16. April 2010

Kreative Inkontinenz

 

Eine irrationale (aber auch äußerst seriöse) Auseinandersetzung mit dem Begriff der Freiheit in dem Essay „Kreative Dissidenz“ von Ulrike Ackermann

www.perlentaucher.de/artikel/5893.html

 

 

„Statt dessen ist den Deutschen Gleichheit und soziale Gerechtigkeit weitaus wertvoller als die Freiheit.“

Ulrike Ackermann

 

 

Um es gleich zu sagen. Gleichheit und soziale Gerechtigkeit haben ausgedient. (Überhaupt haben alle Wörter, die mit einem G beginnen, ausgedient.)

Gleichheit und soziale Gerechtigkeit machen sich nirgends gut. Auch im Gespräch nicht. Sie klingen viel zu sehr nach dem Mief der 50er Jahre. Nach Nierentisch und Fernsehprogrammen, die man an einer Hand abzählen konnte.

Aber Freiheit. Hm. Das Wort schmeckt auf der Zunge. Bei Freiheit schwingt so vieles mit: Danton, fallende Beile, rollende Köpfe, der Unabhängigkeitskrieg, die Abschaffung der Sklaverei, Studentenproteste, und natürlich dieser Werbespot für ein Brausegetränk namens S-PRIT („Trink S-PRIT und du bist frei wie nie“).

Freiheit ist eine tolle Sache. Sie ist so frei. So ohne Grenzen. Sie ist so wahnsinnig befreiend, dass man sie am Besten in Tüten stopfen und verkaufen sollte. Da würde man bestimmt dran verdienen. Mindestens Geld, und das würde einen dann wieder ein Stück unabhängiger machen. Die gewonnene Unabhängigkeit bedeutet Freiheit, die man anschließend gleich wieder auf die Verkaufstheke hauen könnte. Man würde zum Großindustriellen der Freiheit werden. JA! Ich sehe es vor mir. Ich würde die Welt mit Freiheit überschütten. Natürlich (ein eisernes Gesetzt des Kapitalismus) muss die hergestellte Freiheit auch hin und wieder mal kaputtgehen, damit die Leute sich neue Freiheit kaufen müssen.

Und ehe sich die Leute versehen, sind Sie von der Freiheit abhängig. Sie sind süchtig nach dem verdammten Stoff, den ich ihnen anbiete. Sie sind Junkies geworden. Sklaven der Freiheit. Und auf Dauer sind sie im Arsch. Ist nur die Frage, wie viel Platz dort ist und wem er gehört.

 

Glauben Sie mir: Freiheit macht jedem Spaß. Sie ist eine Riesengaudi. Man muss sie nur wollen, und wenn man sie dann hat, auch annehmen. Man sollte natürlich auch über die finanziellen Mittel verfügen, seine Freiheit zu leben. Richtig zu leben. Richtig auszuleben. Mit einer Yacht in den Sonnenuntergang segeln. (In der Hand eine Flasche S-PRIT). Eine Reise zu den ärmsten Ländern der Welt. (Natürlich im Privatjet und schon wieder mit einer Flasche S-PRIT in der Hand.)

Aber was ist mit denen, die eventuell über Freiheit verfügen, aber nicht das Geld haben, diese Freiheit zu gestalten? Die nicht die Kohle haben, sie mit den richtigen Dingen wie Yachten und Privatjets zu umgeben. Die müssen dann halt Gärtner werden. Oder Penner. Ob Sie wollen oder nicht. Die Freiheit fragt nämlich nicht immer nach den tiefsten Wünschen des Individuums.

Oder haben diese armen Schweine etwa gar keine Freiheit, weil sie viel zu sehr mit solchen zeitraubenden Dingen wie Überleben beschäftigt sind?

Aber keine Angst. Man sollte auf die Fantasie des Einzelnen vertrauen. Der Selbstunterhaltungstrieb wird sich schon durchsetzen.

Die Natur sucht sich immer einen Weg. Die werden sich schon mit Mord und Totschlag, mindestens aber mit einem Bankraub, zu beschäftigen wissen. Außerdem hätten sie nach einem erfolgreichen Bankraub auch genügend Geld für die allseits propagierte Freiheit.

 

Aber vielleicht ist Freiheit ja auch nicht für alle da und für alle gedacht. Vielleicht wurde Freiheit nur für die erfunden, die sich diesen eventuell teuren Spaß auch leisten können.

