Das Wunder aus Hamburg
Wilhelm von Homburg, der „Prinz“, alias Norbert Grupe, auf dem Hamburger Jungfernstieg, 60er Jahre, Anzug, Melone, Havanna im Mund, die er sich einhändig und sehr souverän mit einem am Daumennagel angezündeten Streichholz ansteckt, dann geht der Prinz paffend los, er hat noch einen kleinen, sehr eleganten Schirm in seiner linken Hand, er überragt, wie seinerzeit König Saul, die anderen um einen Kopf; eine Figur, der Dandy, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Der ein wenig wellige Oberlippenbart verleiht dem ansonsten sehr heutig aussehenden Gesicht etwas 19.-Jahrhundert-mäßiges, und ein später gezeigtes, unvollendetes Gemälde des Boxers auf noch hehrem, aber schon verlorenem Posten könnte an Wotan denken lassen, dem die Wagner’sche Musik den letzten Trost spendet. Dieses Gesicht hat große Klasse, es fällt auf (das merkt man vor allem in den US-amerikanischen Filmen, in denen er nach Beendigung seiner Boxkarriere mitspielt), aber die Klasse überzieht die ganze Person, die sie in jeder ihrer Positionen ausdrückt.
Werner Herzog vergleicht ihn mit Mike Tyson (nur nicht dumpf gefährlich, sondern intelligent gefährlich), er kann jedoch auch mauern wie Cassius Clay, nur dass sich das Tänzeln, wie seinerzeit in der legendären ZDF-Sportstudio-Sendung, sitzend im Gesicht und Oberkörper abspielt. Die Niederlage gegen Oscar Bonavena 1969 war eklatant, dumm nur, dass der arrogante Sportreporter glaubte, ihr im konversationell nur dürftig abgefederten Sprachring eine weitere hinzufügen zu müssen. Der beinah Führer-mäßige Ton, der im Studio angeschlagen wurde, war das damals normal, oder doch nur ein diesem Gast geschuldeter Ausrutscher? Nach der zweiten vorführenden Frage grunzte von Homburg nur noch, genau da war ihm klar geworden, was hier gerade ab- und vorging, die zweite Abservierung, aber was er daraus machte, ist wirklich große Klasse, er ließ den widerlichen Typ einfach auflaufen, beantwortete keine der darauf gestellten Fragen mehr, und nach noch nicht mal zwei Minuten war das Gespräch beendet.
Noch heute ist Grupe stolz darauf, dass es gerade ein Boxer war, dieser Art von Journalismus eins, aber sehr fein, in die Fresse gegeben zu haben. Es war ein Konrad-Bayer’sches Wortboxen, um so glanzvoller der Sieg, als sich das Geplapper des Gegners ganz gegen diesen selbst gerichtet hat, eine prinzenhafte Beihilfe zur Selbstdemontage, ein kurzer, aber sehr tiefer Blick in die allgemeine, mit sehr viel unterschwelliger Gewalt verbundene Vergesellschaftungsstruktur, die das TV auch heute natürlich noch ist. Aber genauso natürlich war der Prinz kein Robin Hood, das kann man von einem Dandy nicht verlangen. Er war jedoch auch kein viktorianischer Dandy, dem eine Metzger-Herkunft unüberwindbare Hindernisse in den Weg gelegt hätte. Er war eben vor allem ein Kerl, eine Erscheinung, vor dem viele auch einfach mindestens Respekt, oft auch Angst gehabt hatten, junge Mädchen empfanden entsprechend Liebe, die ihren anderen Namen noch nicht zu nennen wusste. Heute lebt er in den USA, wo er noch manchmal Filme dreht, er sieht ziemlich fertig aus, aber er weiß selbst wohl am besten, warum das so ist.
Dieter Wenk
<typohead type=2>Gerd Kruske, Der Boxprinz, D 1999</typohead>