder, ein Seemannslied von Hans Albers, und Seemann Hein lässt die Möwe fliegen, direkt in seinen Mund, den Hafen, den das Bier auch sucht, womit auch wieder einmal gezeigt wäre, das Möwenkopf-Fellatio eine Kulturtechnik ist, die die Ambivalenz eines Albers-Liedes humorvoller markiert als so manch anderer popkultureller Diskurs. Es ist diese Erinnerungsarbeit, die Wilhelm Heins Filme so besonders macht. Seine Montage bringt die Erinnerungs- und Gedankenmaschinen des Publikums, wo immer sie ihren Sitz haben mögen (Hirn? Leib?) auf höhere Drehzahltouren. Seine Filme sind Startpilot (ein altes Vergaser-Zaubermittel aus der Zeit der analogen Automobiltechnik) für eine assoziative Wahrnehmung komplexer historisch-emotionaler Zusammenhänge.

 

Der emotionale Zugang zu Körpergeschichte als Kulturgeschichte, das Herausarbeiten von körperlicher Unterdrückung, Zurichtung/Disziplinierung und Leid, aber auch der Freuden des Körpers als libertäres Subjekt ist eben nicht notwendig ein dunkler Pfad, sondern einer, der direkt ins limbische System führt und die Pforten der Wahrnehmung (T. Leary) weit öffnet.

 

In der Soziologie gibt es Foucault, Deleuze und Guattari; für den Experimentalfilm macht es Wilhelm Hein. Dabei „bleibt, bleibt“ Humor allerdings erste Filmemacherpflicht.

 

„Wir machen sowieso, was wir wollen!“, sagt Wilhelm Hein, und ich stimme dem zu, denn es gibt für uns einfach keine andere Möglichkeit. Und wir fahren, vorerst zumindest nicht, nach Hawaii, denn es sind noch ein paar Biere im Kühlschrank der Galerie.

 

Zu erwähnen vergessen darf ich nicht einen der anderen schönen Momente mit Tieren, die auf Heins neuer Scheibe vorkommen. Neben der Möwenkopffellatio gibt es z. B. noch ein wunderbares Esel-Stilllife, das wie ein klassisches Familien-Porträt wirkt, zu Anfang. Die Esel stehen da auf ihrem Fleck und schauen recht aufgeräumt und zugewandt in die Kamera, es kommt sogar noch ein kleiner hinzu, die Ohren des größten wackeln Zustimmung, die Familie scheint komplett. Doch in der fortgesetzten Dauer des Blicks liegt aller Verfall schon offen zutage, die ganze Tristesse der klassischen (heterosexuellen) Esel-Kleinfamilie ... ganz ausgesetzt.

 

Evelyn Rüsseler

 

 

Die DVD von Wilhelm Hein „Es gibt kein Bier in Hawaii“ ist in limitierter Auflage erschienen und über die Galerie Johannes Fischer, Strausberger Platz 18, in Berlin erhältlich. Die Ausstellung ist verlängert bis zum 8. Mai 2010 und geht dann nach Düsseldorf am Rhein.

 

www.fischerberlin.com