Diese Gesegneten wiederum können sich die Freiheit leisten, weil sie andere (früher Sklaven genannt) für ihre Freiheit schuften lassen. Die Welt ist nicht immer gerecht. So ist das eben.

Die „Indianer“ haben halt keine Zeit für Freiheit, aber das Recht, jederzeit zu kündigen oder gekündigt zu werden. Das mit dem Kündigen machen die „Häuptlinge“. Es sind übrigens auch immer nur „Häuptlinge“, die den dämlichen Spruch bei einem langweiligen Abendessen in die Runde werfen: „Es kann nicht nur Indianer geben, es muss auch Häuptlinge geben.“

 

Sehr gut. Wir kommen der Freiheit langsam auf die Spur. Also um es noch einmal kurz zusammenzufassen: Freiheit ist super. Sie kostet aber meistens Geld, das wir durch die Unfreiheit, die sich andere freiwillig erwählt haben, erwirtschaften. Das sind sogenannte Wirtschaftsverbünde.

Wenn wir genügend Geld für unsere Freiheit erwirtschaftet haben, sind wir ein Häuptling und können andere mit unserem Status beim Abendessen nerven. Weil die anderen meist auch Häuptlinge sind, nicken sie fleißig und geben sich interessiert. Das nennt man einen Wirtschaftskreis. Zusammen schimpft man ein bisschen über die Indianer. Die werden in der letzten Zeit immer frecher, und überhaupt, die liegen, sind sie mal arbeitslos, dem Oberhäuptling Staat ja eh nur auf der Tasche.

Dabei mögen die Häuptlinge den Oberhäuptling. Wenn nämlich ein paar Häuptlinge falsch gewirtschaftet haben, bitten sie den Oberhäuptling um eine Finanzspritze. Weil der Oberhäuptling natürlich am liebsten andere Häuptlinge ärztlich versorgt, sich aber ständig um die Scheißindianer kümmern soll, weil die alle vier Jahre einen neuen Oberhäuptling wählen dürfen, brütet man seit Jahren über einem Konzept der Freiheit, das den Indianern die Freiheit gibt zu verhungern, während man sich selbst die Freiheit gibt (natürlich auf Firmenkosten) in Bordelle nach Thailand zu reisen. Das nennt man dann Globalisierung. Glaubt man kaum. Ist aber so. Und wer sich jetzt darüber beschwert oder aufregt, dem kann man gleich ins Angesicht hauchen: Aha, ein Feind der Freiheit.

 

In möchte an dieser Stelle, da ich es anderer Stelle gelesen habe, ein paar berühmte Namen einbringen. Die machen sich einfach gut und zeigen auf, in welch feinen gedanklichen Gesellschaft ich mich befinde. Man zeigt an: Ich schreibe auf Augenhöhe mit den Geistesgrößen der Geschichte. Da die alle tot sind, können die sich auch nicht mehr beschweren oder wehren. Das nenne ich mal kreative Freiheit.

Also ich bedanke mich für die Unterstützung an meinem Essay bei folgenden Personen: Marquis de Sade, Friedrich „Freddy“ Nietzsche (mein alter Freund macht sich in jedem Text gut), Friedrich Schiller, Franz Kafka (Wir sehen uns dann!), Dostojewski und Ludwig Wittgenstein (Das nächste Mal kommst du bitte ohne Schürhaken). Ich könnte jetzt natürlich auch ein paar Zitate meiner prominenten Paten einfließen lassen, die das bisher Geschriebene unterstützen und somit fast unangreifbar machen. Ich lasse das aber mal an dieser Stelle, weil, ganz ehrlich und unter uns: Die Jungs lebten in einer ganz anderen Zeit und unter ganz anderen Bedingungen. Das wäre doch nur ein Taschenspielertrick. Und den überlassen wir mal anderen. Ein paar Sätze aus dem Zusammenhang reißen, das kann ja nun wirklich jeder.

 

Ich möchte mich am Ende meiner Ausführungen noch beim Getränkehersteller S-PRIT bedanken, der es mir durch großzügige Spenden ermöglicht, unabhängig und unbeeinflusst zu denken, zu schreiben und zu publizieren.

Sie wissen ja: Trink S-PRIT und du bist frei wie nie!

 

Guido Rohm