8. November 2003

Die böseste der Todsünden

 

Nicht jede Integration hat mit (Völker-)Verständigung zu tun. Manche enden nicht im Einvernehmen, sondern erweisen sich als vereinnahmend. Diese sind dann von allerdings nur kurzer Dauer. Genauer gesagt zerstören sie sich im Moment der Schließung. Es fehlt die Möglichkeit des Genießens. Für alle Beteiligten. Nach der Katastrophe bleibt ein Muster zurück, das man bewundern und Kunst nennen kann. Das Kunstmachen mit menschlichem Material ist jedoch immer noch umstritten. Menschenspielerei, ob ästhetisch oder nicht, gilt nicht als freie Option. Körperattacken müssen angekündigt werden. Wenn John Zorn seine „Kristallnacht“ zum Verkauf anbietet, muss er brav aufs Booklet schreiben, dass wiederholtes Hören aufgrund hochfrequenter Töne zu irreparablen Schäden führen kann.

Leute, die diese Grenze überschreiten, sind die anerkannten Künstler von morgen (was auch schief gehen kann, siehe Stockhausen) oder Psychopathen. Nur letztere jedoch machen richtig Ernst. Interessant wird es, wenn sie nicht nur rumtöten und der Serie einer-nach-dem-anderen folgen, sondern einem bestimmten Schema folgen, das sich mit der Zeit selbst enthüllt und von dem sie vielleicht annehmen, das es sie beglaubigt. Nein, nicht vielleicht, ganz im Gegenteil, ihre ganze Veranstaltung hätte überhaupt keinen Sinn, wenn sie auch nur einen Moment zweifeln würden.

Das Spannende, vielleicht auch nur Cineastische dieses Films besteht darin, dass der Täter reagieren kann und nicht einfach nur blind einem einmal gefassten Plan nachgeht. Seine Verfolger sind ihm gefährlich nahe gekommen. Man weiß, wer er ist. Er hat die Spur selbst gelegt, das war sein Risiko, möglicherweise auch sein Vergnügen. Nach fünf Morden aus der Serie „Die sieben Todsünden“ muss er das Procedere ändern. Seine Reihe wird unrein werden. Er springt kurzfristig aus ihr heraus, um desto perfekter in sie zurückgeworfen zu werden, mit sich selbst als Mitspieler. Er bringt ein Damenopfer. Davids Frau hat sich nichts zu schulden kommen lassen, er braucht sie als Katalysator. Er selbst ist ja nichts anderes als ein Medium der göttlichen Gerechtigkeit, das verschwindet, nachdem es seinen Auftrag ausgeführt hat. Deshalb erstaunt es nur kurz, dass der Täter sich selbst stellt. Aber er ist in der beneidenswerten Position, Bedingungen stellen zu können. Er diktiert, wie es weitergeht. Ein kleiner Ausflug in die Wüste. Der Mann hat ein erstaunliches Händchen für Dramaturgie, aber das hat er auch schon in seinen ersten Taten bewiesen. Letzte Diskussionen zwischen David und seinem Gefangenen, der Detective wirkt nicht souverän. Dann ist man am Ort der Entscheidung, die letzten beiden Toten stehen noch aus, und am Ende weiß man nicht, ob der Plan nun besonders raffiniert oder nur ganz schlicht war. Es reicht, dass er genial ist. Der Serientäter sagt seinem letzten Opfer, das aber schon stellvertretend gestorben ist, die Sünde auf den Kopf zu, Zorn, und es ist der Zorn, der den Neid, die Sünde des Täters, aus dem Weg räumen wird, auf dass die Serie erfüllt werde.

Was sich daraus ergibt, ist ein Überhänger, David bleibt ja übrig als einziger Sünder, der nicht gefoltert und gemordet wird. Aber David darf sich als den bezeichnen, der die Serie beendet hat und der damit in die Fußstapfen des Bösen tritt. Das ist seine integrative Kraft. Sie ist unwiderstehlich. Wie das Schöne.

 

Dieter Wenk

 

<typohead type=2>David Fincher, Seven (Sieben), USA 1995</typohead>